Ist Ralph Brinkhaus aus dem Kreis Gütersloh in der Versenkung verschwunden?

Herr Brinkhaus, länger nichts von Ihnen gehört. Manch einer dachte, Sie sind in der Versenkung verschwunden. Ralph Brinkhaus: Ich bin viel im Wahlkreis und als Bezirksvorsitzender der CDU in OWL unterwegs. Bei allen Nachteilen der aktuellen Situation in Berlin – dafür habe ich jetzt mehr Zeit und die nutze ich auch. Vor knapp anderthalb Jahren haben Sie den Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag an Friedrich Merz abgegeben. Fehlt Ihnen etwas? Vor allem fehlt mir die Regierungsverantwortung. In meiner gesamten bisherigen Karriere, auch damals im Gütersloher Stadtrat, habe ich immer mitgestalten können. Und auch in Berlin, ob am Anfang mit der FDP und später mit der großen Koalition aus Union und SPD, ich saß stets auf dem Fahrersitz oder zumindest nah dabei. Und klar: Fraktionsvorsitzender war ein toller Job. Hatte Merz keinen anderen Posten für Sie? Das war offensichtlich nicht so vorgesehen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Partei- und Fraktionsvorsitzenden? Wir gehen, wie das bei westfälischen Menschen so üblich ist, vernünftig miteinander um. Die vielen Fernsehauftritte, das Medieninteresse, die besondere politische Verantwortung, die die Funktion des Fraktionsvorsitzenden mit sich bringt – empfanden Sie das auch als Last oder hat das vor allem Freude gemacht. Natürlich hat das unglaublich viel Spaß gemacht. Aber Medienauftritte sind auch harte Arbeit. Da kann man viele Fehler machen und daher ist akribische Vorbereitung unerlässlich. Vor einer Talkshow waren mein Team und ich zwei bis drei Tage gut beschäftigt. Lesen Sie auch: Politiker Ralph Brinkhaus wird bei Twitter angefeindet In welcher Reihe sitzen Sie jetzt im Bundestag? Bis auf die ersten Reihen gilt freie Platzwahl. Ich setze mich dann dahin, wo ein Platz frei ist. Hintere Bank, das ist doch nicht die Position, auf der Sie sich richtig aufgehoben fühlen. Ich habe mir nach meinem Ausscheiden als Fraktionsvorsitzender ganz bewusst eine bundespolitische Kommunikationspause verordnet. Es gehört sich, in so einer Situation nicht einfach weiter zu jedem Thema seine Meinung kundzutun. Aber jede Pause ist auch mal wieder vorbei. Ich werde mich deswegen jetzt wieder häufiger melden. Der SPD-Politiker Franz Müntefering hat einmal gesagt, &bdquo;Opposition ist Mist“. Wie empfinden Sie die derzeitige Situation der Union in Berlin? Es juckt einen natürlich schon. Das ist vergleichbar mit einem Fußballspieler der am Rand steht. Man kann zwar reinrufen &bdquo;Hey, ihr macht das alles falsch“, aber man will natürlich selber spielen. Opposition ist in der Demokratie eine echt undankbare Funktion, aber auf der anderen Seite sehr, sehr wichtig. Und auch weil wir uns selbst in die Opposition reinmanövriert haben, gibt es keinen Grund zu jammern, sondern das Beste aus der Situation zu machen. Würde es die Union besser machen in der Regierung als die Ampel in diesen Zeiten voller Krisen und mit Krieg in Europa? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es besser machen würden. Es geht darum, dem Land wieder Halt und vor allem Zuversicht zu geben. Die Situation in Deutschland ist keineswegs so katastrophal, wie das derzeit diskutiert wird. Wir haben in Deutschland gute Grundlagen, die Zukunft positiv zu gestalten. Aber dafür müssen wir auch was tun – ein Beispiel: Gerade jetzt brauchen wir eine starke Wirtschaftspolitik. Der dafür zuständige Minister Habeck konzentriert sich aber sehr stark auf das Thema Energie und Klima und lässt andere wichtige Themen liegen. Und auch in den Bereichen Haushalt oder Steuerung der Migration brauchen wir klare konsequente Linien, die sehe ich derzeit nicht. Themenseite: Lesen Sie hier alles rund um Ralph Brinkhaus