Tönnies im Kreis Gütersloh rangelt mit Cem Özdemir: "Wir sind nicht in Bullerbü"

Herr Schulze Althoff, vor einem Jahr lag der Erzeugerpreis für ein Kilogramm Schweinefleisch bei 1,20 Euro, aktuell liegt er bei 2,10 Euro. Das ist eine Erhöhung von 75 Prozent. Der Deutsche Fleischerverband hat in dieser Woche bekannt gegeben, dass wir mit weiteren Zuschlägen rechnen müssen. Wie teuer wird das Grillvergnügen denn wohl in diesem Sommer? GEREON SCHULZE ALTHOFF: Ganz genau sagen können wir das noch nicht. In der Tat ist der Preis höher als vor einem Jahr, wobei er damals in einer existenzbedrohenden Preisregion für die Landwirte war. Viele Schweinehalter haben in dieser Zeit aufgehört. Wir hatten allein im vergangenen Jahr in Deutschland einen Rückgang in der Produktion von insgesamt zehn Prozent. Wem kommt der höhere Preis zugute? Geht das alles für Energiekosten drauf oder können die Landwirte jetzt mehr für sich einbehalten? Alles in allem ist der aktuelle Preis einer, der für die Landwirte nun etwas besser passt. Der Handel hat seine Marge. Und alle die in der Mitte sind wie wir, haben das Problem, dass die Schweinepreise für die lebenden Tiere sogar höher sind als in den Nachbarländern. Hinzu kommt, dass die deutsche Fleischwirtschaft aufgrund der Afrikanischen Schweinepest immer noch Handelsrestriktionen unterliegt und Nebenprodukte nicht mehr dorthin geliefert werden können, wo sie als Delikatessen gegessen werden. Schweinefüße und -öhrchen gehen zurzeit verstärkt ins Hundefutter oder werden im schlechtesten Fall sogar entsorgt. Das setzt die deutschen Fleischproduzenten neben den reduzierten Auslastungen doppelt unter Druck. Zehn Prozent weniger Schweine bedeutet zehn Prozent Umsatzrückgang bei Tönnies? Nein, so kann man das nicht sagen. Aber der Markt wird schwieriger. Klar ist: Die Fleischunternehmen reagieren überall in Deutschland und passen sich den neuen Gegebenheiten an. Arbeitsplätze gehen verloren, genau wie bei den in der Region verbundenen Handwerkern und Ausrüstern. Ihre Zuliefererbetriebe liegen im Umkreis von 100 Kilometer, viele davon aus unserem ländlichen Raum hier im Kreis Gütersloh. Wie sieht es da mit der Schweinemast aus, verlieren Sie viele Landwirte wegen Betriebsaufgabe? Landwirte hören nicht auf, weil es kurzfristig Probleme gibt. Diejenigen geben auf, die keine richtige Zukunftsperspektive sehen. Im Grunde ist der Sektor entschlossen, die Transformation in der Landwirtschaft anzugehen. Darüber herrscht große Einigkeit. Wir haben einen klaren Plan für eine Nutztierhaltung, die Tierwohl und Klima Weltspitze ist. Aber auf der anderen Seite sind vor allem die jungen Bauern unglaublich enttäuscht, dass politische Gräben kultiviert oder sogar weiter aufgerissen werden. Es liegen jetzt Haltungsvorschriften in Form einer neuen Gesetzesvorlage auf dem Tisch, die so unpraktikabel sind, dass es einen richtigen Aufschrei gegeben hat. Mit dieser massiven Kritik hat der Bundeslandwirtschaftsminister nicht gerechnet. Es war das beherrschende Thema auf der Grünen Woche. Es wundert einen nicht, dass junge Bauern lieber in Windkraft oder Photovoltaik investieren, als sich mit der unsicheren Zukunft der Schweinemast herumzuärgern. Größere und offene Ställe, solide Finanzierung und eine langfristige Perspektive für die Landwirte – das alles war doch Konsens. Was stört Sie? Die jetzt vorliegenden Gesetzesvorlagen beinhalten einige Absurditäten. Wenn ich ein Schwein im Ausland halte und nach Deutschland exportiere, muss ich die Haltung nicht kennzeichnen. Das ausländische Fleisch entzieht sich damit komplett dem Vergleich. Minister Özdemir behauptet, das ginge nicht anders, doch es gibt Lösungen. Auch ist es nicht erlaubt, Teile eines Bioschweins als konventionelles Fleisch zu verkaufen. Es kommt aber durchaus vor, dass man keinen Abnehmer für einen Bio-Schweinebauch hat. Soll man den dann wegschmeißen? Förderungen für neue Tierwohlställe soll es nur für Bauern mit ca. 1200 Schweinen im Stall geben. Davon kann ein Vollerwerbslandwirt seine Familie nicht ernähren. Wir sind nicht in Bullerbü. Und für viele lautet die Frage deshalb: will man das so kompliziert haben, um bewusst dafür zu sorgen, dass es unpraktikabel ist? Weil Sie glauben, dass das eigentliche Ziel lautet, die Tierhaltung