OWL Crime - mit Podcast

"Todesengel von Gütersloh": Deshalb tötete ein Pfleger zehn Patienten

Kollegen haben früh einen Verdacht gegen den Hilfspfleger der Westfälischen Klinik, doch die Polizei wird nicht eingeschaltet. In der aktuellen Podcast-Folge geht es um den plötzlichen Tod von zehn Patienten.

Die grauenvollen Taten von Wolfgang L. lösen ein enormes Medieninteresse aus. | © Wolfgang Wotke

23.11.2023 | 16.01.2024, 17:28

Gütersloh. Der Tod ist in Pflegeheimen und Krankenhäusern allgegenwärtig. Nicht immer kann die Kunst der Ärzte verhindern, dass Patienten sterben. Manchmal allerdings sterben sie, weil Pfleger oder Krankenschwestern es so wollen.

Der Todesengel von Gütersloh - alle Fakten im Überblick

  • Zehn Patienten wird in der Westfälischen Klinik Luft injiziert, woraufhin sie sterben.
  • Der erste Verdächtige ist Pfleger Wolfgang L., aber außer einem Gespräch unter vier Augen passiert nichts. Die Polizei wird vorerst nicht eingeschaltet.
  • Durch den Tod der 86-jährigen Margarete Z. kommen die schlimmen Taten von Wolfgang L. ans Licht.
  • Ihr behandelnder Arzt entdeckt mehrere Einstiche an den Oberarmen und meldet das dem ärztlichen Direktor.
  • Die Obduktion ergibt, dass der Seniorin Luft gespritzt wurde und sie daran gestorben ist - sowie zehn weitere Verstorbene.
  • Das Urteil lautet 15 Jahre Haft aufgrund von Totschlag.

Ein dunkles Kapitel der Westfälischen Klinik

Die Gefahr, dass Patientenmorde lange Zeit unentdeckt bleiben, ist deshalb besonders groß. Zweifel kommen meist erst dann auf, wenn die Todeszahlen ungewöhnlich hoch sind. So war das auch bei Wolfgang L., einem Pfleger aus der Westfälischen Klinik in Gütersloh. Vor 31 Jahren hat er getötet, indem er zehn kranken Menschen Luft in die Venen injizierte. Der Fall ist eine schmerzhafte Erinnerung an ein dunkles und schamvolles Kapitel in der Geschichte der Klinik.

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Schon im September 1990 gibt es einen ersten Verdacht. Im Fokus: Wolfgang L., damals 36 Jahre jung. Er arbeitet auf der "Inneren I und II" der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie. Dort werden vor allem alte und gebrechliche Patienten betreut, gepflegt wie auch behandelt, die arg- und wehrlos in ihren Betten liegen.

Die Angelegenheit wird zunächst unter den Tisch gekehrt

Im Dezember 1990 kommt die ganze Tragödie in der Westfälischen Klinik ans Licht. - © Wolfgang Wotke
Im Dezember 1990 kommt die ganze Tragödie in der Westfälischen Klinik ans Licht. | © Wolfgang Wotke

Der Hilfspfleger wird zu Anfang intern verdächtigt, nicht verordnete Medikamente zu verabreichen und damit lebensbedrohliche Komplikationen verursacht zu haben. Doch die Polizei wird vorerst nicht eingeschaltet. Nur unter vier Augen wird "informell" herumgeredet, und die prekäre Angelegenheit ohne Ergebnis einfach unter den Tisch gekehrt. Schließlich steht zu diesem Zeitpunkt gerade wieder eine große Fortbildungswoche an. Unruhe in der Klinik kann man da überhaupt nicht gebrauchen.

Am 17. Dezember kommt die ganze Tragödie endlich ans Licht. Für die 86-jährige Margarete Z. ordnet der zuständige Stationsarzt am Morgen ein Elektrokardiogramm (EKG) an, denn die alte Dame leidet an einer Herzschwäche. Wolfgang L. will helfen. Doch plötzlich wendet er sich noch vor dem Eingriff an den Mediziner und gibt an, dass Margarete Z. gerade verstorben sei.

