"Fast gespenstisch": Unterwegs mit dem Bus in Zeiten von Corona

Gütersloh. Leer ist sie, die Linie 203. Nur drei Menschen verteilen sich über die Sitze, alle mit gehörig Abstand zueinander. &bdquo;Sonst fahren hier mehr als doppelt so viele Leute mit", sagt der Busfahrer. Es gebe Momente, da gucke er in den Rückspiegel und finde es beklemmend, fast gespenstisch, aber das liege womöglich daran, dass das ohnehin gerade sein bestimmendes Grundgefühl sei. Ansonsten aber, toi toi toi, laufe der Nahverkehr okay. Der Busfahrer, 42, hat keine Atemschutzmaske auf und keine Handschuhe an. Er schützt sich anders, nämlich durch Distanz und ein leuchtend oranges Absperrband. Daran baumelt ein Hinweis, der seine Fahrgäste aufklärt, warum sie derzeit nur hinten einsteigen dürfen. &bdquo;Um das Ansteckungsrisiko für Covid-19 zu minimieren", steht dort, ergänzt um den Satz, wo sie in diesen Tagen ihre Tickets kaufen können. &bdquo;Wir sind umsichtig, nicht unhöflich", schließt das Schreiben, zu finden unter einem leuchtend roten, stilisierten Corona-Virus. Eine Kontrolle der Fahrgäste sei "nicht wirklich" möglich Es ist nicht das einzige Schreiben in diesem Bus. Auf der Scheibe hinter dem Rücksitz des Fahrers und in der Mitte gegenüber der Hintertürkleben auffällige Plakate mit Hygiene-Tipps. Den Fahrgästen wird empfohlen, untereinander Abstand zu halten, in die Armbeuge zu husten, ihre Hände zu waschen und nicht ins eigene Gesicht zufassen – das Übliche halt. Auch hier die Bemerkung unter dem roten Virus: &bdquo;Wir sind umsichtig, nicht unhöflich". &bdquo;Die Regeln werden gut befolgt", findet ein anderer Busfahrer, 52. Keiner mache Anstalten, hinter das orange Band zu gelangen, und nur wenige wunderten sich noch, warum sich die Vordertür nicht öffne. Ob es ihm überhaupt möglich sei, die Tickets der Fahrgäste zu kontrollieren? &bdquo;Nicht wirklich", gibt er zu, &bdquo;aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Leute die Situation ausnutzen." Einige Male hätten ticketlose, gutmeinende Fahrgäste versucht, ihm Geld über das Absperrband zu reichen, &bdquo;aber das darf ich nicht annehmen. Sie haben dann zwar keinen Fahrschein, aber ich habe sie dennoch mitgenommen, weil ich finde, wir müssen uns in dieser Situation untereinander helfen." Zwei jüngere Fahrgäste, die oft Bus fahren, berichten, dass ihrem Eindruck nach eine Fahrscheinkontrolle derzeit nicht stattfindet. &bdquo;Wie auch?", sagen sie. Für den Busfahrer sei es schlechterdings unmöglich zu verfolgen, wer im Besitz von Abos sei oder wer abstempeln müsse. &bdquo;Der ein oder andere Fahrgast wird sich auf diese Weise durchmogeln", glauben die jungen Fahrgäste, &bdquo;aber es gibt Schlimmeres." "Wir setzen auf die Ehrlichkeit unserer Fahrgäste" Die Stadtwerke nehmen das Betrugsrisiko in Kauf. &bdquo;Man muss zugeben, dass wir die Kontrollen derzeit kaum leisten können", sagt Sprecherin Sina Schäffer. &bdquo;Wir setzen aber auf die Ehrlichkeit unserer Fahrgäste." Gelegentlich komme es vor, dass Leute einstiegen und dem Fahrer mitteilten, sie hätten keine Gelegenheit gehabt, ein Ticket zu kaufen. &bdquo;Wir lassen dennoch niemanden im Regen stehen und werfen auch keinen wieder hinaus", sagt Schäffer. &bdquo;Stattdessen bitten wir sie, dass sie im Nachgang in unser Servicezentrum am ZOB gehen und dort nachzulösen." Zudem könne man Tickets per Smartphone über die kostenlosen Apps &bdquo;mobil.nrw", &bdquo;WestfalenTarif" oder &bdquo;DB Navigator" zu kaufen. Dass viel weniger Fahrgäste als sonst einstiegen, fällt allen Busbetreibern auf. &bdquo;Das ergibt sich ja schon durch den Wegfall der Schüler", sagt Schäffer. Schon vor einigen Tagen hatten die Stadtwerke daher ihre Stadtbusse auf Ferienfahrplan umgestellt. Auch die TWV Teutoburger Wald Verkehr und der BVO Busverkehr Ostwestfalen-Lippe haben das gemacht, und die moBiel-Buslinien 87, 94 und 95, die zwischen Bielefeld und Güterslohverkehren, ziehen am Montag nach. Seine Nachtbuslinien N11, N14, N18 und N19 hat moBiel schon eingestellt. Auch die Züge werden immer leerer Die Fahrgäste und Fahrer zu schützen, kostet die Betriebe einige Anstrengung. So sind die Stadtwerke bemüht, so viel Desinfektion zu leisten wie irgend möglich. Griffe, Haltestangen, Kontaktflächen: Sobald Gelegenheit ist, werden sie gesäubert, selbst manche Busfahrer helfen mit. &bdquo;Je öfter, desto besser", sagt Schäffer. Dass die Fahrer mit Desinfektionstüchern zum Eigenschutz ausgestattet sind, dafür hat ihr Arbeitgeber gesorgt. Auch in den Zügen merkt man Corona. &bdquo;Sie werden von Tag zu Tag leerer", sagt ein Sprecher. Ob das Reisezentrum im Gütersloher Bahnhof am Montag wieder öffnet – am Wochenende ist es eh zu – scheint fraglich. Gegen Mittag hatte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) verkündet, den Fahrplan im Schienennahverkehr auf die Hälfte einzudampfen. Ab heute, Samstag, gelte ein Sonderfahrplan, der schrittweise umgesetzt werde. Ob sich diese Zugzeiten halbwegs zu den Zeiten des Gütersloher Busverkehrs fügen, dürfte in Düsseldorf gestern niemanden interessiert haben. Wüst machte aber ohnehin klar, dass möglichst nur noch die mit dem Zug fahren sollten, &bdquo;die in der kritischen Infrastruktur tätig sind", also etwa Ärzte, Pfleger, Polizisten, Lebensmittelanbieter. Die Westfalen-Bahn hatte schon vorher entschieden, ihren Bahnverkehr zu reduzieren. Ein pulsierendes Leben dürfte am Bahnhof vorerst nicht mehr zu erwarten sein. Die Einschränkung passt aber zu dem Grundgefühl des 42-jährigen Busfahrers. &bdquo;Das öffentliche Leben bricht Stück für Stück weg, das merkt man auch in den Bussen", sagt er. Erst blieben die Schüler weg, dann die Alten, bald auch alle anderen. &bdquo;Klar könnten wir denken, das lohnt nicht mehr. Aber so sehe ich das nicht. Ich finde es vielmehr wichtig, den Nahverkehr aufrecht zu erhalten. Das ist Daseinsvorsorge. Die Leute müssen ja irgendwie von A nach B kommen, auch in diesen Zeiten."

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