Skurriles Gerücht: Elektronik von Miele aus Gütersloh in russischen Panzern verbaut?

Gütersloh. Die Geschichte hört sich schon fast zu durchgeknallt an, um wahr zu sein. Und doch wird sie seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine immer wieder mal erzählt. Auch in Medien und Quellen, die als seriös gelten. Im Kern geht es um diese These: Die durch die EU-Sanktionen geschwächte russische Rüstungsindustrie setzt in Ermangelung eigener Elektronikbauteile auf Mikrochips aus Waschmaschinen unter anderem von Miele, um defekte Panzer und andere Militärfahrzeuge wieder ans Laufen zu bringen und die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Es handelt sich eher um Indizien statt um konkrete Belege, die diese These stützen. Ziemlich sicher ist, dass die Geschichte durch eine Aussage des Grünen-Politikers Anton Hofreiter im vorigen Herbst ihren Anfang nahm. In einem Video-Beitrag bei &bdquo;Bild“ sagte er damals: &bdquo;Sie finden in erbeuteten russischen Panzern immer öfter Waschmaschinen- und Spülmaschinen-Chips.“ Ähnlich äußerte sich zur gleichen Zeit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament, wie Hofreiter ebenfalls mit Bezug auf eine Aussage der US-Handelsministerin Ramondo: Das russische Militär nehme Chips aus Geschirrspülern und Kühlschränken, um seine militärische Hardware zu reparieren, weil es keine Halbleiter mehr gebe. &bdquo;Russlands Industrie liegt am Boden.“ Werden die Geräte ausgeschlachtet? Unlängst erschien zu der Thematik ein umfangreicher Bericht in der Wochenzeitung der &bdquo;taz“ mit dem Titel &bdquo;Waschmaschinen auf Abwegen“. Darin hieß es, der Verdacht liege nahe, dass Russlands Nachbar Kasachstan Haushaltsgeräte in beträchtlichem Umfang nach Russland durchwinkt und diese Geräte dort in ihre Kleinteile zerlegt würden. Die Autoren stützen diese Aussage auf die Auswertung von UN-Daten, die besagten, dass Kasachstan, im Jahr 2022 &bdquo;Maschinen und Anlagen“, zu den auch Waschmaschinen zählen, im Wert von 837 Millionen Dollar nach Russland ausgeführt habe. Im Jahr vor dem Kriegsbeginn seien es noch 128 Millionen Dollar gewesen. &bdquo;Was ist da los? Waschen die Kasachen plötzlich mehr, weil ihre Bevölkerung wächst“, fragte sich die &bdquo;taz“ und lieferte die Antwort gleich mit. Das sei unwahrscheinlich angesichts der gesunkenen Geburtenrate. Andere Beobachter halten es hingegen durchaus für möglich, dass zahlreiche russische Familien ins Nachbarland gezogen sind und sich dort neu einrichten – auch mit Haushaltsgeräten deutscher Herkunft. Eine weitere Variante lautet, dass Kasachen, die in Russland gelebt haben, vor dem Hintergrund des russischen Kriegs in ihre Heimat zurückkehrten und sich dort ebenfalls einen neuen Haushalt aufbauten. Export größtenteils weiterhin zulässig Fest steht immerhin, dass der Export von Waschmaschinen aus der EU nicht komplett unter das Embargo gegen Russland fällt. Betroffen sind lediglich die Luxus-Geräte. Laut Artikel 1 der entsprechenden Brüsseler Verordnung 2022/428 vom 15. März 2022 zur Änderung der &bdquo;Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren“ darf der Einfuhrwert einer Waschmaschine oder eines Geschirrspülers die Grenze von 750 Euro nicht überschreiten. &bdquo;Die meisten Miele-Geräte liegen aber unter dieser Grenze“, sagt Unternehmens-Sprecher Carsten Prudent und verweist darauf, dass der Einfuhrwert deutlich unter dem Verkaufspreis des Handels liege. &bdquo;Die Geräte sind daher nicht von den Sanktionen betroffen und könnten weiterhin legal in Russland eingeführt werden.“ Gleichwohl, so Prudent, habe Miele bereits Mitte März 2022, also wenige Wochen nach dem Angriff auf die Ukraine, die Lieferung von Geräten nach Russland eingestellt. Medizinprodukte für Kliniken und Arztpraxen seien die einzige Ausnahme. &bdquo;Bis dahin war Russland ein sehr erfolgreicher und auch potenzialträchtiger Markt für Miele.“ Mit konkreten Zahlen zum früheren Russland-Geschäft hielt sich Prudent freilich zurück. Ansage an Vertriebspartner im Ausland Stattdessen versicherte der Sprecher, &bdquo;wir haben auch unsere eigenen Stores sowie den Webshop in Russland geschlossen, die Werbung eingestellt und alle Investitionen gestoppt“. Damit sei Miele über die EU-Sanktionen aus eigener freier Überzeugung deutlich hinausgegangen.“ Dass Miele-Geräte dennoch auf verschlungenen Pfaden den Weg nach Russland fänden, lasse sich leider nicht in jedem Fall verhindern, so Prudent. Der Graumarkt für Hausgeräte, der in Russland entstanden sei, werde von Miele ausdrücklich nicht unterstützt. Im Gegenteil: &bdquo;Unsere autorisierten Vertriebspartner in den angrenzenden und anderen Ländern sind angewiesen, Aufträge für den Weiterverkauf nach Russland nicht auszuführen.“ Technische Möglichkeiten zweifelhaft Fragt sich ohnehin, ob es technisch überhaupt möglich ist, Mikroelektronik aus Hausgeräten umzuprogrammieren und in Panzern zu verwenden. Das Recherchenetzwerk &bdquo;Correctiv“ hält das für denkbar und beruft sich auf die Aussage eines Professors der RWTH Aachen. Demnach sei es technisch möglich, dass einfache Chips und Schaltungen aus Haushaltsgeräten in Militärfahrzeugen eingebaut werden. Bei Miele ist dazu keine klare Auskunft zu bekommen. &bdquo;Inwieweit und gegebenenfalls mit welchen Erfolgsaussichten so etwas versucht wird, wissen wir nicht“, sagt Carsten Prudent. Der Münchener Halbleiterhersteller Infineon (14 Milliarden Euro Jahresumsatz) sah sich auf &bdquo;NW“-Anfrage nicht zu einer Einschätzung in der Lage und antwortete mit den Worten: "Bitte haben Sie Verständnis, dass es uns für eine vertiefende Antwort an entscheidenden Informationen mangelt, weshalb wir uns nicht zum von Ihnen geschilderten, sehr spezifischen Szenario äußern können." Die ganze Geschichte also nur eine bizarre Anekdote? Auch das ist nicht erwiesen.

Meistgelesen