Tod am Berg: Bielefelder Rekord-Bergsteigerin muss Mann in Not zurücklassen

Bielefeld/Kathmandu. Anja Blacha ist ein Phänomen. Die in Bielefeld aufgewachsene Extremsportlerin bricht derzeit einen Berg-Rekord nach dem nächsten. Allein in diesem Jahr bezwang sie vier der 14 höchsten Berge der Welt und schraubte damit ihre Bilanz auf zehn von 14 Achttausendern im wahrsten Sinne des Wortes in unerreichte Höhen. Sie ist damit die erste Deutsche, die es so häufig auf die Dachzinnen der Welt geschafft hat. Am 5. Oktober meldeten verschiedene Agenturen und Bergmagazine, dass Anja Blacha den Gipfel des Cho Oyu (8.210 Meter, zwischen China und Nepal) erreicht hat, ihren zehnten Achttausender. &bdquo;Eigentlich waren es elf, ich war noch ein zweites Mal auf dem Mount Everest", sagt die Bielefelderin nach ihrer Rückkehr am Telefon in Kathmandu. Auf Sauerstoff hatte die neue Rekordhalterin, wie bereits bei acht vorherigen Expeditionen, verzichtet. Nur beim Mount Everest (8.848 Meter) gab sie ihren Versuch 2021 auf, ohne Sauerstoff den Gipfel zu erreichen. Auf den letzten Metern griff sie doch noch zu ihrer Reserve. Ganz andere Reserven waren nötig, als die 34-Jährige beim Abstieg von Nanga Parbat eine lebensgefährliche Situation eines anderen Bergsteigers wahrnahm. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld Am Nanga Parbat geht es um Leben und Tod Am 2. Juli 2023 kehrte sie als eine der Letzten vom Gipfel des berüchtigten Nanga Parbat (8.125 Meter) zurück und traf noch in der Todeszone auf einen Mann, den die Kräfte verlassen hatten. &bdquo;Er war nicht mehr in der Lage, die Wasserflasche zu öffnen. Auch die Füße setzte er nicht mehr sicher. Ich habe gemerkt, dass er höhenkrank ist." Sie hatten sich kurz zuvor noch am Gipfel getroffen. In seiner Gruppe hatte jeder für sich den Abstieg begonnen. Und so merkte niemand aus dem Team, dass sich dieser Bergsteiger in Lebensgefahr befand. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Seven Summit Treks (SST) (@sevensummittreks) &bdquo;Ich wollte den Vordermann noch rufen. Aber er hat mich nicht gehört." Also blieb der Bielefelderin nichts anderes übrig, als dem Mann Schritt für Schritt den Weg zu weisen. &bdquo;Ich musste ihm bei jedem Schritt zeigen, wohin er die Füße hinsetzen soll." Sie hätte den Mann weder tragen noch ziehen können. Der Abstieg war zeitraubend und so ging bereits die Sonne unter. &bdquo;Ich war inzwischen fast 24 Stunden in der Todeszone." In diesem Höhenbereich sinkt die Sauerstoffsättigung beim Menschen unter den tolerierbaren Bereich, der Körper baut unweigerlich ab. Ab 48 Stunden in der Todeszone gilt ein Überleben als unwahrscheinlich. Die härteste Entscheidung in der Todeszone Die 34-Jährige musste eine harte Entscheidung treffen – um ihr eigenes Überleben zu sichern. Sie ließ den Bergsteiger zurück und schickte Hilfe aus dem Lager hoch. Tatsächlich traf sie noch vor Erreichen des Lagers auf ein starkes Duo, das einem anderen Bergsteiger zu Hilfe kommen wollte. &bdquo;Sie haben mir gesagt, dass sie sich auch um meinen Bergsteiger kümmern werden." Doch sie kamen ohne ihn zurück. Am Ende brachte der letzte Bergsteiger vom Gipfel den völlig entkräfteten Mann zurück ins Lager. Doch die Hilfe im Lager kam für ihn zu spät. &bdquo;Er starb dort in den Armen der Ersthelfer", sagt die junge Bergsteigerin. &bdquo;Das Erste, was ich danach gemacht habe, ist den Angehörigen eine Mail zu schreiben. Ich habe ihnen berichtet, was passiert ist." Es folgten viele E-Mails und Telefonate, die Familie habe für sie Verständnis gezeigt. Sie wussten, dass auch der Tote und sein Team Fehler gemacht hatten. