Verkehrswende und Radfahrende - verpasste Chancen in Gütersloh

Im aktuellen Fahrradklima-Test ist Gütersloh in der Bewertung abgerutscht auf 3,9. Was bemängeln die Teilnehmer am meisten? DANIEL NEUHAUS: Der Fahrradklima-Test ist eine Befragung von Gütersloher Bürgerinnen und Bürgern. Die schlechtesten Bewertungen gab es bei Breite, Sicherheit und Oberfläche von Radwegen, bei den Ampelanlagen und der Fahrradmitnahme im ÖPNV. In all diesen Bereichen bekommen wir Noten, die noch deutlich unter dem Schnitt von 3,9 liegen. Und welche Note würden Sie persönlich verteilen? NEUHAUS: Die Benotung ist realistisch. Wer sich viel und intensiv mit dem Fahrradfahren auseinandersetzt, der kennt die Beispiele aus den Niederlanden oder Dänemark. Aber auch viele andere Länder ziehen an Deutschland vorbei und sind viel schneller in der Umsetzung der Konzepte. Deshalb steigt von mal zu mal die Erwartungshaltung der Bürger – und unsere auch. Umso enttäuschter sind wir natürlich, wenn es nur schleppend vorangeht. FRITZ SPRATTE: Die Frage der subjektiven Sicherheit rückt in den Vordergrund. Es ist auffällig, dass von vielen Radfahrenden sehr kritische Einschätzungen vorgenommen werden. THOMAS KARRASCH: Je weiter man in die Innenstadt kommt, umso schwieriger wird es für Radfahrer. Es ist nicht nur der Radweg selber mit seiner Beschaffenheit, sondern auch das Miteinander im Straßenverkehr. Man kann wirklich keinem Radfahrer empfehlen, die Brockhäger Straße als Weg in die Innenstadt zu nutzen. Rietberg hat beim Fahrradklimaindex kreisweit die Nase vorn. Warum eigentlich? NEUHAUS: Rietberg hatte in den letzten Jahren immer einen fahrradfreundlichen Bürgermeister. Natürlich hat ein Bürgermeister Einfluss auf den Kurs der Verwaltung. Rietberg ist darüber hinaus schon lange Zeit Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Fahrradfreundlichen Kommunen. Die Gütersloher Verwaltung hat das Bewerbungsverfahren jedoch auf Eis gesetzt. SPRATTE: Und muss sich seit letztem Jahr im Fahrradklima-Test mit Städten ab 100.000 Einwohner messen. Das ist eine andere Liga. Wenn so viele inspirierende Radweg-Modell im Ausland erprobt werden, warum gelingt es nicht, die ein oder andere Idee hier in Gütersloh umzusetzen? SPRATTE: Es gibt auch in Deutschland gute Beispiele, etwa in Bremen. Karlsruhe ist beim Fahrradklimaindex auf Platz eins gekommen und hat Münster überholt. Und warum? Weil man eine Planung gemacht hat, die einfach umgesetzt worden ist. Und den Leuten gefällt das. KARRASCH: Als ADFC-Vorstand arbeiten wir seit fünf Jahren zusammen und haben Druck ausgeübt auf Politik und Verwaltung, um in Fragen der besseren Mobilität weiterzukommen. Wir haben gute Vorschläge gemacht und versucht, eine ganze Menge zu bewegen. Letztlich scheitert es immer wieder daran, dass die Politik einfach nicht dahintersteht. Und die Verwaltung erklärt immerzu, dass keine Ressourcen vorhanden sind. Natürlich muss die Politik den gesamten Verkehr im Blick haben, aber man kann den Eindruck gewinnen, in Gütersloh wird der Fahrradfahrer nach ganz hinten geschoben. NEUHAUS: 2017 wurde in Gütersloh der sogenannte Masterplan zur klimafreundlichen Mobilität, von der Politik beschlossen. Er sieht vor, dass die umweltfreundlichen Verkehrsmittel und die Nahmobilität gefördert werden. Wenn es jedoch um die Umsetzung konkreter Maßnahmen