Gütersloh. Nach zehn erfolgreichen Jahren verfügt das alljährlich im Mai oder Juni ausgetragene, viertägige Mittelalter-Spektakulum Anno 1280 auf Hof Kruse über eine enorm gewachsene Fangemeinde. Aus Sicht vieler der 20.000 Besucher sowie der 1.000 Mitwirkenden gibt es nur einen Nachteil. Die Gütersloherin Anja Schmelter (48) von der Heerlagergruppe Amici Aeternum: „Die Zeit von einem Anno zum nächsten ist viel zu lang. Wir liegen Nobby seit Jahren in den Ohren – mach doch mal ein Winterfest. Und wir sind nicht die einzigen."
Gesagt, getan. Mit den auf Flyern wie im Internet verbreiteten Worten „Kommet herbei und sehet, ein neuer Stern tut sich auf im vorweihnachtlichen Geschehen" lädt der Inhaber der ausrichtenden Firma Anno-Events Nobby Morkes am kommenden Samstag (11 Uhr bis 22 Uhr) und Sonntag (11 Uhr bis 21 Uhr) zur ersten „Anno 1280 Wyhnacht" auf das Rittergut Kruse nach Isselhorst.
Die Resonanz ist riesig. Mehr als 94.000 Leute teilen und verfolgen den ersten mittelalterlichen Weihnachtsmarkt in Ostwestfalen seit Wochen mit Spannung im Internet. Mit 32 bis 35 Ständen, alter Handwerkskunst, Speys und Trank, allerlei Kurzweyl, Musik, Gaukeley, abendlichen Feuershows (gegen 19 Uhr) sowie vier vor Ort übernachtenden Heerlagern ist die eintrittsgeldfreie Premiere bereits jetzt größer als der Gütersloher Weihnachtsmarkt.
Als einziges Marktgeschehen in ganz Ostwestfalen kann die Anno 1280 Wyhnacht zudem mit einer hundertprozentigen Garantie für „leise rieselnden Schnee" werben. Eine extra für diesen Zweck angeschaffte Schneemaschine erfüllt einmal pro Stunde die Träume von „weißer Weihnacht". Der im Juni mit dem Szenenamen „Ritter Partum Heroes" (Lieferheld) versehene Nobby Morkes: „Wir haben Frau Holle engagiert. Bei uns gibt es garantiert Schnee. Ganz egal wie das Wetter ist."
Schneekönigin aus dem Annoland
Den von Morkes geworfenen (Schnee)Ball nimmt Anja Schmelter nur allzu gerne wieder auf. Die 48-jährige Gütersloherin zählt am Samstag in der selbstkreierten und genähten Gewandung der „Schneekönigin aus dem Annoland" höchstselbst zu den vermutlich viel bestaunten Programmhöhepunkten. Anja Schmelter: „Frau Holle und die Schneekönigin passen doch gut zusammen. Wenn sich zwei Märchenfiguren treffen, ist es für die Besucher doch gar nicht so verkehrt."
Dem Mysterium Mittelalter ist die Frau mit den eigentlich feuerroten Haaren nach einem „Anno-Besuch" 2009 immer mehr und mehr verfallen. Mittlerweile ist sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Daniel Scholz fast ganzjährig in der Szene unterwegs. Nach der Anno Wyhnacht steht eine Woche später noch das „Charles-Dickens-Festival" in Blomberg im Terminkalender. Neben einem halben Schrank voller historisch-korrekten Gewandungen für das Heerlager-Leben türmen sich als zweite Schiene auch etliche selbst entworfene und genähte Steam-Punk- und Fantasy-Kleider-Modelle in allen erdenklichen Farben in der Wohnung.
LED-Lampen am Rocksaum
Anja Schmelter: „Ich fühle mich so einfach wohl. Ich finde es toll, wenn sich die Leute freuen." Inzwischen ist sie mit ihren außergewöhnlichen Kreationen als „Schwarzer Engel" oder „Froschkönigin" als Fotomodell auch bei Szene-Fotografen extrem nachgefragt.
Die Idee der im Dunkeln per an Rocksaum und Diadem angebrachten LED-Lampen funkelnden Schneekönigin entstammt ursprünglich einer Foto-Challange. Welche Faszination die ziemlich perfekte Maskierung als verbitterte alte Kindesentführerin in der Öffentlichkeit hat, bekam die Gütersloherin bei einem Besuch auf einem Dortmunder Mittelalter-Weihnachtsmarkt im Vorjahr zu spüren. Sie habe „den ganzen Tag in der Hocke gesessen und mit Kindern posiert", erzählt die „Schneekönigin" lachend. „Dass ich so ein großer Magnet bin, damit hätte ich nie gerechnet."
Momente wie diese sind die Belohnung für viel mühevolle Arbeit im Vorfeld. Bis auf den gekauften weißen Umhang hat die Tochter einer Schneiderin ihre Interpretation der von Hans Christian Andersen erdachten Märchenfigur inklusive der aus 1.000 Einzelteilen bestehenden Perlen-Krone komplett selbst hergestellt. Lachend erzählt die Kreativkünstlerin: „Wenn ich es darauf anlege, kann ein Kleid innerhalb einer Woche fertig sein. Jetzt weiß ich ja, wie es geht." Der erste Anlauf hätte sich noch über drei Monate hingezogen. Anja Schmelter: „Wie oft ich währenddessen wutentbrannt die Garnrolle durch die Gegend gepfeffert habe, weiß ich nicht mehr."
"Ich brauche also ganz dringend blaue Kontaktlinsen"
Trotzdem vergehen für das Zusammenstecken des Reifrockes, Ankleiden, Schminken und Wimpern ankleben immer noch drei bis vier Stunden. Bei einem Auftritt um elf Uhr klingelt der Wecker dementsprechend um sieben. Für das Tüpfelchen auf dem i eines perfekten Looks fehlt der Brillenträgerin mit den grün-braunen Augen für Samstag nur noch ein winziges Detail: „Eigentlich muss ich leuchtend blaue Augen haben. Ich brauche also ganz dringend blaue Kontaktlinsen."
Doch auch so wird der Auftritt der „Schneekönigin aus dem Annoland" sicherlich einer der vielen Höhepunkte der ersten „Anno 1280 Wyhnacht".
Die aus dem Sommer bewährte Einbahnstraßenregelung der Straße „Am Röhrbach" gilt auch beim mittelalterlichen Weihnachtsmarkt. Von der B 61 kommend werden Autofahrer um das Gelände herum zu der Spielplatzwiese in Avenwedde geführt. Durch den illuminierten Eisenbahntunnel geht es direkt ins mittelalterliche Geschehen.
Besucher aus Gütersloh können auch vor dem Schenkenhof rechts abbiegen und die Parkmöglichkeiten im Industriegebiet an der Dieselstraße nutzen. Der Fußweg von dort beträgt etwa drei bis vier Minuten. Im Gegensatz zum Sommer-Anno wird bei der Anno-Wyhnacht kein Eintrittsgeld in Form von Brückenzoll erhoben.