„Ich war schockiert“: Bielefelderin arbeitet als Kriegsreporterin in der Ukraine

Bielefeld/Kiew. Nach ihrer journalistischen Ausbildung bei der Neuen Westfälischen gehen viele junge Redakteurinnen und Redakteure neue Wege. Manche gehen ins Ausland. Kriegsberichterstatter findet man unter ihnen äußerst selten. Die 35-jährige Lieselotte Hasselhoff ist da eine Ausnahme, sie ist inzwischen hauptberufliche Korrespondentin aus dem Kriegsgebiet der Ukraine, berichtet vor allem für das Nachrichtenmagazin &bdquo;Focus“, aber auch für andere Medien von dem Leben der Menschen in einem Land, das seit Februar 2022 von den ständigen Angriffen der russischen Truppen geprägt ist. Lieselotte Hasselhoff (35) hat an der Uni Bielefeld Soziologie studiert und 2020 bei der NW ihre Ausbildung zur Zeitungsredakteurin abgeschlossen. Zunächst arbeitet sie in Bielefeld als Journalistin. Doch im September 2022 – in der Ukraine herrscht seit dem 24. Februar Krieg – geht sie für eine Recherche nach Odessa. Sie schreibt über die bekannte Techno-Subkultur in der Stadt am Schwarzen Meer und über viele Angehörige der Szene, die nun an der Front ihr Land verteidigen wollen. Als sie einen zweiten Auftrag annimmt, entsteht bei ihr der Wunsch zu bleiben und als Korrespondentin aus der Ukraine zu berichten. Lesen Sie auch: Flucht vor Ukraine-Krieg: Vater findet Job in Schüco-Arena in Bielefeld Was hat sie dazu motiviert? &bdquo;Für meine Masterarbeit an der Uni hatte ich mich mit dem nationalen Bewusstsein der Ukrainer beschäftigt. Für Interviews war ich damals sogar in die Ukraine gereist“, berichtet die Ex-Bielefelderin. Vor Ausbruch des Krieges hatte sich Hasselhoff dann für ein Recherche-Stipendium beworben. Es sollte passend zu ihrem Studienthema um die Erinnerungskultur in der Ukraine gehen. Drei Tage vor Ausbruch des Krieges bekam sie eine Zusage für dieses Stipendium. Doch der Krieg stoppte das Projekt. Bielefelderin berichtet über Waffenmangel und Korruption Doch für Lieselotte Hasselhoff blieb der Wunsch, in die Ukraine zu gehen, bestehen. &bdquo;Als der Krieg ausbrach, war ich völlig schockiert. Ich gehörte zu denjenigen, die sich das nicht vorstellen konnten“, erinnert sie sich. Weil sie einen Bekannten in der Ukraine hat, kannte sie die Lage besser als nur aus der Tagesschau. &bdquo;Irgendwann habe ich mich entschieden, meine Reportage doch noch umzusetzen“, sagt sie. Hasselhoff bietet ihre Idee verschiedenen Redaktionen an und die Wochenzeitung &bdquo;Der Freitag“ sagt zu. Ohne diese Zusage hätte die Bielefelderin keine Akkreditierung bei den ukrainischen Streitkräften erhalten. Die Reise in das täglich mit Raketen beschossene Odessa ist der Türöffner in einen Krieg, der sie bis heute nicht mehr loslässt. Seit August 2023 lebt sie sogar dauerhaft in Kiew und liefert monatlich Reportagen und Hintergrundberichte aus dem ganzen Land – mal aus dem Frontgebiet im Donbas, mal aus Charkiw, Odessa und natürlich viel aus Kiew. Sie berichtet von Behörden und Ministerien, vom Mangel an Munition, Waffen und Soldaten, von neuen Rekrutierungsmaßnahmen, von Korruption und von den Toten und ihren Hinterbliebenen. Die Menschen stehen dabei im Vordergrund ihrer Berichte. Bielefelderin