geht, bei denen Interessen von Autofahrern berührt werden, dann passiert häufig nichts. Vor allem die großen Maßnahmen, die auch wirklich einen Effekt bringen, die werden gar nicht angepackt. "Politik muss mutig sein und einfach mal etwas ausprobieren!" Nennen Sie mal ein Beispiel. NEUHAUS: Es mangelt an Willen, die Innenstadt wirklich autoärmer zu machen. Das hohe Verkehrsaufkommen entlang der Blessenstätte und Kirchstraße ist ja kein neues Thema. Diese Autofahrer sind keinesfalls Leute, die alle in der Innenstadt einkaufen möchten, sondern die Straße als Abkürzung nutzen, obwohl es Alternativen wie die gut ausgebauten Ringstraßen gibt. Damit kann man einfach nicht zufrieden sein, denn eine Innenstadt lebt davon, dass ein menschenfreundliches Klima herrscht. Keiner möchte, dass man die Innenstadt nicht mehr mit dem Auto erreichen kann. Aber man muss den Durchgangsverkehr begrenzen, weil sich die Menschen dann wohler fühlen und lieber in der Innenstadt aufhalten. SPRATTE: Die aktuelle Diskussion um den Kreisverkehr an der Blessenstätte ist ein gutes Beispiel für die Kleinteiligkeit der Diskussion – die überhaupt nicht auf das Problem eingeht. Ich glaube in Gütersloh gibt es keine gemeinsame Idee davon, was eine lebens- und liebenswerte Innenstadt ausmacht. Der Autoverkehr hat Vorfahrt. Das ist natürlich ein generelles Problem. Die Straßenverkehrsordnung schreibt die Flüssigkeit des Verkehrs vor. Daran halten sich die Planer. Deshalb haben wir als ADFC die Erwartung an die neue Bundesregierung, dass die Verwaltungsvorschriften geändert werden und der Vorrang für den Autoverkehr gestrichen wird Es müssen andere Ziele beschrieben werden. Dann haben die Akteure vor Ort mehr Sicherheit, wenn sie Ideen umsetzen wollen. Gütersloh ist sehr konservativ und zurückhaltend. So lange das nicht im Gesetzbuch steht, wagt hier keiner etwas Neues. KARRASCH: Der Bürger merkt, das Klagelied des Kaufmanns ist in der Politik wichtiger als die Sicherheit der Radfahrer. Die Politik hätte beim Kreisverkehr an der Blessenstätte die Chance gehabt, etwas zu verändern. Man hätte wenigstens für ein halbes Jahr die Straße für den Durchgangsverkehr sperren können. Politik muss mutig sein und einfach mal etwas ausprobieren! ...wie die Sperrung der Schulstraße neulich? SPRATTE: Richtig! Die Schule selbst hat das Projekt entwickelt, um die Situation mit den Elterntaxis in den Griff zu bekommen. Der ADFC war beteiligt. Mit einigem Hin und Her hat das in Summe gut funktioniert. Alle Beteiligten waren zufrieden. Und was erwächst daraus? NEUHAUS: Die Verwaltung hat den Versuch beobachtet, wir haben jedoch seitdem keine Infos mehr erhalten. KARRASCH: Wir möchten nicht, dass auch dieses Projekt wieder einschläft! Elterntaxis sind inzwischen an jeder Gütersloher Schule ein Thema. Wie stehen Sie dazu? KARRASCH: Die Eltern werden dabei vorgeführt. Warum bringen Eltern ihre Kinder mit dem Wagen zur Schule? Sie haben das Vertrauen in den Verkehr verloren und haben Angst um ihre Kinder. Wenn man sein Kind an der Neuenkirchener Straße oder anderen Hauptstraßen entlangfahren lassen muss, habe ich volles Verständnis für diese Angst. NEUHAUS: An der Neuenkirchener Straße ist das Teilstück, das vom Stadtring aus in Richtung Rietberg geht, deutlich zu schmal und es gibt jede Menge unübersichtlicher Einmündungen. Es