NGG-Gewerkschaftler Thorsten Kleile: "Die Gastronomie fordert leider nur"

Herr Kleile, Sie wären wohl mit einem anderen Thema als Kurzarbeit am 1. Mai auf den Dreiecksplatz nach Gütersloh gekommen. Jetzt dürfen Sie am Feiertag selber mal verschnaufen, weil keine Kundgebung stattfindet. Was halten Sie eigentlich von dem Instrument Kurzarbeit? Thorsten Kleile: Das Instrument finde ich gut, die Ausgestaltung nicht. Die Vereinbarungen gerade im Bereich Gastgewerbe und Bäckerhandwerk sind relativ ähnlich gelagert. Die Verträge sind ziemlich offen und flexibel für den Arbeitgeber ausgestaltet. Das kritisieren wir durchaus. Warum denn?Kleile: Letztlich dient die Kurzarbeit dem Zweck, dass der Arbeitsplatz erhalten wird. Der Arbeitgeber spart die Lohnkosten dafür, dass keine Arbeit geleistet und kein Geld verdient werden kann. Wenn man vor diesem Hintergrund eine Vereinbarung zur Kurzarbeit schließt, die ja arbeitsrechtlich gesehen nichts anderes als eine Vereinbarung zur Reduktion der Arbeitszeit ist, verzichten die Beschäftigten auf Arbeitszeit und somit auch auf Lohn. Das wird kompensiert durch das geringere Kurzarbeitergeld von der Agentur für Arbeit. Nun wäre die logische Gegenleistung, dass in den Vertrag der Erhalt des Arbeitsplatzes aufgenommen wird, also als Gegenleistung ein Kündigungsschutz vereinbart wird. Aber das habe ich in keiner einzigen Vereinbarung gelesen. Ist es schon zu Kündigungen gekommen? Kleile: Das hat mich noch nicht erreicht. Ich weiß nur von jemandem, der gekündigt worden ist, weil er im Zusammenhang mit Arbeitsausfall keinen Teildienst leisten wollte – also eine täglich geteilte Arbeitszeit mit längerer Unterbrechung. Dies war aber arbeitsvertraglich nicht vorgesehen. Die Anweisung zum Teildienst war also rechtswidrig. NRW hat sich auf einen Dreistufenplan geeinigt. Demnach sieht es so aus, dass die Gastronomie am 11. Mai wieder öffnen darf. Mit welchen Schäden rechnen Sie für die Branche? Kleile: Unterstellen wir mal, dass es am 11. Mai klappt, dann reden wir über einen Zeitraum von ungefähr eineinhalb Monaten Lockdown. Man wird durchaus damit rechnen müssen, dass es Betriebe gibt, die daran kaputt gehen. Aus meiner Sicht wird das nur relativ junge Betriebe betreffen. Alteingesessene Betriebe oder Konzerne bzw. Ketten sollten mit einem finanziellen Polster ausgestattet sein, so dass sie die Krise finanziell überstehen müssten. Ihr Verlust wird in weiten Teilen durch die Kurzarbeitsvereinbarung kompensiert. Was ist mit den laufenden Betriebskosten? Kleile: Wenn sie in den Betrieben die Lohnkosten sparen, dürften nur noch die Fixkosten bleiben. Alles andere ist eingestellt. Bleibt die Frage, welchen Anteil nehmen die Fixkosten am Gesamtkostenvolumen ein, aber da die Arbeitgeber ja selber immer sagen, dass die Lohnkosten der höchste Block sind, kann das andere ja nicht mehr so viel sein. Wenn alteingesessene Betriebe nach 15 oder 20 Jahren an den Umsatzverlusten von diesen paar Wochen zusammenbrechen, dann muss ich mir die Frag stellen, ob sie vielleicht in den letzten Jahrzehnten irgendwas falsch gemacht haben. »Die schlechten Arbeitsbedingungen sind hausgemacht« Also nicht &bdquo;nur" Krise, sondern auch wirtschaftliche Fehler? Kleile: Wenn sich ein Gastronom so lange hält, muss man davon ausgehen, dass der Laden läuft. Dann gehe ich davon aus, dass er Rücklagen für schlechte Zeiten gebildet hat, denn er muss ja vielleicht auch aus anderen Gründen Umsatzverluste ausgleichen. In solchen Fällen muss man sich also fragen, ob es auch daran liegt, dass der Gastronom nicht mit Weitblick darauf geachtet hat, dass auch mal schlechtere Zeiten kommen können. Würden Sie erwarten, dass in diesen Fällen notfalls auch Privatvermögen ins