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Anja Blacha (@anjablacha) Heldengeschichten werden selten bekannt Anja Blacha ist trotzdem wieder in diese gefährlichen Höhen gestiegen: &bdquo;Wir alle kennen die Risiken da oben und wir alle fällen unsere eigenen Entscheidungen. Für mich war es ein prägendes Erlebnis. Es hat mir nochmals vor Augen geführt, nicht auf die eigene Eitelkeit zu hören. Die Sicherheit geht hier immer vor." In dieser Saison sei es einem Bergsteiger aus Aserbaidschan gelungen, berichtet Blacha, einem erschöpften Mann am Nanga Parbat drei Tage lang beizustehen. Er blieb bei ihm, bis sich dessen Schneeblindheit gelegt und das Wetter wieder gebessert hatten. &bdquo;Dabei ist er bis ans Äußerste gegangen, um diesen Mann zu retten. Er hat es geschafft. Beide haben überlebt. Mir fehlen die großen Schlagzeilen zu dieser Heldengeschichte." Blachas Familie in Bielefeld, so erzählt sie, vertraue der 34-Jährigen, dass sie im Berg sehr verantwortlich handle. &bdquo;Sie stehen weiterhin angstfrei hinter mir. Sie vertrauen in meine Vernunft. Das ist viel relevanter als jeder Gipfelsturm", betont sie. Mount-Everest-Lawine erfasst Gruppe um Bielefelderin beinahe Zurück zum Mount Everest ohne Sauerstoff: &bdquo;Es sind Welten, ob man ohne oder mit Sauerstoff auf den Gipfel steigt", erklärt die 34-Jährige, die ihr Abitur an der Bielefelder Marienschule der Ursulinen absolvierte und inzwischen dem Bergsteigen ihre volle Konzentration widmet. Am 31. Mai 2021 gehörte sie einer Mount-Everest-Expedition an, die unter keinem guten Stern gestanden habe. &bdquo;Der Aufstieg wurde trotz guter Bedingungen abgebrochen, weil sechs Teilnehmer krank wurden – wahrscheinlich Corona." Ihr eigener Test sei zwar negativ gewesen, aber ganz gesund habe auch sie sich damals nicht gefühlt. Trotzdem blieb sie und suchte ein neues Team zum Aufstieg. Zwischen zwei Zyklonen sei dann ihre neue Gruppe mit ihr aufgebrochen. &bdquo;Wir hatten da oben viel Neuschnee. Es war gefährlich. Eine Lawine hätte uns fast erfasst." Obwohl das Team eigentlich im sicheren Lager 2 geblieben war. Zum Glück seien nur Material mitgerissen und Zelte zerstört worden. Niemand wurde verletzt. Dann ging es hoch: Vom unteren Lager aus 6.200 Metern ging es zunächst zu Lager 4 – das befindet sich auf 8.400 Metern Höhe. &bdquo;Dort hatten wir aber nicht viel Zeit. Nach drei Stunden schon haben wir uns entschieden, ganz hochzugehen." Lesen Sie dazu: Mount-Everest-Bezwingerin über große Gefühle, aber auch Tote am Berg Und auf den letzten Metern dieses Aufstiegs kam der Punkt, als Anja Blacha sich entscheiden musste. Ihr Körper gewöhnt sich gewöhnlich leicht an die Höhen. Aber an diesem Tag litt ihr Körper, die Atmung fiel ihr sehr schwer. Auch das Wetter war nicht gut, und ihre Begleiter waren ihr nicht bekannt. Das Vertrauensverhältnis zu den Sherpas und Teammitgliedern sei am Berg ein sehr wichtiger Aspekt. An diesem Tag habe dieses Vertrauen einfach nicht bestanden. &bdquo;Mit Sauerstoff war der Everest wie eine Alpen-Besteigung" Also gab Anja Blacha ihr ehrgeiziges Vorhaben auf und holte ihre vorsorglich eingepackte