Das große Abschieds-Interview: So blickt Pit Clausen auf 16 Jahre Amtszeit in Bielefeld zurück

Was werden Sie am 1. November machen, dem ersten Tag im Ruhestand? Pit Clausen: Mein Mann und ich werden in unser Haus nach Schleswig-Holstein fahren. Uns ein paar Tage erholen, ein bisschen Abstand gewinnen. Fällt auch eine Last von einem ab, wenn man nach 16 Jahren ein Amt wie das des Oberbürgermeisters abgeben kann? Das empfinde ich im Moment noch gar nicht so. Oberbürgermeister zu sein, ist nicht irgendein Job, sondern eine Verpflichtung. Da ist man rund um die Uhr im Amt. Selbst wenn ich mit unserem Hund Scotty spazieren gehe und von Leuten auf irgendwelche Probleme angesprochen werde, ist das so. Mit etwas Abstand werde ich wahrscheinlich sagen: Ja, jetzt fällt auch eine Last von mir ab. Wie hat sich Bielefeld aus Ihrer Sicht seit 2009 verändert? Wir sind mehr und bunter geworden. In der Stadtgesellschaft ist der Anteil der Menschen mit einem nichtdeutschen Hintergrund gestiegen. Wir sind auch jünger geworden, haben vor allem durch die Hochschulen eine deutliche Veränderung auch in der Einwohnerschaft erfahren. 40.000 Studierende gibt es jetzt in der Stadt. Ich würde sagen, Bielefeld hat an Modernität, an Urbanität und an Internationalität gewonnen. Zum Thema: Bauer statt Clausen: Alle Informationen zum Machtwechsel im Bielefelder Rathaus Was war die größte Herausforderung in Ihrer Amtszeit? Es gab nicht nur die eine größte Herausforderung, sondern ganz unterschiedliche Herausforderungen. Ich habe verschiedene Phasen erlebt, und jede Phase hat so ihre besonderen Anforderungen gehabt. Als ich gestartet bin, war die Stadt praktisch pleite. Es hat mindestens bis 2014 gedauert, das zu ändern. Wir haben die Stadtwerke für 200 Millionen Euro zurückgekauft und das aus den Gewinnen des Unternehmens bezahlt. Dann kam 2015 die Flüchtlingsbewegung und brachte wieder ganz andere Probleme und Ansprüche mit sich. 2020 dann schließlich Corona. So etwas hatte noch nie jemand erlebt. Da haben wir bestimmt nicht alles richtig gemacht. Aber wir waren getrieben von der Sorge, dass das Gesundheitssystem komplett kollabiert und die Menschen nicht mehr eine adäquate Behandlung erhalten konnten. Wir haben erreicht, dass es nicht dazu kam. Anfangs hatten Sie stets ein rotes Buch dabei, wollten einen Bielefeld-Pakt schließen. Jeder, der mitmachen wollte, konnte sich dort eintragen. Dann ist die Sache im Sande verlaufen. Es ging mir damals auf den Wecker, dass in der Stadtgesellschaft von vielen gern das Alarmlied vorgetragen wurde. Jeder verfolgte nur seine eigenen Interessen. Mir war es ein Anliegen, zu einer neuen Debatten- und Entscheidungskultur zu kommen und gemeinsam kluge Lösungen zu entwickeln. Bei meinem Bemühen, die Ratsparteien dabei zu einzubinden, habe ich nicht bedacht, wie stark Politik vom Wettbewerb lebt. Parteien, die zunächst mitgemacht haben, sind wieder ausgestiegen, und so war der Pakt nicht mehr zu halten. Auf was sind Sie in Ihren Jahren an der Rathausspitze besonders stolz? Stolz ist nicht der richtige Begriff. Aber ich finde, es ist gelungen, dass wir innerhalb der Verwaltungsspitze über die 16 Jahre einen echten Teamgeist entwickelt haben, und das über die Parteizugehörigkeit der einzelnen Dezernenten hinweg. Wir haben ein Team entwickelt, das sehr sachorientiert gearbeitet hat. Das haben wir im Verwaltungsvorstand über weite Strecken mit Leben füllen können. Und das hat sich