Diese Gütersloher Institution gibt's schon lange - aber kaum einer kennt sie

Gütersloh. Kaff und Kosmos, vielen Güterslohern ist dieser alliterative Gleichklang seit langem vertraut. Dass beides Tür an Tür vorzufinden ist, dass der piefige Nachbar mitunter überraschend weltläufig unterwegs ist, versetzt uns nur noch manchmal ins Staunen. Frank Ziegele, ein gebürtiger Stuttgarter, tut sich damit noch etwas schwer. Seit exakt 25 Jahren arbeitet er beim CHE, dem Centrum für Hochschulentwicklung, und wundert sich, wie wenig der Gütersloher über dessen Wirkmacht weiß. Das CHE sei in Gütersloh nahezu unbekannt, sagt Ziegele. Die Autofahrer, die auf der Verler Straße stadtauswärts brausen, nehmen das kleine Schild vor dem Gebäude Nr. 6 kaum wahr, und falls doch, dürften die wenigsten eine Vorstellung davon haben, was diese Einrichtung so tut. Wie auch? Öffentlich in Erscheinung tritt sie selten, allenfalls in Wissenschaftskreisen. Dort jedoch hat ihre Arbeit Gewicht, national wie international. Einst von Reinhard Mohn gegründet Ziegele findet den Kontrast zwischen örtlicher Wahrnehmung und überregionalem Ansehen misslich. 1996, zwei Jahre nach Gründung des CHE, stieg er als Referent ein, 2008 übernahm er die Geschäftsführung. Ziegele ist in Berlin, Brüssel und Nairobi unterwegs, er berät Ministerien und Kommissionen, sein CHE zählt zu den maßgeblichen Impulsgebern für die Gestaltung von Hochschulstrukturen in Deutschland und weltweit, doch kommt er beim Bäcker in Isselhorst ins Plaudern mit seinem Nebenan, blickt er oft in fragende Gesichter: &bdquo;Sie machen was?" Vielleicht hilft der Hinweis auf Reinhard Mohn. Der Bertelsmann-Grande hatte das CHE einst mit Hans-Uwe Erichsen, dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, gegründet: Sie waren der Ansicht, das deutsche Hochschulsystem benötige Rat und Impulse von außen. Gemeinsam formten sie das CHE als ein Modell öffentlich-privater Partnerschaft, mit der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz als Gesellschafter. Sitz: Gütersloh. Ziel: die Hochschulen besser machen. Trial statt dual: Wie wäre es künftig mit einer solchen Ausbildung? &bdquo;Ich glaube, das kriegen wir ganz ordentlich hin", sagt Ziegele. Das CHE werde im Wissenschaftsbetrieb als verlässlicher Partner akzeptiert und geschätzt. &bdquo;Wir sind keine Einrichtung, die irgendwas ausheckt und dann an der Realität scheitert, sondern wir arbeiten lösungsorientiert." Praxisnähe statt Elfenbeinturm. Ziegele und seine Mitarbeiter fahren zu den Hochschulen raus und prüfen, ob das, wozu sie geraten haben, funktioniert. Manchmal geht es um Finanzthemen, manchmal um praktikablere Modelle von Universitätsverwaltung, manchmal um Digitalisierung. Oft kümmert sich das CHE um grundlegende Fragen: Wie lassen sich Uni und betriebliche Ausbildung besser verzahnen? Sollte es künftig neben einer dualen so etwas wie eine triale Ausbildung geben: Berufsschule, Hochschule, Firma? Und wie bringt man in solche Kombinationen von akademischer und praktischer Lehre ein hohes Maß an Flexibilität hinein? Warum sollen sich 500 Studenten in den Audimax quetschen? Weitere Fragen: Wie praxisnah lässt sich die Ausbildung für Gesundheitsberufe gestalten? Welches Gewicht gebührt dem Numerus clausus in diesem Zusammenhang noch? Welche akademischen Modelle kann man entwickeln, um Quereinsteiger-Lehrer besser zu begleiten? Welche Schlüsse – hochaktuell! - lassen sich aus der Pandemie-Erfahrung ziehen? Sind etwa Hybridmodelle – Mischformen aus Präsenz- und Heimstudium – geeigneter, um Studenten etwas beizubringen? Wäre es nicht sinnvoller, wenn sich die Studenten die Vorlesungen zuhause im Stream ansehen, statt sich mit 500 Kommilitonen in den Audimax zu quetschen? Vor allem letztere Fragen interessieren Ziegele gerade brennend. &bdquo;Die Hochschulen gehen aus der Corona-Notlage nun in eine Phase über, in der es möglicherweise sinnvoll wäre, Online mit Präsenz zu verknüpfen. Welche Modelle bieten sich dafür an?" Ziegele probiert das auch selbst aus. In seiner Professur für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Uni Osnabrück ist er dazu übergegangen, seine Vorlesungen aufzuzeichnen und den Studenten in konsumierbare 20-Minuten-Häppchen vorzusetzen. Wenn sie nun in den Hörsaal kommen, setzt er voraus, dass sich das alle angesehen haben und er gleich in die Diskussion oder in Übungen einsteigen kann. Ziegele empfindet das wie eine Umkehrung des bisherigen Ablaufes: Reines Zuhören und Aufnehmen passiert zuhause, das Praktische, Diskursive in der Uni. &bdquo;Spannend. Vielleicht ist das tausendmal besser als früher." Die meisten Aufträge kommen von den Ministerien Am Digitalisierungs- und Hybridthema arbeiten derzeit sechs