Kreis Gütersloh. Deutlich zu warm und viel zu trocken – auch wenn es für Spaziergänger auf den ersten Blick nicht so scheint, für den Wald war der Winter eine Katastrophe. Denn dort wüten weiterhin Borkenkäfer und Co, der gesamte Nadelholzbestand ist bedroht. Daran konnte auch der Regen im vergangenen Monat nichts ändern.
„Die Niederschläge im März gaukeln uns ein völlig falsches Bild vor", sagt Förster Michael Sommer bei einer Waldbegehung in der Nähe von Rheda Ende vergangener Woche. Bereits Anfang November hatte er dort auf den dramatischen Zustand insbesondere der Nadelbäume hingewiesen und auf einen nassen Winter gehofft, jedoch vergeblich.
Die Bäume konnten sich nicht erholen
Zwar fiel im März laut Wetteronline nach den dürftigen 26 Litern im Februar mehr als doppelt so viel Regen, wodurch zumindest Flüsse und Talsperren wieder gut gefüllt sind, der Boden aber sei derzeit nur in den oberen Schichten bis etwa 50 Zentimeter nass, so Sommer. Alles darunter sei bis 1,80 Meter Tiefe aufgrund des Dürre-Sommers und auch wegen des viel zu geringen Niederschlages im Herbst und Winter weiterhin zu trocken.
Die Folge: Die Bäume hätten sich nicht erholen können, auch, weil viele Wurzeln nicht ausreichend Wasser aufnehmen können. Dieses aber benötigt der Baum dringend, und zwar nicht nur zum Wachsen, sondern auch, um Harz zu bilden, mit dem er sich gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer zur Wehr setzt. Hat der sich erst einmal im Bast, also in der wasserführenden Schicht, eingenistet, kann der Baum kein Wasser mehr transportieren und vertrocknet. „Mittlerweile gibt es in der Region kaum eine Fichte oder Kiefer, die nicht von Borkenkäfern befallen sind", sagt Forstdienstleister Hauke Moormann. Denn durch den wenigen Regen sei es nicht zur erhofften Verpilzung gekommen.
Und die Käfer fressen munter weiter
Zugute kamen Kupferstecher oder Buchdrucker in den vergangenen Monaten auch die milden Temperaturen. „Normalerweise überwintern 60 Prozent der Borkenkäfer im Boden und 40 Prozent in der Rinde", sagt Sommer. Nach einer Zählung Ende Februar habe man aber feststellen müssen, dass diesmal 90 Prozent am Baum geblieben seien. Die vier Generationen, die sich 2018 entwickelt haben – Experten mutmaßen laut Sommer, dass es auch fünf Populationen gewesen sein könnten, normal seien zwei –, fressen also munter weiter.
Und die nächste Generation, die innerhalb eines Jahres von etwa 12.000 erwachsenen Tieren auf bis zu 1,5 Milliarden Käfer an einem einzelnen Baum heranwachsen kann, steht schon in den Startlöchern. „Wenn wir dieses Jahr wieder einen so trockenen Sommer bekommen, rechne ich mit einem Komplettausfall aller Fichten in Höhenlagen von unter 400 Meter", so der Förster. „Das wäre eine Katastrophe, denn Nadelbäume speichern auch im Winter Kohlenstoff und sorgen für saubere Luft."
"Wir haben keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun"
Zusätzlich zum Nadelholz seien nun vermehrt auch Laubbäume in Gefahr. So breite sich beispielsweise der Eichenprachtkäfer immer weiter aus, der sich vorrangig von Blättern ernährt, aber in Anbetracht stark geschwächter Eichenwälder immer mehr zum bedeutenden Schädling entwickelt, der ebenso ganze Bestände zum Absterben bringen könne. Andere Insekten und der trocken-heiße Sommer des vergangenen Jahres habe bereits dafür gesorgt, dass einige Buchen gar keine Knospen bilden konnten.
Auch der Bockkäfer, der sich in das Holz geschwächter Bäume unter anderem von Eiche oder Buche bohrt, entwickele sich zum Problem. Ebenso verschiedene Pilzarten, die den Bäumen zusetzten. „Wir haben keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, so etwas gab es noch nie", sagt Sommer. „Wir erleben gerade, dass der Wald regelrecht aufgefressen wird."
In NRW sind Tausende Hektar betroffen
Neben den ökologischen Schäden – unter anderem reinigen Bäume das Wasser von Nitraten, das sonst ins Grundwasser sickert –, befürchten Waldbauern und Holzindustrie langfristig erhebliche finanzielle Einbußen. Denn die kranken Bäume müssen so schnell wie möglich raus aus dem Wald, was bereits schon eine logistische Herausforderung sei, doch weil allein in NRW Tausende Hektar betroffen sind, gebe es sowohl im In- als auch im Ausland kaum noch Abnehmer für das Holz.
Zudem müssten die frei gewordenen Flächen aufgeforstet werden, nur womit? Überlegungen, diese mit dürreresistenteren Arten aus Südeuropa zu bestücken, scheitern an pragmatischen Gründen wie fehlendes Saat- und Pflanzgut. Und ob die Bäume dann überhaupt wachsen, sei fraglich. „Wir stehen aktuell vor der Herausforderung, den Wald für die Zukunft zu erhalten. Ob und wie uns das gelingt, kann ich nicht sagen", so Sommer.