Täter ohne Reue? Offene Fragen nach Missbrauchsurteil gegen Bielefelder Diakon

Bielefeld. &bdquo;Wir haben lange gekämpft, jetzt haben wir gewonnen“, sagt ein Sprecher der Missbrauchsopfer, dessen Bekanntwerden innerhalb der evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde 2021 für Entsetzen gesorgt hat. Der damalige Jugenddiakon hat am Mittwoch, 4. Juni, die Tatvorwürfe der Staatsanwaltschaft (sexueller Missbrauch von Jugendlichen und sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) vollumfänglich eingeräumt. Deshalb betont der Sprecher: &bdquo;Das Gericht hat die Missbrauchsfälle anerkannt und der Täter wurde verurteilt und bestraft.“ Ein Stück weit erlebten die Betroffenen &bdquo;Erleichterung und Genugtuung“. Trotzdem bleibt bei vielen ein schaler Beigeschmack. Das Geständnis, dass der Angeklagte von seinem Strafverteidiger Carsten Ernst verlesen ließ, war nicht von Reue geprägt. Auch sein Satz &bdquo;Ich stehe zu dem, was ich getan habe“ habe diesen Eindruck nicht verändert. Wie berichtet, hatte der ehemalige Jugenddiakon seinen Schützlingen über die Jahre viel zum Thema Naturerleben und Körperlichkeit nahegebracht. Er wurde von vielen als charismatische Leitfigur beschrieben. Erst 2021 wurde dann öffentlich, dass er bei manchen männlichen Jugendlichen über dieses Nahebringen hinausgegangen sein soll. In einem &bdquo;Inner Circle“ ausgesuchter Jugendlicher kam es zu Nackttreffen mit sexuell motivierten Übergriffen, für die der 51-Jährige nun verurteilt wurde – aufgrund seines Geständnisses kam er mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und elf Monaten davon. Bielefelder ist ein &bdquo;begeisternder Mann, der berechnend vorging“ Ein Bielefelder Prozessbeobachter, der Betroffene des Missbrauchfalles persönlich kennt, berichtet: &bdquo;Für viele bleibt ein schwerer seelischer Schaden. Junge Menschen im Konfirmandenalter, die sich auf den Weg gemacht hatten, in einem kirchlichen Kontext und im Zusammensein mit anderen jungen Menschen ihren Weg ins Erwachsensein zu finden, trafen auf einen engagierten begeisternden Mann, der ihnen viele außergewöhnlich Erfahrungen und Erlebnisse ermöglicht hat.“ Er sprach von 40 im Gerichtssaal anwesenden jungen Erwachsenen, von denen viele die Leitfigur ihrer Jugend erst sehr spät als &bdquo;missbrauchenden Manipulator“ entlarven hätten können. Zum Thema: Bielefelder Ex-Diakon gesteht sexuellen Missbrauch – erstmals berichtet ein Opfer &bdquo;Als junge Erwachsene mussten sie feststellen, dass das Handeln des Diakons absichtsvoll und systematisch von seinem Streben nach sexuellem persönlichen Lustgewinn geleitet war“, sagt der Prozessbeobachter. &bdquo;Da zerbricht Vertrauen, da werden Dinge, die als fröhlich und heiter erlebt wurden, im Nachhinein düster und bedrohlich. Da wurde der kostbare Raum erster zarter Beziehungs- und sexueller Erfahrungen von einem berechnenden Erwachsenen missbraucht und beschädigt“, sagt der Bielefelder. &bdquo;Um hier zu heilen, braucht es Zuhören, Verstandenwerden, Heilung.“ Um das zu heilen, sei kein Gerichtsurteil geeignet – ob zur Bewährung oder nicht. Erst recht nicht, wenn man in dem 2024 veröffentlichten Buch des Täters (unter Pseudonym erschienen) den Eindruck gewinnt, dass er nichts bereue. Geständnis sollte Haft verhindern – Versöhnung nicht erkennbar Einer der Betroffenen sieht das ähnlich: &bdquo;Kein Gerichtsprozess kann die langen Jahre aufwiegen, in denen wir in den Jugendgruppen der Dietrich-Bonhoeffer-Kirchengemeinde manipuliert wurden. Die bitteren Erinnerungen über einen Teil meiner Jugendzeit bleiben. Der Täter hat die Verbrechen gestanden, aber er hat keine Reue und keinen Wunsch nach Vergebung ausgedrückt.