ausgezahlt, auch im Hinblick auf die gesamte Organisation der Stadtverwaltung mit ihren 7000 Beschäftigten. Ich glaube, dass wir eine moderne Entscheidungskultur geschaffen haben, die heute auch erforderlich ist, um die so unterschiedlichen Herausforderungen sinnvoll bearbeiten zu können. Was ist unerledigt geblieben? Es gibt nicht den Moment, wo die Stadt fertig ist und wo man als Oberbürgermeister sagen kann, jetzt ist es gut. Die Bedarfe der Stadt ändern sich ständig. Gleichzeitig dauern Stadtentwicklungsprojekte immer länger. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mindestens bei der Nutzung der Kasernenflächen weitergekommen wären, beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs oder bei der Sanierung und Modernisierung der Kunsthalle. Den Verkauf der Kasernenflächen hat der Bund jetzt erst einmal gestoppt. Ich glaube, dass wir weiter gute Chancen haben, die Kasernenflächen zu bekommen. Im Übrigen hat sich die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bei uns entgegen anderslauten der Berichte bis heute nicht gemeldet. Das mag auch an dem alten Garnisonsvertrag aus den 1930-er Jahren liegen, aus dem Bielefeld Ansprüche in Millionenhöhe hat. Vor allem das Areal der früheren Rochdalekaserne ist für die innerstädtische Entwicklung besonders wichtig. Kommentar: Bielefelds Oberbürgermeister geht nach 16 Jahren in Pension – Danke, Pit! Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin Christina Bauer mit auf den Weg? Wir haben mehrfach miteinander gesprochen, aber ich werde mich hüten, Details dazu zu sagen. Jeder Oberbürgermeister oder jede Oberbürgermeisterin hat das Privileg, seinen oder ihren eigenen Stil zu entwickeln, eigene Schwerpunkte zu setzen. Und Frau Bauer wird nicht Pit Clausen light sein, sondern wird ihren eigenen Weg gehen. Es sollte Ehrensache für alle hier im Haus sein, ihr die Unterstützung zuteilwerden zu lassen, die sie sich wünscht und braucht. Das gehört sich so unter Demokraten. Denn unser gemeinsames Interesse muss sein, dass Frau Bauer als Oberbürgermeisterin gute Arbeit für Bielefeld in den nächsten fünf Jahren leisten kann. Die AfD ist künftig mit einer zehnköpfigen Fraktion im neuen Rat vertreten. Wie sollte man ihr begegnen? Weiter mit Groß-Demos auf dem Jahnplatz? Ich finde, es ist legitim lautstark und in großer Zahl gegen eine rechtsextremistische Partei zu demonstrieren. Aber die demokratischen Parteien müssen sie auch inhaltlich stellen. Sie müssen im Rat zeigen, dass sie einfach besser sind. CDU und SPD könnten künftig eine Groko mit klarer Mehrheit bilden. Empfehlen Sie das Ihrer Partei? Ich werde mich nicht von der Seitenlinie in die aktuelle Mehrheitsfindung einmischen. Das gehört sich nicht. Aber Sie dürfen verraten, ob inzwischen der Name Pit in Ihrem Personalausweis steht oder doch noch Peter. Da steht mein eigentlicher Name. Aber in Bielefeld nennen mich alle Pit. Meine Mutter sagt manchmal Peter, mein Mann Tom immer Pit, genauso ist es im Freundeskreis. Und wird aus dem Ruhestand doch noch ein Unruhestand? Ich bin in die neue Schiedsgerichtsbarkeit für die Rückgabe von NS-Raubkunst berufen worden. Dort arbeiten jeweils Juristen und Historiker zusammen. Ich halte das für eine sehr spannende Aufgabe und freue mich auf die Mitarbeit. Darüber hinaus habe ich zunächst noch keine weiteren Pläne. 📱News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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