
Kreis Gütersloh. Der Wald ohne Bäume – ein Horrorszenario, das bald wahr werden könnte. Denn von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, spielt sich in den Wäldern momentan eine Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes ab. Nach dem ungewöhnlich trockenen Sommer, der die meisten Bäume bereits geschwächt hat, wütet nun der Borkenkäfer. Schon jetzt sind die Schäden für Natur und Holzwirtschaft immens, am schlimmsten hat es die Fichten getroffen. Die Schäden an den Laubbäumen werden dagegen erst nächstes Jahr in vollem Umfang sichtbar sein
Ende Oktober, Ortstermin, Fürstlicher Wald Hambusch bei Rheda: Förster Michael Sommer und Forstdienstleister Hauke Moormann stehen vor einem etwa zwei Hektar großen Areal. Abgesägte Baumstämme liegen wild durcheinander, daneben stapelt sich meterhoch trockenes Nadelgeäst. „Die Fichte hier", sagt Sommer und zeigt über das Gelände, „ist komplett tot." Alle Bäume mussten abgesägt werden, Kupferstecher und Buchdrucker, zwei Borkenkäferarten, hätten zuvor ganze Arbeit geleistet.
Das Holz vetrocknet
Auch weil nach den Stürmen Burglind und Friederike Anfang des Jahres noch viel bruttaugliches Restholz in den Beständen gelegen habe, hätten die Käfer gute Entwicklungsmöglichkeiten gehabt. Durch den trockenen Sommer und den Wassermangel hätten die Bäume zur Abwehr kaum noch Harz bilden können. Doch mit ebendiesem wehrt sich der Baum gegen den Käfer, der sich unter die Rinde frisst und sich im Bast, der wasserführenden Schicht des Baumes, einnistet, wo er dann kleine Gänge gräbt, in denen die Weibchen ihre Eier ablegen. Dadurch könne der Baum kein Wasser mehr transportieren, das Holz vertrockne.
Vier Käfer-Generationen hätten sich in diesem Jahr entwickelt, berichtet Förster Sommer. Jede dieser Generationen bringt etwa 12.000 erwachsene Käfer hervor. „Hochgerechnet ist eine durchschnittliche Fichte mit etwa 1,5 Milliarden Käfern befallen." Schon jetzt sei der Schaden in Europa doppelt so groß wie nach dem Orkan Kyrill im Jahr 2007.
Krisengipfel im Ministerium
Die Invasion ist derart heftig, dass Mitte Oktober im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Düsseldorf ein Krisengipfel stattfand. Durch Käfer und Dürre seien bis Anfang September allein in NRW 2,3 Millionen Festmeter betroffen – mittlerweile schätzt man die Menge auf zehn Millionen Festmeter, überwiegend Fichte, was einer Fläche von 16.000 Hektar entspricht.
Ist ein Baum erst mal vom Borkenkäfer befallen, dann heißt es: schnell handeln, der Baum muss raus aus dem Wald, was bei der Menge auch ein logistisches Problem ist. Und weil die Schäden nicht auf NRW begrenzt sind, sondern europaweit auftreten, fällt der Holzpreis immer weiter. Die Deutsche Säge- und Holzindustrie (DeSH) berichtet, dass es bereits große Verwerfungen im Holzmarkt gebe. Starke Fichtenholzstämme können noch als Exportholz, unter anderem nach China, verkauft werden, Kiefernholz sei derzeit kaum absetzbar.
"In den Baumschulen gibt es gar nicht genug Bäume zum Nachpflanzen"
Die Menge an befallenen und daher demnächst zu fällenden Bäumen stellt die Förster vor neue Probleme, nämlich, wie die riesigen Flächen wieder aufzuforsten sind. „In den Baumschulen gibt es gar nicht genug Bäume zum Nachpflanzen", sagt Sommer. Und ob man die Fichte wieder mit der Fichte ersetzen soll, sei sowieso fraglich. „Klimaforscher gehen davon aus, dass alle Fichten in Höhenlagen unter 400 Meter nicht überleben werden. Was das für den Teutoburger Wald bedeutet, kann man sich kaum vorstellen", sagt er. Sowieso sei zu überlegen, ob man nicht langfristig auf Weißtanne, Lärche oder Pinie setzt, da diese Bäume deutlich resistenter gegen Dürre und Schädlinge seien.
Doch was könnte dem Wald kurzfristig helfen? Da die natürlichen Fressfeinde des Borkenkäfers wie Specht, andere Vögel oder der Ameisenbuntkäfer gar nicht so viel Käfer verspeisen können, wird bereits der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln geprüft oder die Entrindung des befallenen Baumes. Am besten wäre es jedoch, die Natur würde sich selber helfen. „Ein kalter Winter ist nicht die Lösung, wie man immer denken würde", sagt Sommer, denn dem Käfer könnten Temperaturen bis Minus 15 Grad nichts anhaben. „Am besten wäre ein nass-warmer Winter, weil er dann verpilzt."
Viele Bäume sind nicht mehr zu retten
Neben dem Borkenkäfer gibt es im Wald noch ein weiteres Problem: Aufgrund des extrem trockenen Sommers seien die Wälder auf fast 90 Prozent der Fläche bis zu einer Tiefe von 1,80 Meter ausgetrocknet. Fast alle in den vergangenen drei Jahren gepflanzten Bäume sind laut Michael Sommer nicht mehr zu retten. Und auch die größeren Bäume sind derart geschwächt, dass sie den Herbststürmen schutzlos ausgeliefert sein könnten.
Übrigens: Von der Dürre 2018 sind auch jene Nadelbäume betroffen, die sich viele Menschen zu Weihnachten ins Haus holen. „Die werden alle zeitig die Nadeln verlieren", sagt Sommer. „Ich würde meinen Baum erst am 23. Dezember holen. Und auch nur dann, wenn er frisch geschlagen ist."