abzuschaffen? Genau. Diese Frage ist auf der Grünen Woche offen diskutiert worden. Will man einen Umbau oder einen Abbau? Wenn man den Abbau will, muss man aber auch offen sagen, wie Deutschland sich in Zukunft selbst ernähren will. Avocados und so viel Hafer, dass für alle die Hafermilch reicht, können wir hier jedenfalls nicht anbauen. Wir würden abhängig von Importen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat in einem Interview während der Grünen Woche gesagt, dass ihm der geplante Umbau in der Landwirtschaft nicht schnell genug geht, auch weil er es mit starken Gegnern zu tun habe. Meinte er Sie damit? Ich muss ehrlich sagen, die Aussage hat mich verwirrt. Wir sind jedenfalls nicht seine Gegner. Auch der Bauernverband nicht. Wir haben Interesse daran, dass dieser Prozess jetzt klappt. Wir wollen den Tier- und Klimaschutz weiter voranbringen, müssen aber auch die Ernährung von 83 Millionen Menschen im Blick halten. Im Supermarkt wächst nichts von alleine. Cem Özdemir ist bekennender Vegetarier seit seiner Jugend. Das dürften für den Tönnies-Konzern schwierige Voraussetzungen in der Verhandlung sein, oder? Minister Özdemir weiß, dass es ohne Nutztierhaltung auch keine Hafer-Milch und keinen Salat mehr gibt. Tiere gehören auch bei einem Bio-Betrieb zu einem vernünftigen Kreislauf. Bio-Bauern dürfen gar keinen Kunstdünger verwenden und brauchen Gülle und Mist noch dringender als konventionelle Ackerbauern. Aber zur gesunden Ernährung scheint Fleisch beim Landwirtschaftsminister nicht zu gehören, denn er hat sich unlängst dafür ausgesprochen, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte zu streichen. Das hat Sie geärgert, oder? Ja, das hat uns geärgert. Fleisch in Maßen konsumiert ist sehr wertvoll, das bestätigt auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Besonders Kinder und ältere Menschen sind auf hochwertiges Eiweiß angewiesen. Der Verband der Fleischwirtschaft hätte sich nicht widersetzt, wenn eine Erhöhung der Mehrbesteuerung auf Fleisch angesetzt würde, die im Gegenzug gekoppelt wird an die Förderung zum Umbau einer besseren Tierhaltung. Mit der Förderung von Obst und Gemüse fördert man sämtliche Importware. Die Avocado aus Südafrika, die kein bisschen klimaeffizient ist, gilt dann als ernährungsfreundlich, während das Schwein aus OWL plötzlich böse ist. Das passt nicht. Es passt auch nicht, dass Tönnies in den sozialen Medien jede Menge Werbung macht für den Veganuary, den vegangen Januar, und Europas größter Schlachtkonzern mit seiner Gutfried-Marke erfolgreich Werbeclips ausspielt für den neuen, vegetarischen Räucherlaxx. Wieso? Der vegane Laxx schmeckt wirklich gut, das ist eine interessante Innovation! Wir sind zusammengefasst der größte Fleischkonzern, ja, aber Tönnies ist vor allem ein integrierter Lebensmittelkonzern. Wir haben neue Märkte im Blick und bieten dem Verbraucher die Wahl zwischen Veggie und Fleisch. Der Rückgang des Fleischkonsums scheint auch für Tönnies unabwendbar, oder? Für 90 Prozent der Bürger bleibt Fleisch ein Teil der normalen Ernährung und wir setzen auch weiter voll auf Fleisch. Wir wachsen im Bereich Veggie aber im Vergleich zum Gesamtgeschäft ist dieser Bereich noch klein. Das beängstigende ist, dass 30 Prozent des hier verzehrten Schweinefleisches nicht mehr aus Deutschland kommt. Wir bauen Tierhaltung ab, ändern aber das Ernährungsverhalten nicht. Während hier fünf Millionen Schweine weniger sind als noch vor fünf Jahren, sind es in Spanien sieben Millionen mehr – mit weniger Tierschutz und schlechter fürs Klima produziert. Haben Sie Landwirtschaftsminister Özdemir schon nach Rheda-Wiedenbrück eingeladen? Ja, wir haben ihn eingeladen, aber bisher hat es noch nicht geklappt. Vielleicht ist die mediale Aufmerksamkeit eines solchen Besuchs für ihn noch zu stark. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn er kommt. Sie geben damit das Stichwort Pandemie. Gilt die auch bei Tönnies als beendet? Ja. Der Krisenstab, den ich geführt habe, hat sich ein letztes Mal getroffen, wir werden die Runde jetzt auflösen. Und wir haben die Maskenpflicht im Betrieb beendet. Das war ein Tag großer Freude, als wir uns nach drei Jahren wieder anlächeln konnten. Wir sind froh, dass es vorbei ist.

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