Kann es sein, dass drei Partner in einer Regierung einer zu viel sind? (lacht) Mit der CSU war das in der großen Koalition auch nicht immer so ganz einfach. Aber im Ernst: Ich glaube, es gibt in der Ampel ein Führungsproblem. Angela Merkel hat die große Koalition jedenfalls mehr geführt als Olaf Scholz es in der Ampel tut. Und was in Krisenzeiten – sie haben in dieser Woche in der &bdquo;NW“ zu Recht vom &bdquo;erschöpften Land“ geschrieben – auf keinen Fall passieren darf, ist, dass eine Regierung noch mehr Verunsicherung ins Land reinbringt. Und genau das ist zum Beispiel beim &bdquo;Heizungsgesetz“ passiert. Wie geht es denn mit dem Heizungsgesetz nach der Sommerpause weiter? Ist die Union bereit zu einer Einigung mit der Koalition? Ein solches Gesetz kriegt man eigentlich nur im Kompromiss mit allen demokratischen Parteien hin. Erstens braucht man dafür eine Mehrheit im Bundesrat. Zweitens verlangt das Gesetz von den Menschen Entscheidungen ab, die eine Wahlperiode bei weitem überdauern. Man kann ja nicht alle vier Jahre die Heizung wieder rausreißen. Die Menschen brauchen unabhängig von den aktuellen politischen Mehrheiten Planungssicherheit. Deshalb müsste es vernünftigerweise einen Konsens zwischen Ampel und Union geben. Allerdings glaube ich nicht, dass die Ampel zu weiteren Gesprächen bereit ist. Ihr Parteichef hat zuletzt einigen Wirbel auslöst mit seinen Äußerungen zur Zusammenarbeit mit der AfD. Wie ist Ihre Haltung bei dem Thema? Ganz klar: Keine Zusammenarbeit. Ich habe das im Dezember 2021 in der Erwiderung zur ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz im Bundestag auch sehr deutlich artikuliert: Die AfD kämpft meines Erachtens nicht um Mehrheiten in unserer parlamentarischen Demokratie, sondern um Mehrheiten gegen unsere parlamentarische Demokratie. Driftet die CDU zurzeit von der Mitte mehr nach rechts? Das sehe ich nicht. Dem würde ich mich auch persönlich entgegenstellen. Carsten Linnemann aus Paderborn als neuer CDU-Generalsekretär steht für einen konservativen Kurs. Das dürfte in Ihrem Sinn sein. Als CDU-Bezirksverband freut es uns, dass viele herausragende Funktionen in der Union mit Vertretern aus OWL besetzt wurden und werden. Und die CDU ist im Übrigen immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie nicht nur als konservativ, sondern auch als sozial, weltoffen und liberal wahrgenommen wurde und das weiß auch Carsten Linnemann. Wird der Höhenflug der AfD weiter anhalten? Wir sollten als Union über uns und nicht über andere Parteien reden. Und dazu müssen wir Antworten auf die Herausforderungen geben, die die Menschen täglich bewegen. Und diese Herausforderungen liegen ja auf dem Tisch. Da geht es um Bildung oder auch um Gesundheit und Pflege oder einen funktionierenden Staat. Es ist wichtig, Lösungen bei Alltagsfragen zu liefern, zum Beispiel bei fehlenden Kita-Plätzen, bei der Suche nach Pflegeplätzen für die Eltern oder bei langwierigen und komplizierten Antrags- oder Genehmigungsverfahren. Vor gut zwei Jahren haben Sie eine Reform des Staatswesens mit schnelleren Genehmigungsverfahren und einer besseren Vernetzung der Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen gefordert. Davon spricht heute kaum einer. Und das ist wirklich schlecht. Beispiel Digitalisierung: Ich sehe da kein System. Nehmen wir die Digitalisierung im Bildungswesen. Da verhandeln wir momentan mit 16 Landesschulministern, 16 Landespersonalräten, 16 Landesdatenschutzbeauftragten und über die individuelle Ausstattung der Schulen entscheidet der Schulträger und der ist kommunal. Da kann man sich ausmalen, was dabei herauskommt. Und das gilt für viele Bereiche. Wir versuchen komplizierte analoge Prozesse vom Papier in den Computer zu bekommen und meinen das Land wird einfacher. Nein, wir