Nach Geiselnahme: Vor 50 Jahren wurde ein Bielefelder RAF-Terrorist beigesetzt

Bielefeld. Zu sechst stürmten RAF-Terroristen am 24. April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm. Ihr Ziel: Die Freipressung von 26 Gesinnungsgenossen, die in deutschen Gefängnissen einsaßen – unter ihnen die Köpfe der Roten Armee Fraktion: Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Was heute nur noch wenigen bekannt ist: Zu dem Kommandotrupp, der unter dem Namen &bdquo;Holger Meins“ in Schwedens Hauptstadt agierte, gehörte vor 50 Jahren auch der 1946 in Bielefeld geborene Kaufmannssohn Ulrich Wessel. Im dritten Stock der Botschaft hielten er und Siegfried Hausner, Lutz Taufer, Hanna Krabbe, Karl-Heinz Dellwo sowie Bernd Rößner schließlich zwölf Botschaftsangehörige als Geiseln und verschanzten sich in von ihnen mit Sprengstoff versehenen Räumen. Am Ende des Tages werden sie zwei Geiseln, den Militärattaché Andreas von Mirbach und den Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart, brutal hingerichtet und die Botschaft in weiten Teilen in die Luft gesprengt haben. Podcast-Folge zu dem RAF-Trio und Ostwestfalen-Lippe: Ob die Sprengung absichtlich oder aus Versehen geschah, ist bis heute unklar. Die Geiseln wurden bei der gewaltigen Explosion zwar verletzt, konnten den RAF-Terroristen aber letztendlich entkommen. Vier Terroristen wurden gefasst und zu langen Haftstrafen verurteilt. Hausner indes erlag drei Wochen später seinen schweren Brandverletzungen, während der Bielefelder Kaufmannssohn noch in der Botschaft starb. Mit einer Handgranate soll Wessel sich damals selbst getötet haben, als ihm klar wurde, dass die Geiselbefreiung scheitern würde. Später wird sein Leichnam nach Deutschland überführt und am 20. Mai 1975 auf dem Bielefelder Johannisfriedhof im Beisein von elf Trauergästen beigesetzt. Lesen Sie auch: Terror-Trio der RAF auf der Flucht: Wieso die Spuren nach OWL führen Polizeibeamte sicherten das Friedhofsgelände Die &bdquo;Neue Westfälische“ schrieb damals unter der Überschrift: &bdquo;Terrorist von Stockholm in Bielefeld beigesetzt“: &bdquo;In einer Familiengruft im Prominententeil des Bielefelder Johannisfriedhofes (direkt gegenüber liegen die Familiengräber der großen Unternehmerfamilien Bertelsmann und Delius, Anm. d. Red.) wurde gestern Mittag der bei dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm getötete Terrorist Ulrich Wessel beigesetzt. Polizeibeamte sicherten hinter blühenden Rhododendronbüschen diskret das Friedhofsgelände. Nur elf Angehörige und Freunde folgten dem Sarg.“ Die Presse hatte damals den Beisetzungstermin nicht vorab gemeldet. In der Zeitung &bdquo;Die Welt“ erschien eine Todesanzeige, in der es hieß: &bdquo;In unendlicher Liebe und Achtung“. Der Trauerzug hinter dem blumengeschmückten Sarg wird auf der Titelseite der NW im Foto gezeigt und Ulrich Wessel selbst in einem Porträtfoto abgebildet. Im Lokalteil ist zudem der wuchtige Grabstein selbst im Foto zu sehen, und ein weiteres Bild zeigt, wie Ulrich Wessels Geschwister Gabriele, Christiane und Peter am Grab sichtlich erschüttert Abschied nehmen. Der Schwager sprach einige Gedenkworte Über das Trauerzeremoniell heißt es damals in dem Artikel: &bdquo;Der Schwager des Gewalttäters, Peter Neb, sprach einige wenige Gedenkworte in der Kapelle des Friedhofs. Auch am offenen Grab predigte kein Pfarrer. Unter den Trauergästen befanden sich die Geschwister des Toten, Gabriele Neb, Christiane und Peter Wessel. Die Urnen der Eltern, die in Hamburg bestattet sind, werden demnächst nach Bielefeld überführt.“ Heute scheint das große Familiengrab aufgegeben zu sein. Das Grabfeld wirkt ungepflegt. Aber der Grabstein, von Büschen eingehüllt, sowie zwei weitere, stark vermooste Grabplatten erinnern weiterhin gut sichtbar an die wohlhabende Familie. Und auf der rechten Bodenplatte steht ganz unten auch der Name Ulrich Wessel. Eingraviert sind seine Lebensdaten: &bdquo;Geboren 9. Januar 1946 – gestorben 24. April 1975“. Ansonsten ist über Wessel, der offenbar später in Hamburg lebte und über das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) den Weg zur RAF fand, wenig bekannt. Auf der Seite www.raf-terroristen.de heißt es lediglich: &bdquo;Es wird angenommen, dass er an weiteren Aktionen der RAF beteiligt war, jedoch sind keine weiteren spezifischen Anschläge oder Verbrechen bekannt, die direkt mit ihm in Verbindung stehen.