alleine in der Ukraine unterwegs Anfangs war die 35-Jährige ganz alleine in der Ukraine unterwegs, Ukrainisch spricht sie noch nicht. Mit Englisch sei sie aber nur sehr langsam vorangekommen, sagt sie heute. Inzwischen habe sie sich ein gutes Netzwerk aufgebaut, tausche sich regelmäßig mit internationalen Kollegen aus. &bdquo;Die deutschen Kriegsberichterstatter gehören nicht unbedingt dazu. Ich arbeite viel mit einem japanischen Kollegen zusammen. Manchmal teilen wir uns den Dolmetscher.“ Berichterstattungen aus dem Schützengraben seien aber auch nicht ihr Schwerpunkt. Lesen Sie dazu: Lieselotte Hasselhoff über Menschen in Charkiw Trotzdem habe auch sie einen Splitter-Schutzhelm, eine Sicherheitsweste und ein erweitertes Erste-Hilfe-Set, das sie stets mit zu ihren Recherchen mitnehme. Oft genug bewege sie sich in dem 50-Kilometer-Gürtel hinter der Frontlinie, den die russische Artillerie jederzeit erreichen könne. Die Sorge, von einem der unzähligen Raketenangriffe getroffen zu werden, sei immer da. &bdquo;Aber wie die Ukrainer habe auch ich gelernt, damit zu leben.“ Ein Freund habe ihr anfangs gesagt, dass es wahrscheinlicher sei, in einen Autounfall involviert zu sein, als von einer Rakete getroffen zu werden. &bdquo;Ich habe es nicht überprüft. Aber die Menschen hier suchen längst nicht mehr bei jedem Alarm Schutz.“ Wichtige Zwei-Wände-Regel bei Raketenangriffen Die ukrainischen Streitkräfte warnen die Bevölkerung per Telegram-Nachricht vor Angriffen. &bdquo;Wenn nur Drohnen angekündigt werden, die sehr leicht angefangen werden können, machen die Ukrainer gar nichts.“ Das sei anders, wenn Raketen angekündigt würden. Vor allem Familien mit Kindern seien sicherlich vorsichtiger. Doch für viele sei der Krieg zum Alltag geworden. Für sie gehe das Leben weiter. Wenn es ernst werde, beherzigen die Menschen die &bdquo;zwei-Wände-Regel“ – bringe zwischen die Fenster und Dich zwei Wände. Das sei der nötige Schutz, um vor herumfliegenden Splittern geschützt zu sein. Für Lieselotte Hasselhoff ist das in ihrer Kiewer Wohnung eine tragende Wand im Flur. Dort arbeite sie dann manchmal stundenlang auf dem Boden sitzend – bis zur Entwarnung. Deutlich härter treffen die Menschen die russischen Angriffe auf die Strom-Infrastruktur. &bdquo;Im Sommer hatten wir 40 Grad, aber pro Tag nur zwei Stunden Strom.“ Alles im Kühlschrank sei verdorben, Klimaanlagen funktionierten nicht, draußen lärmten die Generatoren und alles habe nach Diesel gestunken. &bdquo;Das hat viele mürbe gemacht. Meine Freundin Olga wollte phasenweise gar nicht mehr vor die Tür gehen.“ Sie hatte sich dafür entschieden, in der Ukraine zu bleiben, obwohl sie viele Kontakte ins Ausland hat. &bdquo;Sie wollte die Freiwilligen, die den Streitkräften helfen, nicht alleine lassen.“ Doch der psychische Druck in diesem Sommer habe sie darüber nachdenken lassen, doch noch zu gehen. Hasselhoff hatte lange die nächtlichen Luftangriffe verschlafen, sagt sie. Ihr Unterbewusstsein hatte die Sirenen ausgeklammert. &bdquo;Ich fühlte mich offensichtlich sicher.“ Doch seit den jüngsten Großangriffen auf Kiew ist das vorbei. &bdquo;Seitdem schlafe ich nicht mehr durch.