hat dort auf dem Radweg schon viele Unfälle gegeben. Um die Frage der Benutzungspflicht gibt es heftige Diskussionen. Auch wenn es sich paradox anhört: Unfallforscher sagen: Innerorts ist man als Radfahrer sicherer auf der Straße aufgehoben. Umgekehrt kann ich jeden verstehen, der auf der Neuenkirchener Straße nicht auf der Fahrbahn radeln möchte und dort schon gar nicht seine Kinder langschicken will. Aber warum muss immer der Rad- und Fußverkehr unter dem begrenzten Platz leiden? Warum findet man keine andere Lösung? SPRATTE: Es gibt in Gütersloh auch Elterninitiativen, wie an der Grundschule Isselhorst, die nach neuen Wegen für Kinder suchen, um zum Beispiel weg von der engen Haller Straße zu kommen. NEUHAUS: Es sollte aber nicht der Anspruch der Stadt sein, die Probleme von Elterninitiativen lösen zu lassen. Die Bedingungen in der Fläche müssen deutlich besser werden. Das müsste eines der übergeordneten Ziele der Verkehrsplanung sein. Das erkennen wir aber nicht. Ihre Forderung lautet: Kein neues Bau- oder Gewerbegebiet ohne eine leistungsfähige Fahrradanbindung. Sie blicken gezielt auf das Flughafen-Areal und das Mansergh Quartier. Reagiert darauf jemand? NEUHAUS: Wir haben uns beteiligt an der sogenannten vorgezogenen Bürgerbeteiligung. Auf unsere schriftlichen Eingaben haben wir noch kein Feedback bekommen. In Holland steht der Fahrradweg häufig schon, bevor das Wohn- oder Gewerbegebiet als Baufläche ausgewiesen ist. Die Anbindung wird von Anfang an mitgedacht. In Gütersloh plant man an der Mansergh Kaserne 1.000 neue Wohneinheiten aber es gibt keine mir bekannte Planung für eine verbesserte Abwicklung des Radverkehrs in die Innenstadt. SPRATTE: Es geht nicht darum, den Autoverkehr in Gütersloh durch den Radverkehr zu ersetzen. Es geht darum, die vereinbarten Ziele aus dem Masterplan praktisch werden zu lassen. Wenn neue Gewerbegebiete ausgewiesen werden, muss die Fahrradinfrastruktur mitgedacht werden. Das ist aber nicht nur der Radweg, sondern auch die Mobilitätsstation oder die Verknüpfung mit Bushaltestellen. KARRASCH: Es gibt gigantisch viele Fördermittel. Die werden gar nicht abgerufen. NEUHAUS: Eine leistungsfähige Verwaltung könnte hier eine Menge durchsetzen. Wir bekommen stattdessen häufig zu hören, dass die Verwaltung nicht genügend Personal hat. Ein Fall für den Fahrradbeauftragten der Stadt Gütersloh. Bestimmt haben Sie nach der Neubesetzung schon Kontakt aufgenommen, oder? NEUHAUS: Ja, wir haben den Kontakt zu Herrn Schwarzer gesucht und ihm einen guten Start gewünscht. Wir würden uns im neuen Jahr gerne schnell mit ihm zusammensetzen, denn dann wird es auch einen weiteren neuen Mitarbeiter im Bereich Mobilität geben. Natürlich hat auch die Stadt erkannt, dass es in diesem Bereich zu langsam vorangegangen ist. Mit der besseren Personalausstattung können jetzt auch größere Fortschritte erzielt werden. Das werden wir natürlich kritisch aber auch konstruktiv beäugen. Es hat viele personelle Wechsel gegeben, aber geht aus dieser Position eine Befugnis hervor? SPRATTE: Das ist genau der Punkt. Die Gütersloher Fahrradbeauftragten waren in den vergangenen Jahren meistens Berufseinsteiger, die diese Position als Chance begriffen haben. Mobilitätsmanager werden allerorts gesucht. Man muss sich fragen, ob die Fahrradbeauftragten in Gütersloh überhaupt