Sauerstoffreserve hervor. Die letzten Meter in der sogenannten Todeszone absolvierte sie also doch noch mit Hilfe von Flaschensauerstoff. &bdquo;Es war unglaublich. Ich hatte plötzlich eine Mega-Power. Mir kamen die restlichen Meter vor wie eine Alpen-Besteigung." Rückblickend vermutet die Bielefelderin heute, dass sie den höchsten Berg der Welt damals mit einer Corona-Infektion bestiegen hatte. Ohne Sauerstoff ist Bergsteigen nicht mehr überall erlaubt. China verbietet seit diesem Jahr Gipfelbesteigungen ohne Sauerstoff. Auch dürften Bergsteiger nur noch mit zertifizierten Begleitpersonen in die Höhe gehen. Blacha lacht: &bdquo;Da kommen jedes Jahr neue Regeln hinzu. In diesem Jahr mussten wir eine China-Flagge mitnehmen. Die muss man am Gipfel hissen, wenn man seine eigene Flagge hissen möchte." Die Bielefelderin hatte noch nie eine Deutschlandfahne bei ihren Expeditionen dabei. Aber durch die Behörden verunsichert, schoss sie doch sicherheitshalber ein Beweisfoto mit der chinesischen Flagge. Der Sturm hatte die Wetterstation weggefegt Trotzdem war sie ohne Sauerstoff oben: &bdquo;Der Cho Oyu ist ein relativ einfacher Berg. Ich bekam damit keine Schwierigkeiten." Schwieriger sei die Suche nach dem Gipfel gewesen, weil er sich auf einem flachen Plateau befinde. &bdquo;Irgendwo stehen plötzlich zwei Schneeanker. Die Wetterstation, die dort aufgebaut wurde, war kurz zuvor weggeweht." Die Reglementierungen Chinas verhinderten übrigens noch einen weiteren Gipfelerfolg: &bdquo;Ich wollte eigentlich noch auf den Shishapangma. Aber dafür bekam ich keine Erlaubnis mehr." Warum diese Eile? &bdquo;Die Lust, weiterzumachen, hat man immer", sagt die passionierte Höhensucherin. Ein zweiter Aufstieg sei ohne viel Vorlaufzeit möglich, weil sich der Körper ja bereits an die Höhe gewöhnt habe. &bdquo;Wenn der Körper akklimatisiert ist und noch die Kraft reicht, macht es Sinn." Wer allerdings länger als zwei Wochen wieder unten ist, der müsse wieder von vorn anfangen. 25 Stunden für die Rückkehr vom Gipfel und eine tödliche Gefahr Längst nicht alle Bergsteiger können die dünne Luft gut vertragen. &bdquo;Viele bekommen Magenprobleme, Kopfschmerzen oder ihnen wird unwohl." Blacha hatte jeweils die Power für einen zweiten Aufstieg. Am 12. Mai bestieg sie den Makalu (8.485 Meter) und einen Monat später noch den Kangchendzönga (8.586 Meter). Mit diesem Gipfel war Blacha bereits die erste Deutsche, die acht Achttausender erklommen hatte. Doch die Bielefelderin setzte noch zwei Gipfel obendrauf und stieg am 23. September auf den Manaslu (8.163 Meter) und zwei Wochen später auf den Cho Oyu. Der Kangchendzönga sei 2024 ein besonders schweres Unterfangen gewesen. Der Gipfeltag ist der längste unter allen Achttausendern. Das höchste Lager unter dem Gipfel lag 2024 sogar nochmals 300 Meter tiefer als sonst. Fast alle Teams hätten den Aufstieg dieses Jahr abgebrochen, sagt die Bergexpertin. Lesen Sie dazu: Einzigartig in Deutschland: Bielefelderin bricht Bergsteiger-Rekord Zwei sehr starke Polen seien dann aber trotz Neuschnees hoch. Beim Abstieg sei es dann dramatisch geworden: &bdquo;Einer der beiden hat 25 Stunden für den Rückweg ins Lager 4 gebraucht." Er sei gestürzt, hatte eine schwere Beinverletzung, bekam Halluzinationen. Schließlich sei er bei 7.500 Metern sogar eingeschlafen. Bielefelderin: &bdquo;Ich weiß nicht, ob ich das überlebt hätte" Da