Unternehmen gegeben wird? Kleile: Wenn man es hat aufbauen können, ja. Hier müssten sich die Gastronomen selbst in die Pflicht nehmen. Schließlich ist es ihr Betrieb, mit dem sie immer Geld verdient haben, und damit auch ihre soziale Verantwortung. Arbeitgeber werden damit argumentieren, dass sie Gewinne investiert haben, das mag ja sein, aber sie sollten mit allen Mitteln dafür sorgen, dass ihr Betrieb mitsamt den Beschäftigten erhalten bleibt. Nichts anderes bemängeln wir doch auch bei großen Konzernen wie Adidas oder H&M. Das waren die ersten, die gesagt haben, wir zahlen die Mieten nicht mehr, obwohl sie Milliarden Gewinne gemacht haben. Ist das Gastrogewerbe nicht ohnehin schon in schwerem Fahrwasser gewesen? Es wurden in den vergangenen Jahren doch wohl mehr Restaurants geschlossen als eröffnet, nicht zuletzt wegen des akuten Mangels an Personal, oder? Kleile: Ich weiß nicht, ob die Branche wirklich schwierig ist, der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga meldet ja selber die Bilanzen. In den letzten fünf Jahren hatten wir jedes Jahr eine Rekordzahl im Gastgewerbe. Und wenn man kein Personal findet, bleibt ja die Frage: warum ist das so? Da müssen wir zu dem Ergebnis kommen, dass es auch daran scheitert, dass die vielfach schlechten Arbeitsbedingungen hausgemacht sind. Ein bisschen konkreter, bitte. Kleile: Im Gastgewerbe wird ganz oft nicht tariflich bezahlt. Es gibt Arbeitszeiten, die gar nicht mit einem sozialen Leben vereinbar sind. Wenn dann noch ein rauer Ton im Betrieb herrscht, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Leute gehen. Der Dehoga-Vorsitz dementiert, dass die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Kleile: Ja, das tut er. Wörtlich wurde gesagt: &bdquo;Wenn die Arbeitsbedingungen schlecht wären, würden die Leute uns ja weglaufen." Widersprüchlicher könnte es nicht sein. Sie laufen weg! Und ich sehe ja tagtäglich, womit die Kollegen vor Ort zu kämpfen haben. Da werden Überstunden nicht bezahlt, die Urlaubsregelungen erfolgen nicht richtig, es gibt keine tarifliche Eingruppierung und, und, und. Wenn Menschen dann der Branche den Rücken kehren, darf man sich nicht wundern. Auch die Abbrecherquote der Auszubildenden im Gastgewerbe ist extrem hoch. Sie fordern jetzt ein Umdenken der Gastronomen? Kleile: Ja. Wir wollten mit dem Hotel- und Gaststättenverband eine Tarifvereinbarung treffen, bei der das Kurzarbeitergeld aufgestockt wird und die Betroffenen nicht bei 60 Prozent landen. Der Dehoga hat einen Aufstockungsbetrag abgelehnt. Gleichzeitig geht der gleiche Verband an die Politik und fordert Milliarden für einen Rettungsschirm des Gastgewerbes. Ein Rettungsschirm finanziert aus Steuergeldern und somit auch aus Steuergeldern der eigenen Beschäftigten. Sie fordern etwas von der Allgemeinheit ein, wollen aber nichts zurück geben. Hier sieht man punktuell, wo der Hase im Pfeffer liegt, nämlich, dass sie gar kein Interesse zu haben scheinen, für die eigenen Leute etwas zu tun. Das ist traurig. Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes beschlossen. Ab dem vierten Monat gibt es 70 statt 60 Prozent. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis? Kleile: Nein, überhaupt nicht. Das Gastgewerbe ist geprägt von Teilzeitbeschäftigung. Wenn man mit etwa 100 Stunden im Monat zuvor ein Nettogehalt von 900 Euro hatte, bleiben bei Kurzarbeit 540 Euro. Was kosten die Mieten im Kreis Gütersloh? Dann wird man sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, dass 60 Prozent wenig sind, 70 ein bisschen mehr. Aber wenn ich diese 70 erst ab dem vierten Monat bekomme, hilft mir das nicht. Wenn die Kurzarbeit seit Mitte März läuft, kommt niemand mehr in den Genuss.McDonald’s hat