Projekte hatten, die sie umsetzen konnten? Wenn nicht, regiert der Frust und es folgt der Wechsel. Es wird viel über ZOB und das neue Bahnhofsumfeld gesprochen. Fehlt Ihnen auch hier die Diskussion um die Fahrradanbindung? SPRATTE: Ja – auch das Fahrradparken wurde im Plan nicht wirklich berücksichtigt. Wir haben bereits gesagt, dass mindestens 800 Stellplätze im geplanten Fahrradparkhaus geschaffen werden sollten. Dann sind wir immer noch – auf die Einwohnerzahl umgerechnet – sehr weit von niederländischen Verhältnissen entfernt. Aber nicht nur auf die Anzahl der Stellplätze kommt es an. NEUHAUS: Genau! Wer nach 19 Uhr von der Arbeit aus Bielefeld kommt, kommt an sein Fahrrad nicht mehr ran, denn die Radstation macht schon um 19 Uhr zu und die raren Dauerstellplätze sind alle ausgebucht. Ab 20 Uhr fährt zudem kein Stadtbus mehr in Gütersloh, also steht man am Bahnhof und kommt nicht mehr weg. Wer wundert sich dann noch, dass die Leute ihr Auto nutzen. Zum Glück gibt’s die Tretroller. Das war schon häufig meine letzte Rettung. Aber natürlich muss sich hier etwas tun. Wir möchten es den Menschen leicht machen, auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umzusteigen. Dazu gehört auch, die Nutzung von Fahrrad und Bahn in Kombination attraktiv zu machen. In den Niederlanden ist es selbstverständlich, dass die Fahrradparkhäuser an den Bahnhöfen 24 Stunden am Tag zugänglich sind und man für das tageweise einstellen nichts bezahlen muss. Damit fördert man ÖPNV und Fahrrad gleichzeitig! Beim Fahrradparkhaus dürfen wir nicht vergessen: Wenn der Tunneldurchstich auf die andere Seite der Gleise kommt, benötigt man auch ein Fahrradparkhaus am Langen Weg, denn als Pendler möchten sie ihr Fahrrad nicht erst durch den Tunnel schieben um anschließend wieder zurück auf die Gleise zu laufen. "Holländer beneiden uns, weil hier das Geld nicht das Problem ist" Sie haben erfahren, dass gute Ideen nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden fallen. Frustriert das? NEUHAUS: In Teilen müssen wir uns das selber ankreiden. Wir können nicht erwarten, dass die Verwaltung von sich aus alle guten Ideen aufgreift. Die Verwaltung benötigt eine politische Legitimation, um handeln zu können. Also haben wir gelernt, Anträge zu schreiben. Umgesetzt wird dennoch wenig. SPRATTE: Es gab einen Bürgerantrag von uns, an der Friedrich-Ebert-Straße von der Feuerwehr bis zur Kaiserstraße eine &bdquo;Protected Bike Lane" einzurichten. Auch das ist nicht umgesetzt worden. Stattdessen gab es eine komplizierte Fahrrad-Umwege-Beschilderung, an die sich dann auch die wenigsten gehalten haben. KARRASCH: Fahrradfahrer sind keine Heiligen. Einige halten sich nicht an Regeln. Es ist aber nicht nur Ignoranz, teilweise ist es den Umständen geschuldet. Aber Politik und Verwaltung haben darauf zu achten, dass die Sicherheit von Radfahrern in einer bestimmten Grenze gewährleistet wird. Das wird in Gütersloh im Moment zu wenig gemacht. SPRATTE: Die Holländer beneiden uns, weil hier das Geld nicht das Problem ist. Das Problem ist die Umsetzung. Es gibt zu wenig Mut in der örtlichen Politik und Verwaltung, sich über bestimmte Gesetzmäßigkeiten hinwegzusetzen und Modellversuche zu starten. Ein Umstand, der sich verhältnismäßig leicht lösen ließe.

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