Bielefeld. Es sind Hunderte Mitglieder, die die fünf evangelischen Kirchengemeinden im Bielefelder Süden Jahr für Jahr verlieren. Etwa 800 oder 900, schätzt Pfarrer Volker Gravemeier. Die Gründe: Beerdigungen und Austritte. „Auf eine Taufe kommen inzwischen vier Beerdigungen.“ Bis 2035 werde die Zahl der Mitglieder um etwa ein Viertel schrumpfen. Deshalb gehen die Gemeinden Brackwede, Quelle-Brock, Senne-Emmaus, Sennestadt und Ummeln jetzt gemeinsam einen drastischen Schritt. Es soll auch ein Aufbruch werden.
Aus sechs mach’ eins: Zum 1. Januar 2026 fusionieren die fünf Gemeinden und ihr bisheriges finanzielles Dach, der Verband der evangelischen Kirchengemeinden in Brackwede, zur neuen „Evangelische Kirchengemeinde Bielefeld-Süd“ – mit dann zusammen rund 20.500 Mitgliedern. Die Gemeindestrukturen vor Ort werden rückgebaut, Stellen reduziert, zahlreiche Ausschüsse, Presbyterien und der Verband zum Jahresende aufgelöst.
Die neue Kirchengemeinde sei Rechtsnachfolgerin aller bisherigen Gemeinden und des Verbands, betont Gravemeier.
Phase des Abschieds für Mitarbeiter und Presbyterien
Alle rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teil- und Vollzeit und ihre Verträge würden übernommen. Kündigungen werde es nicht geben. „Wir sind uns sicher, den notwendigen Personalabbau durch natürliche Fluktuation nach und nach zu erreichen.“
Umstellen müssen sich auch die engagierten Gemeindemitglieder, die Verantwortung abgeben und mehr in die Entscheidungen anderer vertrauen müssten, so Gravemeier. „An die Stelle von bisher fünf leitenden Presbyterien mit zusammen 50 Mitgliedern sowie diversen Ausschüssen tritt ein einziges Leitungsgremium mit 20 Mitgliedern und fünf Fachausschüssen“, erklärt der Pfarrer für Senne und Sennestadt die neue Struktur.
Bis zum 11. November bestimmen die fünf Süd-Gemeinden jeweils nur drei Mitglieder, die sie zukünftig im sogenannten „Bevollmächtigungsausschuss“ vertreten. „Dieser wird bis zur nächsten Kirchenwahl 2028 die Leitung der neuen Kirchengemeinde übernehmen“, so Gravemeier, der bis zur ersten konstituierenden Sitzung im Januar mit Wahl des oder der Vorsitzenden die Leitung übernimmt.
Pfarrer Gravemeier: „Wir wollten endlich vor die Lage kommen“
Die Fusion sei nicht nur notwendige Reaktion auf den Mitgliederschwund, sondern gehe einen Schritt weiter. „Wir wollten endlich vor die Lage kommen und wieder aktiv unsere Zukunft gestalten“, so der 56-Jährige, für den es bereits die dritte Fusion ist, die er in seinem Berufsleben begleitet. Dass sich Kirche modernisieren müsse, sei inzwischen allen bewusst. Bereits vor zwei Jahren habe der Prozess begonnen.
Doch ohne auch schmerzhafte Einschnitte wird es nicht gehen, die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer – im Moment sind es noch sieben sowie zwei Diakoninnen im Bielefelder Süden – deutlich schrumpfen. Dabei ist unklar, ob die Stelle von Pfarrerin Angela Bohdálková (bisher in Sennestadt) wiederbesetzt werden kann, die jetzt als Seelsorgerin zur Justizvollzugsanstalt Senne wechselt. Es fehlen Nachfolger. Gleichzeitig reduziere sich der Personalschlüssel für Pfarrstellen in der evangelischen Kirche mit 2026 von einer Stelle je 3.000 Gemeindemitglieder auf 4.000 Mitglieder, erklärt Gravemeier.
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Bielefelder Gemeindehäuser und Kirchen vor dem Verkauf?
In einem Fachausschuss Bauen kommen zudem Gemeindehäuser und Kirchen der neuen Gemeinde auf den Prüfstand, nicht alle werden erhalten bleiben. Zu hoch sind die Kosten. Allein für die Unterhaltung der Bartholomäuskirche in Brackwede würden rund 100.000 Euro pro Jahr fällig, sagt Gravemeier.
Hinzu komme, dass die evangelische Kirche ihre Gebäude bis 2040 klimaneutral macht. „Wir werden die Gebäude, die wir behalten, also ertüchtigen müssen.“ Gebäude, die wie die Bartholomäuskirche oder die Ummelner Kirche unter Denkmalschutz stehen, sollen jedoch in der Hand der Kirche bleiben. Andere könnten ökumenisch genutzt werden. Eine neue „Gebäudestrategie“ soll ab Januar erarbeitet werden. Vieles sei denkbar, sagen Gravemeier und sein Kollege Pfarrer Stefan Prill (37).
Sie versprechen, ein lebendiges Gemeindeleben werde es weiterhin an allen fünf Standorten geben. Standortausschüsse sollen das Engagement vor Ort ermöglichen und eine neue App namens „Church Desk“, die Zusammenarbeit und Koordination von Angeboten erleichtern.
Das Pastoralteam teilt sich künftig in zwei Regionen auf, erklärt Prill. Quelle, Ummeln, Brackwede bilden eine Einheit, Senne und Sennestadt die andere. Unter anderem der Konfirmandenunterricht werde hier in Teilen gemeinsam stattfinden, und tue es bereits.
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Fusion ermöglicht neue Jugendfreizeit in Bielefeld
Manches werde durch das Zusammenwachsen sogar jetzt erst möglich, erklärt der Pfarrer für Ummeln und Brackwede. Ein gutes Beispiel sei die neue Jugendfreizeit nach Süd-Norwegen in die Nähe von Oslo und Kristiansand, die in diesem Sommer erstmals von den fünf Kirchengemeinden gemeinsam organisiert worden sei. Eine solche Jugendfreizeit hätten die einzelnen Gemeinden zuvor über Jahre nicht mehr anbieten können. Gemeinsam konnte genügend Ehrenamtliche für die Begleitung gefunden werden. Für das kommende Jahr sei die Hälfte der 60 Plätze schon jetzt ausgebucht. Die Fusion schafft neue Spielräume. Und Zuversicht.
Ein neues Siegel, ein neues Logo, eine neue Webseite für die neue Evangelische Kirchengemeinde Bielefeld-Süd (Kirchenkreis Gütersloh) sind dagegen noch in Arbeit. Am 11. Januar wird es um 11 Uhr einen Vereinigungsgottesdienst geben – in der Bartholomäuskirche im Herzen Brackewedes. Die Festpredigt hält Superintendent Frank Schneider.
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