Angestellte an Aldi weitergereicht. Was halten Sie von solchen Lösungen? Kleile: Beschäftigte können dazu nicht gezwungen werden, das muss letztlich jeder für sich selber entscheiden. Aber gerade bei studentischen Aushilfskräften oder 450-Euro-Jobbern macht eine solche Regelung Sinn, denn die sind vom Kurzarbeitergeld ausgenommen und fallen ohne Netz. Wichtig bleibt die Freiwilligkeit. Das Bäckerhandwerk hat auch vielfach Kurzarbeit angemeldet, obschon es nicht von Schließung betroffen war. Das mutet von außen betrachtet doch eher merkwürdig an. Kleile: Der Verkauf ist dennoch stark eingebrochen, zumal viele Bäckerein einen Cafébetrieb haben, der geschlossen werden musste. Mir ist allerdings jetzt schon häufiger zu Ohren gekommen, dass die Kurzarbeit den Beschäftigten einfach aufgedrückt wurde. »Für Kurzarbeit brauchen Arbeitgeber eine Unterschrift« Was heißt aufgedrückt? Kleile: Eine Bäckereiverkäuferin hat mir gestern noch erklärt, dass sie gar nicht gefragt wurde, als es um die Einführung von Kurzarbeit ging. Der Chef hat es halt bestimmt. Eigentlich ist es so, dass der Arbeitgeber in Betrieben ohne Betriebsrat von jedem einzelnen Beschäftigen die Zustimmung fürs Arbeitsamt braucht. Und wenn der Beschäftigte Nein sagt? Kleile: Dann gibt es keine Vereinbarung zur Kurzarbeit. Dann gibt es natürlich auch kein Kurzarbeitergeld, es greift der Paragraf 615 BGB. Der Arbeitgeber hat das Betriebsrisiko zu tragen und muss den vollen Lohn weiterzahlen. Die Beschäftigen müssen ihre Arbeitskraft separat anbieten und sagen ’Hier bin ich, ich will arbeiten.’ Aber sie hätten einen Anspruch auf vollen Lohn. Mir ist schon klar, dass das keiner macht, aber ohne Vereinbarung keine Kurzarbeit. Glauben Sie, dass viele Arbeitnehmer über ihre Rechte gar nicht Bescheid wissen? Kleile: Ja, das glaube ich ganz fest. Die Bäckerinnung im Kreis Gütersloh hatte nach eigenen Angaben noch nie mit Kurzarbeit zu tun. Vielleicht werden ja auch aus Unwissenheit Fehler gemacht? Kleile: Ich verschließe vor dieser Tatsache nicht die Augen, und natürlich können Fehler passieren. Aber Unternehmer und Arbeitgeber lassen sich regelmäßig von Anwälten oder anderen Institutionen beraten – erst recht zu so einer wichtigen Frage. Sie glauben eher an Kalkül? Kleile: Nun, ein Bäckermeister mit 40 Filialen hat keinen Spaß daran, jeden einzelnen seiner Mitarbeiter zu fragen. Ein Betriebsrat ist häufig nicht vorhanden. Klar mag das Unwissenheit sein, aber es gibt Erlebnisse, die meine Sicht auf die Dinge trüben. Einem Arbeitgeber aus Bielefeld hatte ich neulich angeboten, zu seiner Betriebsversammlung zu kommen. Das wollte er nicht. Einer seiner Mitarbeiter hatte ihn wegen der anstehenden Kurzarbeit um einen Tag Bedenkzeit gebeten, um die Sache zu überdenken und prüfen zu lassen. ’Kannst du machen, aber dann brauchst du morgen nicht wiederzukommen’, lautete die Antwort seines Chefs, wie er mir berichtete. Das hat nichts mehr mit Unwissenheit zu tun, das hat was damit zu tun, dass ich den Beschäftigten direkt mit Kündigung drohe, wenn sie nicht das tun, was ich will. Kurzarbeit scheint also Segen und Fluch zugleich? Kleile: In gut geführten Betrieben, wo man unter anderem den Vorteil von Betriebsräten schätzt, ist es ein Segen. Man muss bedenken, die Vereinbarungen zur Kurzarbeit sind an keine Form gebunden, das heißt, es kann freivertraglich vereinbart werden, wie die Kurzarbeit zu welchen Bedingungen ausgestaltet werden soll. Dort, wo individuell mit dem Beschäftigten gesprochen wird, ist die Verhandlungsmacht des Einzelnen ziemlich gering bis gar nicht vorhanden. Das ist dann wohl eher Fluch. Beschäftigte können nur entscheiden: friss oder stirb.

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