“ Er gehe davon aus, dass es dem Angeklagten hauptsächlich darauf angekommen sei, eine Gefängnisstrafe zu vermeiden und nicht darauf, eine Versöhnung mit den Opfern zu erreichen. Das habe er erreicht – mehr nicht. Im Gericht hatte der Angeklagte persönliche Worte an einen der Zeugen in Aussicht gestellt. Diese hatte der allerdings abgelehnt. Staatsanwalt lässt jüngere Tatberichte außen vor Für Kopfschütteln hatte gesorgt, dass der Vorsitzende Richter dem Täter in der Urteilsbegründung zugutehielt, dass die Taten alle mehr als zehn Jahre zurücklagen. Das lag daran, dass die Staatsanwaltschaft ausschließlich Taten in den Jahren 2005 bis 2011 angeklagt hatte. Insider wissen zu berichten, dass der Staatsanwaltschaft weitere Erfahrungsberichte vorliegen hat, die einen deutlich späteren Zeitraum betreffen sollen. Warum die nicht in die Anklage eingeflossen sind, blieb offen. Lesen Sie dazu: Nackttreffen mit Jugendlichen? Bielefelder Kirchenmitarbeiter angeklagt Womöglich hatten diese Fälle die Grenze der Strafbarkeit nicht überschritten oder der Verdacht war nicht zu erhärten gewesen. Rein juristisch darf das Gericht nur die Taten bewerten, die angeklagt wurden. Eines der Opfer sagt dazu: &bdquo;Vielleicht würde der Täter bis heute weitermachen, wenn nicht ein Betroffener den Mut aufgebracht hätte, sich zu melden.“ &bdquo;Überdurchschnittliche Abfindung“ nach fristloser Kündigung Um eine mögliche Wiederholungsgefahr zu prüfen, hatte der Vorsitzende Richter betont, dass der Ex-Diakon nun nicht mehr für die Kirche und auch nicht mehr mit jungen Menschen arbeite. Deshalb verneinte das Schöffengericht diese Gefahr, zumal der 51-Jährige ankündigte, künftig seinen Lebensmittelpunkt im Ausland zu suchen. Auch hierzu gab es Gegenstimmen: &bdquo;Es war doch die Kirche, die ihm 2021 gekündigt hatte“, berichtet ein Leser. &bdquo;Und der Täter hat diese Kündigung in keiner Weise akzeptiert.“ Tatsächlich betont der Verurteilte in seinem unter Pseudonym veröffentlichten Buch selbst, dass er eine &bdquo;überdurchschnittlich hohe Abfindung und neun Monate Lohnfortzahlungen“ erhalten hatte. Obwohl der Diakon von 2000 bis 2021 beim evangelischen Kirchenkreis angestellt war und dieser auch die Disziplinaraufsicht hatte und deshalb die außerordentliche, fristlose Kündigung nach Bekanntwerden der Vorwürfe initiierte, war es die Bethel-Stiftung Nazareth, bei der der Diakon arbeitsvertraglich angestellt war. Bielefelder Kirche und Bethel zu Rückforderung aufgefordert Weil die Kündigung zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wurde, als der Diakon die Taten noch bestritt, kam es zu einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht, wie ein Bethel-Sprecher mitteilte. &bdquo;Die Stiftung Nazareth hat alle gebotenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen umgesetzt und eine außerordentliche, fristlose Kündigung ausgesprochen sowie die Schritte zur Strafanzeige durch den Kirchenkreis Bielefeld unterstützt. Das arbeitsrechtliche Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleichsbeschluss beendet.“ Arbeitsrechtler sprechen angesichts des langen Arbeitsverhältnisses eher von einem unterdurchschnittlichen Ergebnis bei der Abfindungssumme. Mit einem Wort, nach so langer Beschäftigung und ohne Gerichtsurteil war damals an einem Vergleich arbeitsrechtlich kein Vorbeikommen. Dass der Angeklagte ein Geständnis ablegte und damit den Grund für eine fristlose Kündigung nachträglich lieferte, ändert arbeitsrechtlich vermutlich nichts. Nach dem Urteil waren Stimmen aufgekommen, die eine Rückforderung des Geldes als angemessen bezeichnet hatten. Auch interessant: Missbrauchsfall erschütterte Kirchenkreis Bielefeld – Aufarbeitung gezielt behindert?

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