“ Bielefelder will Blumen an Wessels Grab niederlegen Mehr über Wessel möchte offenbar ein Bielefelder gerne erfahren, der im Buchladen Eulenspiegel und auch am Siegfriedplatz handgeschriebene kleine Plakate ausgehängt hat. Unter der Überschrift &bdquo;Gegen das Vergessen. 50 Jahre nach Stockholm“ ruft er zur Erinnerung an Ulrich Wessel auf und lädt dazu ein, sich am 24. April um 18 Uhr an der Fußgängerampel an der Dornbergerstraße am Eingang zum Johannisfriedhof zu treffen und an das Grab zu gehen. Lesen Sie auch: Spurensuche: Der RAF-Terrorist, der in Gütersloh untertauchte Auch an diese Redaktion hat er das Plakat geschickt. Auf Nachfrage sagt der Mann, der ungenannt bleiben möchte und nach eigener Aussage selbst im Umfeld der RAF-Unterstützerszene aktiv war, dass er gerne mehr über Wessel erfahren möchte, den er meint, einmal in Hamburg getroffen zu haben und dem er sich &bdquo;nah fühlt“. &bdquo;Vielleicht gibt es weitere Zeitzeugen, die sich an ihn erinnern, sodass mehr Licht ins Dunkel gebracht werden kann, wieso ein 29-Jähriger bereit war, sein Leben zu opfern.“ Er selbst werde ein paar Blumen am Grab niederlegen, sagt er und betont, dass er sich längst von der damaligen Unterstützerszene losgesagt habe. Über die Motive Wessels, als Terrorist in den Untergrund abzutauchen und zu morden, ist jedenfalls in der Tat kaum etwas zu erfahren. Diese Zeitung erhellte 1975 anlässlich der Beisetzung lediglich dessen weiteren familiären Hintergrund, der sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Ulrich Wessels Familiengeschichte reicht bis 1839 zurück In dem Artikel heißt es: &bdquo; Der Terrorist Ulrich Wessel entstammt einer angesehenen Bielefelder Familie: Sein Ahnherr ist der Posthalter Wessel, der 1839 den Wesselschen Hof (Spiegelshof) erstand, in dem heute das Standesamt untergebracht ist.Ein bronzenes Abbild des Hofes mit den alten Türmen der Neustädter Marienkirche ziert die Familiengruft, in der neben Emil Wessel und seiner Frau Auguste auch Carl und Louis Wessel, zwei weitere Nachfahren des Posthalters, ihre letzte Ruhestätte fanden. Emil Wessel war von 1876 bis 1896 Magistrat und Vorsitzender des Kuratoriums der Kreissparkasse, nahm an den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71, zuletzt als Landwehrhauptmann, teil, und wurde mit dem Roten Adler-Orden vierter Klasse ausgezeichnet.“ Keine Verwandtschaft mit Horst Wessel Weiter heißt es in dem Beitrag: &bdquo;Der Amtsgerichtsrat Louis Wessel starb 1910 in Wiesbaden und wurde nach Bielefeld überführt. Carl Wessel war 22 Jahre lang Direktor der Kreissparkasse und Mitglied der National-Liberalen Partei, in der er vierzehn Jahre lang eine führende Position hatte.“ Über seine Eltern und Geschwister wird weiter nichts berichtet. Letztere scheinen weiterhin in Hamburg zu leben. Lesen Sie auch: Dieser Gütersloher war einer der meistgesuchten Terroristen Deutlich macht die NW am Ende ihres Beitrags allerdings noch, dass Ulrich Wessel mit dem SA-Mann Horst Wessel, der ebenfalls in Bielefeld geboren wurde, &bdquo;nicht unmittelbar verwandt war“ und schließt den Artikel mit den Worten: &bdquo;Eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem alten Kämpfer und dem jungen Terroristen wäre sicher eine Ironie des Schicksals und auch der Geschichte gewesen.“ Die RAF tötete weiter im Namen Ulrich Wessels Die RAF indes hat im Namen des Bielefelders weiter getötet. Im Bekennerschreiben zum Attentat auf den Treuhandchef Karsten Rohwedder heißt es damals: &bdquo;wir haben am 1.4.1991 mit dem KOMMANDO ULRICH WESSEL den Chef der Berliner Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder erschossen.“ Erst 1998 hat die RAF dann ihre Selbstauflösung erklärt. Lesen Sie auch: Verfahren gegen Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette: Überfall in Löhne spielt eine Rolle

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