Die 86-Jährige ist sein letztes Opfer

Der überraschte Arzt ist sofort skeptisch, untersucht die Rentnerin und entdeckt mehrere Einstiche an den Oberarmen. Das alles meldet er allerdings erst drei Tage später Dr. Klaus Dörner, dem ärztlichen Direktor. Dann geht alles ganz schnell. Der Leichnam wird obduziert, mit einem verheerenden Befund: Die Seniorin ist mit Luft totgespritzt worden. Sie ist sein letztes Opfer. Wolfgang L. wird verhaftet. Er gesteht zunächst 14 Tötungen.

Die Ermittlungen der Kripo bringen die gesamte Mordserie ans Licht. Sechzehn Verstorbene lässt die Staatsanwaltschaft Bielefeld exhumieren, zehn davon hält man für nachweisbar. Wolfgang L. wird angeklagt. Er soll, so steht es in der Anklageschrift, zehn Menschen, drei Männer und sieben Frauen, heimtückisch ermordet haben. Im Oktober 1992 beginnt der Prozess gegen ihn vor dem Schwurgericht in Bielefeld.

Angeklagte galt nach Zeugenaussagen als unbeliebt im Krankenhaus

Die Polizei lässt die Opfer von Wolfgang L. exhumieren. - © Wolfgang Wotke
Die Polizei lässt die Opfer von Wolfgang L. exhumieren. | © Wolfgang Wotke

Während der Verhandlungstage sagen Arbeitskollegen aus, dass der Beschuldigte im Krankenhaus unbeliebt gewesen sei. „Er ist ungeschickt, kann mit schwerkranken Menschen nicht besonders gut umgehen und schluckt das Mobbing seiner Kolleginnen unkommentiert. "Er ist ein richtiger Unsympath", berichtet eine Zeugin. Wolfgang L. nennt für sich eine "krause Mischung von Mitleid mit den Hilflosen, eigenem Gefühlsdurcheinander, Angst vor Krankheit und Tod." Ein fadenscheiniges Motiv.

Der Auftritt von Klaus Dörner vor Gericht ist ein Höhepunkt des Verfahrens. Er spricht von "fürsorglichem Luxus", der auf der Inneren I angeboten worden sei. Es sei "halt üblich", sagt er auf Frage eines Sachverständigen, dass sich das Pflegepersonal einer internistischen Station in der Psychiatrie als "Abschiebestation, Mülleimer, Stiefkind" vorkomme.

Klinikchef soll Verdachtsmomenten nur halbherzig nachgegangen sein

In einer schriftlichen Ergänzung seiner Zeugenaussage schreibt er später: "Es wird niemandem gelingen, mir in Deutschland eine internistische Station zu nennen, in der die Voraussetzungen für das Ernstnehmen psychosozialer Probleme von Patienten und Mitarbeitern so günstig waren wie auf unseren Stationen."

Zuvor sind Vorwürfe gegen den Klinikchef laut geworden, er sei den Verdachtsmomenten im eigenen Hause nur halbherzig nachgegangen. Viele Kollegen berichten in den späteren Vernehmungen über ihre Angst, einen vertrauten Mitarbeiter vorschnell und zu Unrecht zu beschuldigen.

Richter sieht in seinem Urteil nur Totschlag und keinen Mord

Im Juli 1993 wird Wolfgang L. schließlich zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt. Der Vorsitzende Richter Walfried Woiwode sieht in seiner Urteilsbegründung allerdings nur Totschlag und keinen Mord. Der ehemalige Pfleger ist seit Ende der 2000er Jahre wieder auf freiem Fuß. Nach Informationen dieser Zeitung soll Wolfgang L. zuletzt bei einem deutschen Telekommunikationsunternehmen im Außendienst gearbeitet haben. Wo er heute lebt, ist nicht bekannt.