Knapp 60 Kneipen in Gütersloh geschlossen - kaum noch Traditionslokale vor Ort

Gütersloh. 59 ehemalige Kneipen stehen auf Wolgang Hempels Liste. Ein ernüchternder Anblick. Westfalenkeller, Dalkekrug, Beckskeller und Co. Alle nicht mehr da. Gemeinsam mit seinem Stammtisch hat der Hempel etliche Kneipen notiert, die in den vergangenen Jahren in der Dalkestadt dicht gemacht haben. Die Anzahl macht den Gütersloher betroffen. "Es geht immer mehr Tradition verloren." Der 69-Jährige ist schon immer gerne in Kneipen gegangen, genau wie sein Vater und Großvater. Vor allem für letzteren sei es nach einer langen Arbeitswoche ganz normal gewesen, das Wochenende am Freitagabend in der Stammkneipe bei ein paar Gläsern Bier ausklingen zu lassen. "Man kannte sich dort, hat sich ausgetauscht und die neusten Geschichten mitbekommen." Mal sei Skat gespielt oder der Knobelbecher hervorgeholt worden. Ein Kaffe und eine Frikadelle im Bremer Schlüssel Hempel selbst hatte auch schon viele Stammkneipen, die meisten gibt es heute nicht mehr. Was ihm noch geblieben ist, ist der Bremer Schlüssel - direkt neben der Gütersloher Stadtbibliothek. Einmal die Woche ist er mit seinem Stammtisch mindestens vor Ort. Am liebsten samstags nach der obligatorischen Runde auf dem Wochenmarkt. "Dann gibt's aber meistens nur einen Kaffee für mich und meine Frau", sagt er und lacht, "und vielleicht mal eine Frikadelle oder eine Wurst." Viel wichtiger seien eh die Gespräche, die Gesellschaft und die lockere Atmosphäre. Wolfgang Hempel ist froh, dass der Bremer Schlüssel sich gehalten hat - als eine Kneipe von nur ganz wenigen. Andreas Kerkhoff, Gütersloher Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands kennt das Problem, mit dem viele Wirte zu kämpfen haben: Das Ausgeh- und Trinkverhalten der Menschen hat sich laut dem Experten grundlegend geändert. "Ging man früher nach der Arbeit noch jeden Tag ein Feierabendbier in der Kneipe um die Ecke trinken, so ist es heute das Glas Sekt oder der Aperol Spritz vor dem Essen im Restaurant. Einmal, maximal zweimal die Woche." Heute wird nicht mehr so viel Alkohol getrunken Es werde längst nicht mehr so viel Alkohol getrunken als noch vor zehn Jahren, sagt Kerkhoff. Die junge Generation gehe heute eher in Szene-Lokal statt in eine herkömmliche Kneipe. Häufig werde auch zuhause schon "vorgeglüht", so dass in der Gastronomie ohnehin gar nicht mehr so viel Umsatz hängen bleibe. Zudem werde der Verwaltungsaufwand immer größer und die Betriebs- und vor allem auch Warenkosten immer teurer. "Da fällt es den Kneipen schwer, noch vernünftigere Deckungsbeiträge zu erzielen und überhaupt Rücklagen zu bilden, die aktuell dringend benötigt werden." Ein weiteres großes Problem: Viele Wirte würden niemanden finden, der ihren Betrieb übernimmt. Die Arbeit im Gastgewerbe sei häufig hart - der Ton oft rau, sagt der heimische Gewerkschaftssekretär Thorsten Kleie. Viele Wirte, die altersbedingt aufhören, seien schon jahrelang vorher auf der Suche nach Nachfolgern - vergeblich. Erste Betriebe im Kreis Gütersloh geben wegen der Corona-Krise auf Die Corona-Krise hat diese ohnehin schon schwierige Situation vieler Gastronomen noch mal verschärft. Erst durften Restaurants, Kneipen und Cafés wochenlang gar nicht aufmachen - dann nur mit begrenzter Gäste-Anzahl.Seitdem kämpfen Wirte und Co. vielerorts ums Überleben. Zwei Hotel-Restaurants in Gütersloh und Steinhagen mussten bereits ganz aufgeben. Die Betriebe mit Außenbereich seien noch vergleichsweise gut durch den Sommer gekommen, berichtet Andreas Kerkhoff. "Jetzt in der vor uns liegenden Herbst- und Wintersaison sieht das ein wenig anders aus. Das klassische Thekengeschäft, wo die Gäste dicht gedrängt an der Theke stehen und sich angeregt unterhalten, wird es so in der Form definitiv nicht gegeben. Weniger Plätze und mehr Abstand, kann dazu führen, dass ein rentables Geschäft in der Kneipe sehr schwer wird." Sind Kneipen bereit für neue Konzepte? Thorsten Kleie von der NGG pocht darauf, dass Wirte Konzepte, Angebote und Arbeitsbedingungen gegebenenfalls auf den Prüfstand stellen und Bereitschafts zeigen müssen, etwas zu verändern. "Heutzutage ist es wichtig, zum Beispiel mit besonderen Events oder auch Einmal-Angeboten in Verbindung mit den Sozialen Medien auf sich aufmerksam zu machen. Man muss die Menschen schlichtweg einfach mal fragen, damit man auf ihre Wünsche eingehen kann." "Man sollte die Kneipen im Kreis Gütersloh zum Weltkulturerbe machen" Dass Traditions-Kneipen in Gütersloh aber ganz von der Bildfläche verschwinden, müsse man unbedingt verhindern - da sind sich beide Experten einig. Andreas Kerkhoff geht sogar noch weiter und sagt: "Man sollte die Kneipen im Kreis Gütersloh zum Weltkulturerbe machen." Sie seien oftmals eng mit der jeweiligen Stadt verbunden. Wenn man etwas über die Stadt erfahren möchte, in der man lebt, solle man am besten in eine Kneipe gehen. "Dort trifft man nicht selten die Ureinwohner der Stadt und nur dort gibt es die wahren Geschichten. Wir brauchen diese Kneipen im Kreis, damit die alten Geschichten noch weiterleben."

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