Knappe Kassen in Bethel – der Vorstand warnt vor sozialem Kahlschlag durch die Politik

Bielefeld. Die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel haben in ihrem Jahresbericht die Zahlen für das Geschäftsjahr 2024 vorgelegt – mit deutlichen Worten und einer positiven Bilanz. Trotz hoher Energiepreise, knapper öffentlicher Kassen und verschobener Investitionen ist der diakonische Sozialkonzern auf Wachstumskurs geblieben, getragen von rund 25.000 Mitarbeitern, Millionen Spenden und einem breiten Netzwerk an Einrichtungen. Wie dies in Zukunft oder auch schon im laufenden Jahr aussehen wird, wagten der Vorstandsvorsitzende Ulrich Pohl, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Bartolt Haase und das für Finanzen zuständige Vorstandsmitglied Christoph Nolting trotz allem gebotenen Optimismus nicht zu sagen – dafür sei die politische Situation von der Bundesebene bis hinunter ins Kommunale &bdquo;zu schwer zu durchschauen“, wie Pohl betonte: &bdquo;Wir müssen schauen, was da auf uns zukommt.“ Gerade die derzeit unter dem Schlagwort &bdquo;Herbst der Reformen“ diskutierten Einsparungen im Sozialbereich bereiten den Bethel-Chefs große Sorgen, ohnehin seien die &bdquo;Verteilungskämpfe“ durch neue Prioritätensetzungen im Bereich des Militärs und der Infrastruktur nicht geringer geworden. Doch gerade das Soziale sei der Kitt der Gesellschaft und dürfe daher nicht aus dem Blick verloren werden. &bdquo;Wer gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern will, muss das Soziale stark machen“, so Pohl. Und hier spiele auch die Diakonie eine wichtige Rolle, immerhin sei sie &bdquo;unverzichtbarer Bestandteil einer lebendigen Demokratie“, der dazu beitrage, dass alle Menschen in ihrer Würde geachtet würden. &bdquo;Das erleben wir in Bethel jeden Tag.“ Lesen Sie auch: Bethel investiert in die Zukunft: Neubau mit barrierefreien Appartements Soziales Pflichtjahr als Gegenstück zum Wehrdienst Auch bei der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht dürfe das Soziale nicht aus den Augen verloren werden. Pohl unterstützt hier den Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als Gegenstück zum Dienst bei der Bundeswehr eine &bdquo;Soziale Pflichtzeit“ ins Gespräch gebracht hat. &bdquo;Wenn der Wehrdienst kommt, muss es so etwas auch im Sozialen Bereich geben.“ Während knappe Kassen, die aktuelle politische Diskussion und auch anstehende Wahlen somit noch einiges an Unwägbarkeiten mit sich bringen, wollen sich die von Bodelschwinghschen Stiftungen wie auch schon im vergangenen Jahr vornehmlich auf das verlassen, was sie sich selbst erarbeitet haben und auch finanzieren können. &bdquo;Es gilt, noch sorgfältiger mit Geld umzugehen“, sagt Pohl. Dies war auch das Credo im vergangenen Geschäftsjahr, das Finanzvorstand Christoph Nolting erstmals seiner neuen Rolle vorstellte. Die Gesamterträge stiegen um 9,6 Prozent auf 1,98 Milliarden Euro (2023: 1,81 Milliarden Euro). Das Jahresergebnis lag mit 11,25 Millionen Euro über dem Vorjahr (9,74 Mio.) – was einer Umsatzmarge von 0,6 Prozent entspricht. In der Bilanz eines privatwirtschaftlichen Unternehmens würde dies zu langen Gesichtern führen, für den gemeinnützigen Stiftungsverband ist die Marge indes mehr als zufriedenstellend. &bdquo;Bethel steht stabil da“, sagt Nolting. Und: &bdquo;Jeder erwirtschaftete Euro wird der Arbeit Bethels zugeführt und in die Angebote reinvestiert.