Großer Umbruch für Bielefelder Kirchen: Was sich nun ändert

Bielefeld. Früher hat man gerne sprichwörtlich &bdquo;über Gott und die Welt geredet“. Heute brauchen viele augenscheinlich Gott und die Kirche nicht mehr, um sich die Welt zu erklären und in ihr zu bestehen. Der christliche Glaube verliert zunehmend an Akzeptanz. Das zeigt sich auch an nackten Zahlen. Sie sind letztlich der Grund, warum es ab 1. Februar nur noch einen Pastoralen Raum für die Katholiken gibt, vermutlich ab nächstem Jahr nur noch eine einzige Pfarrei in ganz Bielefeld. Perspektivisch werden die Gemeinden bis zu 50 Prozent ihrer Immobilien aufgeben müssen. Schafft sich Kirche selbst ab? &bdquo;Nein, Kirche schafft sich nicht ab“, betont Pfarrer Norbert Nacke, Dechant des Dekanats Bielefeld-Lippe, der künftig dem Pastoralen Raum Bielefeld vorsitzt. &bdquo;Kirche versucht immer, präsent zu sein. Aber viele Menschen stellen die Gottesfrage nicht mehr.“ Weniger Menschen, die Gottesdienste mitfeiern möchten, und weniger Priester bedeuten aber, sich auf Veränderungen einzustellen. Der Wandel mache eine andere Gestalt von Kirche notwendig. Es bedeute eine wachsende Konzentration auf Themen und Orte, erklärt der 61-Jährige. Kirche könne deshalb auf Dauer nicht mehr flächendeckend sein. Und das betreffe Katholische wie Evangelische gleichermaßen, weshalb bereits seit eineinhalb Jahren Gespräche mit den evangelischen Kirchenkreisen Bielefeld und Gütersloh über gemeinsame Orte und mehr Ökumene geführt würden. In Bielefeld gehören nur noch gut 45.000 Katholiken der Kirche an Als Erzbischof Hans-Josef Becker den Zuschnitt von 87 pastoralen Räumen für das Erzbistum Paderborn festgelegt hatte, gab es in Bielefeld noch mehr als 56.000 Katholiken. Heute, 15 Jahre später, sind es nur noch rund 45.400 und damit etwa 20 Prozent weniger. Das hat nicht allein damit zu tun, dass viele Menschen die Gottesfrage nicht mehr stellen, sondern auch mit Missbrauchsskandalen in der Kirche. Allein im Jahr 2023 sind in Bielefeld 1.210 Katholiken ausgetreten, im Jahr davor sogar 1.434. Lesen Sie dazu: Ansturm auf Termine: Bielefelder treten in Scharen aus der Kirche aus Einen Rückgang gibt es auch auf anderer Ebene: Das noch recht große Pastoralteam, das künftig als Kollegium bezeichnet wird, reduziert sich durch Ruhestand drastisch in den nächsten zehn Jahren. Im gesamten Bistum wird in diesem Jahr nur eine Person zum Priester geweiht. Folge: &bdquo;Wir gehen davon aus, dass es 2035 in ganz Bielefeld nur noch drei Priester und vier andere hauptamtlich pastoral Tätige geben wird“, sagt der Dechant. Gemeint sind Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten. &bdquo;Wir erleben, dass Gemeindezugehörigkeit durch Wohnsitz immer unwichtiger wird. Die Menschen entscheiden, wo sie den Gottesdienst besuchen und wo sie sich zugehörig fühlen“, sagt der Dechant. In der Stadtmitte sei das stärker spürbar als in der Peripherie. Viele Ältere, die sich vielleicht noch mehr &bdquo;ihrer“ Kirchengemeinde verbunden fühlten, hätten zu Coronazeiten für sich andere Formen gefunden, Gottesdienst mitzufeiern, beispielsweise über Radio und Fernsehen, und seien dabei geblieben. Konzentrierung der Angebote, Stärkung von freiwillig Engagierten &bdquo;Es ist ein Kipppunkt erreicht, an dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist“, weiß Norbert Nacke. &bdquo;Wenn wir das sehen, kann es letztlich nur zwei Wege geben: die Konzentrierung und die Stärkung von freiwillig Engagierten, die ihren Ort auch selbstständig bespielen.