Nach Corona-Ausbruch beim Tönnies-Konzern steht Gütersloh unter Schock

Kreis Gütersloh. Einen allgemeinen Lockdown im Kreis Gütersloh wird es nach Beschluss von Landrat Adenauer zunächst nicht geben. Dennoch haben die neuen Corona-Fälle heftige Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Die Schulen und Kitas sind ab heute wieder geschlossen – es herrscht Notbetreuung. Die Werkvertragsnehmer der Firma Tönnies, die Beschäftigte in der Zerlegung einsetzen, wurden angewiesen, dass die Arbeiter und alle nahen Kontaktpersonen bis auf weiteres ihre Wohnungen und Unterkünfte nicht verlassen dürfen. Alle Tönniesmitarbeiter, an die 7.000 Menschen, sollen erneut auf das Corona-Virus getestet werden. &bdquo;Und ich appelliere auch an alle, die nicht bei Tönnies arbeiten, aber in Kontakt mit den dort beschäftigten Menschen stehen, sich aus dem öffentlichen Raum heraus zu halten", sagte Landrat Sven-Georg Adenauer. Bisher sei das Infektionsgeschehen auf den &bdquo;Hotspot" Zerlegebetrieb beschränkt und noch nicht auf den Kreis Gütersloh übergeschwappt, machte Krisenstabsleiter Thomas Kuhlbusch deutlich. "Wir können uns nur für diese Situation entschuldigen" Bei der Pressekonferenz im Kreishaus zeigten sich die beiden Tönnies-Vertreter – Pressesprecher André Vielstädte und Pandemie-Beauftragter Gereon Schulze Althoff – längst nicht so forsch wie sonst, wenn es um das Unternehmen geht. &bdquo;An erster Stelle steht der Schutz unserer Mitarbeiter und der Menschen im Kreis Gütersloh. Erst danach geht es um das Unternehmen", sagte Vielstädte. &bdquo;Wir können uns nur für diese Situation entschuldigen." Seit Ende Februar habe man gekämpft &bdquo;wie die Löwen", um das Virus aus dem Betrieb heraus zu halten, so Schulze Althoff. Das sei auch drei Monate gut gegangen. Bis zur Reihentestung habe man mit vielen Maßnahmen und Disziplin Covid-19-Infektionen verhindern können. Wie es zu dem jetzigen Ausbruch kommen konnte, darauf hatte das Unternehmen auch noch keine schlüssige Antwort. Reiserückkehrer aus Osteuropa könnten ein Grund sein, die klimatischen Bedingungen im Zerlegebetrieb, wo die Menschen dicht beieinander arbeiten, ein anderer. &bdquo;Unser Unternehmen ist nicht für die Pandemie gebaut." Bürgermeister: Harter Schlag für sehr viele Familien Einen &bdquo;harten Schlag für sehr viele Gütersloher Familien", nannte Bürgermeister Henning Schulz die Ereignisse. &bdquo;Ich habe vollstes Verständnis für die Verärgerung und Enttäuschung und hätte mir selbst auch alles andere als das gewünscht. Aufgrund des hohen Infektionsgeschehens hat der Kreis Gütersloh als zuständige Behörde Maßnahmen getroffen, die er für geeignet hält." Mit Bezug auf das System Werkvertragsarbeiter hält Schulz fest: &bdquo;Es zeigt sich heute einmal mehr und überdeutlich: Dieses Prinzip ist nicht zukunftsfähig." &bdquo;Wie viele Mitarbeiter von Tönnies sind in Gütersloh betroffen und gibt es genügend Notunterkünfte?" Diese Frage möchte Volker Richter (SPD) schnellstmöglich geklärt wissen. Richter ist Vorsitzender des Runden Tisches zur Verbesserung der Lebenssituation von Werkvertragsarbeitern. &bdquo;Die Firma Tönnies muss jetzt schnell Auskunft geben. In einem zweiten Schritt müssen wir aber die Konsequenzen ziehen, auch hier vor Ort in Gütersloh." Da zu zähle auch die Frage, ob die verursachenden Unternehmen an den entstehenden Mehrkosten beteiligt würden. Richter: &bdquo;Die existenziellen Probleme der Eltern verschärfen sich dadurch. Wer hat so lange Urlaub, um die Kinder zuhause betreuen zu können?" REAKTIONEN DER SCHULEN &bdquo;Am Mittwoch sind einige Kinder und Lehrerinnen bei der Nachricht in Tränen ausgebrochen. Für die Kinder ist es sehr verstörend, dass sie sich ständig auf neue Situationen einstellen müssen", sagt Claudia Damian, Rektorin der Grundschule Isselhorst. Erst seit drei Tagen läuft der Betrieb in den Grundschulen. Der sei recht harmonisch und entspannt gelaufen. &bdquo;Wir sind alle ziemlich geschockt von dieser neuen Entwicklung." &bdquo;Wir kriegen das organisatorisch hin, weil wir das hinkriegen müssen", fasst Schulleiter Axel Rotthaus (Städtisches Gymnasium) die Situation zusammen. Die Notfallbetreuung – genannt Lernstudio – dürfe weiter stattfinden. &bdquo;Die Zeugnisse können wir nicht an die Schüler ausgeben, die schicken wir mit der Post raus", so Rotthaus. 