“ Starke emotionale Bindung lässt Bielefelderin weitermachen Theoretisch könnte die 35-Jährige der Ukraine den Rücken kehren. Doch das will sie nicht: &bdquo;Ich bin immer noch erschüttert darüber, was hier passiert." Sie habe inzwischen eine starke emotionale Verbindung zu den Menschen hier aufgebaut. Hasselhoff spricht von einem Sog, den diese Verbindungen für sie, aber auch für andere Kollegen bedeuteten. Zwei bis drei Jahre wolle sie daher noch weitermachen – immer davon abhängig, wie sich der Krieg und andere Dinge in dem Land entwickelten. Ist so ein emotionaler Bezug zu den Menschen nicht hinderlich für objektive Berichterstattung? Das glaubt die freie Korrespondentin, die regelmäßig für den &bdquo;Focus“ arbeitet, nicht: &bdquo;Eher im Gegenteil. Ich ertappe mich dabei, dass ich gerade deshalb eher noch kritischer hingucke und noch mehr hinterfrage." Anders sei es bei den emotionalen, menschlichen Geschichten. Sehr nahegegangen sei ihr ein Interview mit der jungen Mutter Anna, die zusammen mit ihrer Schwester über ihren gefallenen Ehemann berichtet. Beide berichten von ihrem Schmerz, der Beerdigung und von der Überzeugung des Verstorbenen, etwas zur Rettung seines Landes tun zu müssen. Doch er gerät im Einsatz unter Artillerie-Beschuss und stirbt. Er hinterlässt seine Frau Anna und seinen sechsjährigen Sohn. Solche Geschichten gingen an die emotionale Substanz, sagt Hasselhoff. &bdquo;Anfangs bin ich immer sehr vorsichtig auf die Menschen zugegangen. Aber das ist oft nicht nötig. Viele Menschen wollen, dass die Welt draußen erfährt, was mit ihnen hier passiert." &bdquo;Furchtbar“: Munitionsmangel hat viele Tote gefordert Zur aktuellen Lage hat Hasselhoff eine klare Meinung: Die Lage sei zuletzt &bdquo;furchtbar" gewesen. Der Mangel an Munition – es war von einem Schussverhältnis von 1 zu 10 zugunsten der Russen die Rede – habe viele Tote gefordert. Die Situation sei inzwischen nur ein bisschen besser. Hasselhoff verstehe daher den Wunsch der Ukrainer, Langstreckenwaffen in Russland einsetzen zu dürfen. Diese könnten Waffenarsenale oder Hubschrauber erreichen und damit effektiv die ständigen Angriffe stoppen oder zumindest eindämmen. Lesen Sie dazu: Lieselotte Hasselhoff über neue Rekrutierungen in der Ukraine Das aktuelle Vorrücken der russischen Truppen in manchen Frontabschnitten im Donbass sei bedenklich. Ein Waffenstillstand sei ihrer Ansicht nach kaum herzustellen – zumindest nicht ohne Einfluss von außen. &bdquo;Die Ukrainer sagen selbst: Wir haben es nicht in der Hand. Wenn wir die Waffen strecken, machen die Russen einfach weiter." Die einzige Möglichkeit wären Sicherheitsgarantien aus dem Westen, die aktuell aber niemand zu geben gewillt sei. Lieselotte Hasselhoff ist übrigens nicht die einzige Kriegsberichterstatterin aus dem Hause NW. Die 2014 bei einem Anschlag in Afghanistan erschossene Fotografin und Pulitzerpreis-Trägerin Anja Niedringhaus machte ihre ersten journalistischen Schritte ebenfalls für die NW. Heute erinnert das &bdquo;Forum Anja Niedringhaus“ in Höxter an ihre wichtige Arbeit als Fotojournalistin in den Krisenländern dieser Erde. Lesen Sie dazu: Höxter gedenkt der Fotografin Anja Niedringhaus

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