“ Schon jetzt gebe es einige solcher Gemeindeteams, die zu bestimmten Themen beauftragt wurden. &bdquo;Wenig hilfreich wird zukünftig ein ’Kirchturmdenken’ sein, das nur auf den Erhalt von Altem und Gewohnten zielt“, hat der Dechant für die Gemeindebriefe formuliert. Lesen Sie auch: Bewegender Abschied von Bielefelder Kirche – dann wird sie entweiht Selbst wenn katholische und evangelische Christen noch sehr lange in unterschiedlicher Weise Gottesdienste feierten und unterschiedliche Bedarfe für Kirchenräume hätten, &bdquo;können wir viel mehr ökumenisch machen als wir jetzt tun und denken“. Als Beispiele nennt der Dechant diakonische, karitative Themen, Kirchenmusik, Kinder- und Jugendarbeit, die dann konzentriert an bestimmten Orten angeboten würden. &bdquo;Wir können uns gut vorstellen, einen Jugendcampus in Bielefeld einzurichten. Das ’HoT Schildesche’ könnte zu einem jugendpastoralen Schwerpunkt ausgebaut werden. Das können mehrere besser stemmen als eine einzelne Kirchengemeinde.“ &bdquo;Superintendent Christian Bald und ich sind der Meinung, dass wir als Christen in der Stadt nur eine Zukunft haben, wenn wir diese gemeinsam gestalten“, erklärt Nacke weiter. Das müsse wachsen, &bdquo;aber wir könnten die Menschen anders erreichen und Dinge deutlich profilierter tun als jetzt im Klein-Klein der Gemeinden“. Irgendwann könnten die ökumenischen Aufbrüche vielleicht so groß werden, dass die Grenzen zwischen katholisch und evangelisch sogar verschwimmen. &bdquo;Aber da sind wir nicht“, betont der Dechant. Das ändert sich konkret für die Bielefelder Katholiken Zurück zum Stichtag 1. Februar: Die beiden bisherigen Pastoralverbünde Mitte-Nord-West und Bielefeld-Ost sowie die Pfarrei St. Elisabeth sind dann Geschichte. Die Pfarrer Bernhard Brackhane und Hubert Maus geben ihre Leitungsverantwortung ab und werden Teil des großen Kollegiums. Bis Herbst werde für die Kirchgänger alles im Wesentlichen &bdquo;sehr ähnlich bleiben“, sagt Nacke. Dann werde man allerdings eine neue Gottesdienstordnung beschließen. &bdquo;Ein großer Einschnitt kommt im November mit der Gremienwahl.“ Gemeinderäte, Räte der Pfarreien und der große Pastoralverbundsrat müssen dann gewählt werden. Wie gewählt wird und wie groß die Gremien sein werden, soll Mitte Mai entschieden werden. In Bielefeld gibt es noch elf Pfarreien mit insgesamt 19 Gemeinden. Dabei wird es nicht bleiben. &bdquo;Es ist ein Bistumstrend erkennbar hin zu Fusionen von Pfarreien auf Ebene eines Pastoralen Raums. Im Kollegium haben wir sehr einmütig gesagt, dass auch wir möglichst bald zu einer Pfarrei Bielefeld kommen wollen.“ Bis zur nächsten Wahl im November sei dies allerdings zu sportlich. &bdquo;Zum einen ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten, zum anderen ist so eine Fusion auch ein riesiger Verwaltungsaufwand.“ Begriff der Pfarrei muss von der Gemeinde getrennt werden Die Pfarreien würden dann nicht mehr als Verwaltungseinheit existieren, erläutert Nacke. Man müsse den Ordnungsbegriff aber trennen von den Gemeinden als Lebensraumbegriff. &bdquo;Die begriffliche Trennung ist uns leider in 25 Jahren noch wirklich nicht gelungen.“ Den Menschen in den Gemeinden müssen sich auf alle Fälle daran gewöhnen, dass in Zukunft Kirche weniger &bdquo;verlässliche Orte“ bieten wird - beispielsweise für sonntägliche Eucharistiefeiern, christliche Angebote für Jugendliche und Familien. Viele Kirchen und Gemeindehäuser werden aufgegeben. Als Christ, als Gläubiger, als Suchender wird man sich in Bielefeld mehr bewegen müssen.

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