1.400 Zeugnisse müssen also kuvertiert und verschickt werden. Die anderen Schulen könnten dem Beispiel folgen, was zu einer Überforderung der städtischen Poststelle führen könnte. &bdquo;Am Freitag beginnen die mündlichen Nachprüfungen für das diesjährige Abitur. Die dürfen zum Glück stattfinden", erklärt Schulleiter Jan Rüther (Anne-Frank-Gesamtschule). Wie man nun mit den im kleinen Rahmen geplanten Entlassfeiern für Abiturienten und Zehnerjahrgängen umgehe, ist noch offen. &bdquo;Dafür müssen wir zeitnah Lösungen schaffen." SO GEHT ES DEN ELTERN &bdquo;Die Gütersloher Eltern sind entsetzt!" so Christian Beckmann von der Gütersloher Stadtschulpflegschaft. &bdquo;Das Hin und Her der letzten Wochen/Monate zermürbt die Eltern und vor allen Dingen die Kinder." Es sei quer durch alle Rückmeldungen der Eltern an die Stadtschulpflegschaft Gütersloh unverständlich, wie es sein könne, dass trotz Testungen bislang kaum positive Befunde vermeldet wurden, &bdquo;und jetzt, mit einem Schlag, haben wir Heinsberger Verhältnisse." Die Eltern pendelten zwischen Wut und Existenzangst. &bdquo;Das verkraften auch viele Kinder mental überhaupt nicht." REAKTIONEN DER POLITIK Auch aus der Politik gab es Reaktionen. Die grüne Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann meinte: &bdquo;Die Bedingungen, unter denen tausende Menschen dicht an dicht in der Fleischindustrie arbeiten und beengt wohnen, sind seit langem bekannt. Mit der Ausbeutung in der Schlachtbranche muss endlich Schluss sein." Die SPD-Bundestagsabgeordnete Elvan Korkmaz-Emre nannte &bdquo;die unfassbar hohe Zahl" an positiven Tests bei Tönnies &bdquo;dramatisch". &bdquo;Wir müssen die medizinische Versorgung sicherstellen und eine Dynamisierung des Infektionsgeschehens über den Betrieb hinaus verhindern", meinte sie. Und die SPD-Kreistagsabgeordnete Liane Fülling, die bereits im Gesundheitsausschuss die Zahlen immer kritisch hinterfragt hatte, sagte: &bdquo;Wieso hat man erst Dienstag wieder mit eigenen Tests angefangen? Hat man sich von den Ausführungen der Tönnies-Manager im Kreisausschuss am 11. Mai einlullen lassen?" Es sei allerhöchste Zeit gewesen, den Betrieb stillzulegen. DAS SAGEN DIE BAUERN &bdquo;Meine Berufskollegen und ich sind schon sehr nervös", sagt Andreas Westermeyer, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes. Der Verler ist selbst Schweinemäster – wenn der Schlachtriese runtergefahren wird, steht für die Landwirte viel auf dem Spiel. &bdquo;Wir setzen darauf, dass Tönnies auch andere Betriebe hat, die unsere Tiere abnehmen, oder dass andere Schlachthöfe Kapazitäten übernehmen." Eine Woche könnten Landwirte den Shutdown von Tönnies überstehen. Er sagt: &bdquo;Kann die Krise jetzt überwunden werden, wenn Tönnies eine Woche nicht schlachtet, ist allen geholfen." Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), steht nach eigenen Angaben in engem Austausch mit Tönnies. Die Schweine würden zu anderen Tönnies-Schlachtbetrieben umgeleitet, auch andere Betriebe würden Schweine aufnehmen und verarbeiten. &bdquo;Wir hoffen, dass die Preise stabil bleiben." Antonius Tillmann, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Bezirksverbandes OWL, fordert für die Menschen, die Fleisch verarbeiten, Bedingungen &bdquo;die wir befürworten können". &bdquo;Es wäre wünschenswert, wenn die Verbraucher bereit wären, das zu entlohnen." Er fordert: &bdquo;Wir brauchen dringend einen Dialog mit der Gesellschaft." DIE VEREINE HANDELN Der FC Gütersloh und der SC Wiedenbrück stellen wegen des aktuellen Corona Ausbruchs mit sofortiger Wirkung den Trainingsbetrieb bis auf weiteres ein. Betroffen sind in Wiedenbrück alle Mannschaften der Jugend-Abteilung, sowie die Damen- und Herren-Mannschaften.

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