Mitarbeiter aus Ziegeles CHE-Team. Den Auftrag dazu haben sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erhalten. Ohnehin zählen die Ministerien auf Bundes- und Länderebene zu den engsten Partnern der Gütersloher. Gemeinsam stielen sie Projekte ein, lassen Studien erstellen, Vorschläge erarbeiten. Weitere Aufträge kommen von der EU-Kommission, Stiftungen, Bildungsverbänden und Hochschulen. Fürs CHE ist das auch aus finanziellen Gründen wichtig: Nur für ein Drittel des Budgets kommt die Bertelsmann Stiftung auf, die beiden anderen Drittel müssen Ziegele & Co. über Projekte einwerben. Bei vier Millionen Euro lag das Jahresbudget zuletzt – genug, um 46 Leute zu beschäftigten. Die meisten Mitarbeiter sind Geistes-, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler, auch Kaufleute, Presse- und IT-Spezialisten sind im Team. Die Geschäftsführung teilen sich Ziegele und Jörg Dräger – wobei Dräger Ende des Jahres geht und ohnehin eher im Vorstand der Bertelsmann Stiftung tätig ist. Ein Uni-Präsident hat vom Verwalten mitunter wenig Ahnung Die nebenberufliche Professur in Osnabrück innezuhaben, passt laut Ziegele bestens zu seinem CHE-Job: Seit 2004, seit er dort lehrt, hat er 600 Absolventen ausgebildet – Menschen, die nun in den Hochschulverwaltungen sitzen und exakt jenes Wissen anwenden, das sie bei ihm gehört haben und das das CHE fortlaufend generiert. Ähnlich verhält es sich bei einem anderen CHE-Modul – dem Training für die Vizepräsidenten an den Unis. Auf diese Idee kamen die Gütersloher, als sie feststellten, dass die Hochschulpräsidenten oft nur deshalb auf ihre Posten berufen wurden, weil sie sich ihre Meriten durch Forschungen und Veröffentlichungen, sprich: ihr Renommee verdient hatten. Ob sie das aber befugt, auch einen Hochschulbetrieb mit tausend Beschäftigten leiten zu können, wwar nachrangig. Das CHE versucht nun, die Voraussetzungen zu verbessern: Von den Vizepräsidenten, die es bei den Fortbildungen im Gräflichen Park von Bad Driburg schult, leitet inzwischen mehr als ein Dutzend eine Hochschule. Das bekannteste Projekt: Hochschulranking. Welche Uni passt am besten? Das bekannteste Projekt des CHE ist allerdings ein anderes: Hochschulranking. &bdquo;Das ist das, womit man uns am ehesten verbindet", sagt Ziegele. Vor mehr als 20 Jahren entwickelt, zog die Idee um die Welt. Spanien, Sri Lanka, Kenia: Immer wieder, auch heute noch, kommen neue Anfragen für ein Ranking nach Gütersloher Vorbild. Reinhard Mohn stand auf solche Vergleiche. Nationen, Bildungssysteme, Gesellschaftsformen – wer vergleicht, schafft Transparenz und Anreiz zu Verbesserungen, so der Gedanke Mohns. Im medizinischen Bereich hat sich beispielsweise die &bdquo;Weiße Liste" etabliert, ein Internetportal, das bei der Suche nach Ärzten, Krankenhäusern und Pflegeheimen hilft, im Hochschulbereich das Ranking. Dass dieser Uni-Vergleich anfangs wie eine Bundesligatabelle daherkam, allzu leistungsbetont und undifferenziert, trug dem CHE Kritik ein – manche Unis und Fakultäten scherten aus und verweigerten ihre Mitarbeit. Zudem hielten Kritiker dem CHE vor, eine neoliberale Umgestaltung des Hochschulsystems zu forcieren. Es betreibe Lobbyarbeit, um die Akzeptanz von Studiengebühren und Eliteuniversitäten zu erhöhen. Skeptisch sahen manche auch die Nähe zum Bertelsmann-Konzern. Der FH-Standort Gütersloh bekäme gute Noten Diese Kritik habe sich verflüchtigt, sagt Ziegele. Das Hochschulranking sei längst universell anerkannt. Es werfe eben nicht alles in einen Topf und beurteile Hochschulen nur nach Publikationen und Forschungsleistung, sondern berücksichtige auch Kriterien wie Praxisorientierung, Studentenbetreuung, Einbindung ins regionale Umfeld oder Kooperation mit Unternehmen. Beispiel Fachhochschule Bielefeld, Standort Gütersloh: Nach früheren Kriterien fiele er durch, nach aktuellen sei er topp, erst recht mit einem künftigen Campus im Mansergh-Quartier. Einen weiteren Schub brachte die Anerkennung 2014 durch die EU: Seither gibt es mit U-Multirank auch ein globales Konzept. Wie wertvoll das Ranking für angehende, noch orientierungslose Studenten sein kann, zeigt eine Zahl: Sie können aus mehr als 20.000 Studiengängen auswählen. Hilfreich ist dabei auch ein anderes Projekt: der &bdquo;Studienführer". Jahr für Jahr bringt das CHE ihn gemeinsam mit der Wochenzeitschrift Die Zeit heraus. Bundes- und weltweit unterwegs, aber in Gütersloh verankert zu sein – diesen Spagat vollzieht Ziegele täglich. Gewissermaßen spiegelt sich das auch innerfamiliär: Ehefrau Christiane ist für die BfGT im Stadtrat aktiv. Politik, die wirkt und direkt bei den Menschen ankommt: Das finden sie beide sinnvoll.

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