sein Partner den Kontakt zu ihm verloren hatte, stieg er schließlich wieder zu ihm hoch. Er fand ihn und konnte ihn aufwecken. Die unweigerliche Pause auf 7.500 Metern hatte zur Regeneration gereicht. &bdquo;Beide haben es geschafft und waren recht gut beieinander. Ich weiß nicht, ob ich das überlebt hätte", sagt Anja Blacha ernst. Obwohl die Saison am &bdquo;Kangche" offiziell beendet war und die Monsunzeit kalendarisch eingeläutet war, seien die Wetterbedingungen weiterhin gut gewesen. Blacha und ihr Team wollten trotzdem hoch. Nach viel bürokratischem Hin und Her habe ein neu zusammengestelltes Team doch noch eine Genehmigung erhalten. Vor Blachas Ankunft hatten Teams 40 Tage lang vergeblich auf den Aufstieg gewartet. &bdquo;Die hatten zu wenig Manpower, um die Gipfelroute mit Seilen vorzubereiten." Die Seile seien immer wieder eingeschneit. Ihr neunköpfiges Team, so die Bergsteigerin, war besser vorbereitet und öffnete schließlich selbst die Gipfelroute ein letztes Mal. Lesen sie dazu: Einzigartig in Deutschland: Bielefelderin bricht Bergsteiger-Rekord Angst vor einem Wetterumschwung hatte die 34-Jährige nicht: &bdquo;Die Wettervorhersagen sind inzwischen viel besser geworden." Trotzdem war der Aufstieg &bdquo;nicht easy". Respekt hatte die Bielefelderin vor allem vor dem langen Abstieg. &bdquo;Zwischendurch dachte ich, mir versagen gleich die Beine." Aber am Ende klappte alles besser, als alle befürchtet hatten. Anja Blacha ist seit diesem Jahr die erste deutsche Frau, die mehr als sieben Achttausender bestiegen hat. Insgesamt sind es zehn verschiedene oder elf Achttausender, wenn man den Mount Everest zweimal zählt. Es ist nicht der einzige Rekord der ehemaligen Leistungsfechterin: Zur Person Anja Blacha (34) ist in Bielefeld geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Später geht sie zum Studium nach Mannheim, Berkeley und London. Seit 2016 lebt und arbeitet sie in Zürich. Zunächst als Managerin in der Telekommunkationsbranche, derzeit setzt sie ihren Fokus auf ihre Expeditionen. Nebenbei hält sie Vorträge zu ihren Erlebnissen und verfügt mit einem Sponsor über eine ganz neue Flexibilität, um ihre Projekte umzusetzen. Die Achttausender der Anja Blacha Mount Everest, 21. Mai 2017, jüngste Deutsche auf dem Gipfel (mit Flaschensauerstoff) Broad Peak, 4. Juli 2019 (ohne Sauerstoff) K2, 25. Juli 2019, erste Deutsche auf dem Gipfel (ohne Sauerstoff) Mount Everest, 31. Mai 2021 (mit Flaschensauerstoff) Nanga Parbat, 2. Juli 2023 (ohne Sauerstoff) Gasherbrum II, 18. Juli 2023 (ohne Sauerstoff) Gasherbrum I, 21. Juli 2023, erste Deutsche auf dem Gipfel (ohne Sauerstoff) Makalu, 12. Mai 2024 (ohne Sauerstoff) Kangchendzönga, 8. Juni 2024, erste Deutsche (ohne Sauerstoff) Manaslu, 23. September 2024 (ohne Sauerstoff) Cho Oyu, 05. Oktober 2024, erste Deutsche mit zehn Achttausendern (ohne Sauerstoff)Es fehlen ihr nur noch diese vier Achttausender: Shishapangma, Annapurna, Dhaulagiri und Lhotse. Außerdem: Südpol-Expedition, 9. Januar 2020, Anja Blacha ist die erste Frau und jüngste Person, die allein und ohne Unterstützung die 1.400 Kilometer von der Küste zum Südpol wandert. Als jüngste Deutsche erreicht sie 2017 außerdem den letzten der sieben Gipfel der &bdquo;Seven Summits", das sind die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente in der Welt.

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