“ Investitionen und Spenden auf Rekordniveau Die Sachinvestitionen mit 105,15 Millionen Euro ist Rekordniveau – unter anderem durch drei Hospiz-Neubauten in Bethel, Bad Kösen und Wandlitz. Für das laufende Jahr sind Maßnahmen in ähnlicher Höhe geplant. Doch die Lage war und ist angespannt: Wegen ausbleibender öffentlicher Gelder und Verzögerungen bei Refinanzierungen mussten Investitionen im Umfang von 50 Millionen Euro verschoben werden. Lesen Sie auch: Animationsfilme zur NS-Zeit in Bielefeld: Bethel stellt sich seiner Geschichte &bdquo;Wir konzentrieren unsere Finanzmittel auf die bestehenden Standorte“, erklärte Pohl. Ohnehin stellt der Faktor Personal den Löwenanteil des Budgets dar: Mehr als 70 Prozent der Mittel werden an die inzwischen 24.886 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgeschüttet, was rund monatlich rund 115 Millionen Euro an Löhnen und Gehältern bedeutet. Auf der Einnahmenseite haben an dem soliden Ergebnis erneut die Freunde und Förderer Bethels einen großen Anteil. 75,68 Millionen Euro an Spenden und Nachlässen gingen ein – mehr als je zuvor. Die Summe setzt sich aus über 322.000 Einzelspenden zusammen. So wichtig auch die Finanzen und gut geführte Kassen seien, der Schwerpunkt von Bethel sei ein anderer, wie Ulrich Pohl hervorhebt. Auch interessant: Für die letzte Phase des Lebens: Neues Hospiz in Bielefeld eröffnet &bdquo;Wir sprechen nicht nur über Zahlen, sondern auch über Menschen“ &bdquo;Wir sprechen hier nicht nur über Zahlen, sondern über Menschen.“ Mehr als 270.000 Menschen seien 2024 in den Einrichtungen behandelt, betreut, beraten oder ausgebildet worden. Hinter jeder Zahl stünden &bdquo;individuelle Geschichten, kleine und große Sorgen, aber auch Schritte ins Leben“. Ähnlich lautet auch der Titel des Jahresspendenprojekts 2025, das der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Bartolt Haase – ebenfalls erst seit diesem Jahr im Amt – vorstellte. &bdquo;Mitten im Leben“ umfasst vier Vorhaben für Menschen mit komplexen Behinderungen, etwa die Sanierung des Hauses Hohensonne in Lemgo, ein inklusives Wohnprojekt in Berlin, der Umbau der Werkstatt Smyrna in Bethel und das Freizeitangebot &bdquo;Freizeit plus“. Alle Projekte zielen darauf, selbstbestimmtes Wohnen, Arbeit und Freizeitgestaltung für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zu ermöglichen. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Bethel - Für Menschen da sein (@stiftung.bethel) Eine Besonderheit wird zudem für das kommende Jahr erwartet: 2026 startet der 25. Jahrgang des Betheljahres, eines Freiwilligen Sozialen Jahres, das seit 2002 fast 10.000 junge Menschen durchlaufen haben. Jährlich beginnen rund 500 Freiwillige ihren Einsatz, ein Drittel von ihnen bleibt Bethel langfristig erhalten. Sorge bereitet hier allerdings ausgerechnet im Jubiläumsjahr die Schulzeitumstellung in NRW: 2026 wird wegen G8/G9 ein Abiturjahrgang fehlen – und damit hunderte potenzielle Freiwillige. Entsprechend werben die Bethel-Vorstände eindringlich darum, dass sich auch Eltern und Jugendliche jenseits von Gymnasien und Oberstufen über das Angebot informieren. &bdquo;Das Betheljahr ist im Lebenslauf kein verlorenes, sondern ein gewonnenes Jahr“, sagt Bartolt Haase.

Meistgelesen