brauchen einen grundlegend anderen Ansatz. Da helfen auch keine Reförmchen mehr. Wir müssen da groß ran. Ich habe deswegen mal gesagt: Wir brauchen eine Revolution – einen echten &bdquo;Neustaat“. Was meinen Sie konkret? Nehmen wir mal nicht die Wirtschaft, sondern den sozialen Bereich: Dutzende Seiten von Anträgen für die Grundsicherung im Alter oder auch für die Hilfe für einen Schlaganfallpatienten sind in Zeiten der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz eine Zumutung. Gleiches gilt für Steuererklärungen für Arbeitnehmer oder Elterngeldbewilligungen. Das geht einfacher, wenn Datenbestände gekoppelt werden und wenn Vorschriften außer Kraft gesetzt werden. Und wenn man sich da für ganz Deutschland nicht ran traut, dann lasst es uns doch regional und zeitlich begrenzt ausprobieren. OWL war vor zwei Jahrzehnten mal Modellregion für Bürokratieabbau. Deswegen unser Vorschlag als CDU-Bezirksverband: OWL als Laborregion für einen modernen, unkomplizierten Staat. Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie sich persönlich für die zweite Hälfte der Wahlperiode des Bundestags gesetzt? Für den Kreis Gütersloh liegt mir besonders die Integration der vielen Menschen, die zugewandert sind, am Herzen. Da war ich schon in den letzten zwei Jahren viel unterwegs. Es ist die große Herausforderung, dass wir nicht nebeneinander leben, sondern miteinander. Und da muss von beiden Seiten, also auch von den Zuwanderern, noch viel getan werden. Ganz selbstkritisch: Das fängt bei uns in der CDU an – da sind wir nicht gut. Und es geht in den Vereinen weiter, die immer noch das Rückgrat des Zusammenhalts in unserer Region sind Wie soll das erreicht werden? Erstmal über die Arbeit. Wir müssen die Menschen so früh wie möglich in die Betriebe bringen. Ich halte wenig von der meines Erachtens viel zu großen Fixierung darauf, Migranten erst einmal in einen Sprachkurs zu stecken. Klar, Sprache ist wichtig, aber Integration über die Arbeit ist noch wichtiger. Im zweiten Schritt geht es dann um die Einbindung in unsere Ehrenamtsstrukturen, wobei mir sehr bewusst ist, wie herausfordernd das ist – gerade in Zeiten, wo es Vereine schon eh schwer genug haben. Mein zweites großes Thema für den Kreis: Wir müssen das Qualifikationsniveau der Arbeit in unserem Kreis anheben. Wir haben zu viele Helfer und zu wenig Facharbeiter, Techniker und Ingenieure. Das macht uns anfällig für Krisen. Und für technologische Entwicklungen, wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz. Deswegen auf den Punkt gebracht: Mehr Beckhoff und weniger Amazon. Bei allem Respekt für das, was dort geleistet wird. Wollen Sie bei der Bundestagswahl 2025 noch einmal antreten? Stand heute: ja. Die Arbeit macht mir wahnsinnig viel Freude. Und ich habe eine Menge Ideen, was man in der Regierung besser machen könnte. Auch weil wir selbst in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht haben. Ich denke, wir haben und ich habe auch viel dazugelernt. Halten Sie den NRW-Ministerpräsidenten Wüst für einen geeigneten Kanzlerkandidaten? Zu Kanzlerkandidaturen werde ich mich derzeit ganz sicher nicht äußern. Wenn Sie sich nicht mit Politik beschäftigen, womit verbringen Sie dann am liebsten Ihre Zeit? Ich habe jetzt ein bisschen mehr Zeit für die Familie. Ich laufe seit einiger Zeit wieder etwas mehr, drei bis viermal die Woche. Und ich nehme mir mehr Zeit für Veranstaltungen, die nicht nur etwas mit Politik zu tun haben, wie zum Beispiel Sportereignisse, wo wir bei uns im Kreis eine Menge zu bieten haben. Ein ganzer Nachmittag Tennis-Bundesliga in Versmold oder ein Spontanbesuch beim SC Wiedenbrück in der Fußballregionalliga wäre in der Regierungszeit zum Beispiel nicht drin gewesen.

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