Forscher über Verkehr in Bielefeld: „Autos müssen aus der Innenstadt raus“

Bielefeld. Noch vor wenigen Jahren war Bielefeld gefürchtet als gefährliches Pflaster für Fahrradfahrer. Im Verkehr drehte sich alles um das Auto, das Straßennetz schien zugeschnitten auf die Bedürfnisse motorisierter Verkehrsteilnehmer. Inzwischen hat sich einiges getan, Hauptverkehrsadern ohne Fahrradwege (wie die Detmolder Straße) gibt es nur noch wenige. Und die Stadtbahn darf für eine Stadt der Bielefelder Größenordnung unbestritten als vorbildlich gelten. Das Ende der Entwicklung ist damit allerdings nicht erreicht, Experten wie der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie gehen deutlich weiter: &bdquo;Bielefelds Zukunft sieht besser aus, wenn weniger Autos in die Innenstadt kommen“, sagt er unverblümt. Viele Geschäftsleute sehen die Entwicklung mit großer Skepsis. Ansätze der Bielefelder Stadtverwaltung unter Führung von Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), zum Beispiel einzelne Straßen wie den Waldhof für Autos zu sperren, sind in den vergangenen Jahren mit ausdauernder Kritik beantwortet worden. Von Autofeindlichkeit ist die Rede. Mehr Autos in Innenstädten – geringere Umsätze Andreas Knie aber verweist auf Städte wie &bdquo;das konservative Siegen“, wo unter der Ägide von Bürgermeister Steffen Mues (CDU) eine komplette Fahrspur einer innerstädtischen Straße auf fünf Kilometer Länge zur &bdquo;Umweltspur“ gemacht wurde, exklusiv für Fahrräder und Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Den Händlern und Gastronomen nennt Knie ein gewichtiges Argument für die Idee, Autos möglichst weitgehend aus den Citys zu verbannen: &bdquo;Je mehr Autos in den Innenstädten fahren, umso geringer sind dort heutzutage die Umsätze“, behauptet der studierte Politologe, der seit 1987 am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) arbeitet sowie als Soziologie-Professor an der Technischen Universität Berlin. Die höchsten Umsätze brächten hingegen die Fußgänger. Lesen Sie auch: Verkehrschaos in der Altstadt: Lösung für Bielefelds Nadelöhr gefunden Also: Autos raus aus den Innenstädten? Ja, sagt Knie, denn es gebe inzwischen zu viele Autos auf den Straßen, der Grenznutzen zusätzlicher Fahrzeuge sei gering. Bundesweit gebe es bald schon 50 Millionen Pkw, Autos nehmen zu viel Platz in Anspruch und vergeuden zu viele Ressourcen, so eine seiner Kernbotschaften. Privilegien für Autofahrer müssen abgeschafft werden Dass das Auto und mit ihm die deutsche Autoindustrie eine solch dominierende Stellung erobern konnte, gehe in Deutschland auf die Politik der Nationalsozialisten zurück, die Autobahnen bauen ließen und ein Volkswagenwerk. In den 50er und 60er-Jahren sei das Auto dann zunehmend privilegiert worden: &bdquo;Eines der größten Privilegien ist, dass Fahrzeuge fast überall abgestellt werden dürfen - umsonst oder zu geringen Gebühren“, sagt Knie provokant. Er weiß wohl, dass die Parkplatzpreise für auswärtige Gäste nicht von allen als &bdquo;gering“ empfunden werden. Die ganze Straßenverkehrsordnung sei rund ums Auto herum konzipiert worden, &bdquo;fließender Verkehr“ sei das höchste Ziel, behauptet der Berliner Forscher. Die Bevorzugung zeige sich auch im Verzicht auf ein Tempolimit auf Autobahnen. Speziell der Treibstoff Diesel werde mit Steuergeldern in Milliardenhöhe subventioniert, und weitere Segnungen seien die steuerlichen Bedingungen für Dienstwagen sowie die Pendlerpauschale (Entfernungspauschale). Lesen Sie auch: Umbaupläne der Altstadt: Wichtiger Preis geht an die Stadt Bielefeld Wer sich also die Frage stelle, wie man die vielen Autos wieder loswerden kann, der müsse &bdquo;an die Privilegien ran“. Die Straßenverkehrsordnung müsse noch radikaler als zuletzt novelliert werden, Steuervergünstigungen für Autofahrer müssten abgeschafft werden. Andreas Knie zu Gast in Bielefeld Das deutsche &bdquo;Autosystem“ inklusive der horrenden Kosten für die Infrastruktur koste den Steuerzahler rund 120 Milliarden Euro im Jahr, während Mineralöl- und Kfz-Steuern andererseits nur 60 Milliarden Euro einbringen, so Knie. Eine Abkehr von der Fokussierung aufs Auto bringe also volkswirtschaftliche Vorteile. Alternativen seien im Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme zu finden. In den Ballungsräumen müsse noch mehr auf Fuß- und Radwege, Busse und Bahnen sowie Car-Sharing (&bdquo;da fehlt bisher die Gleichberechtigung mit privaten Pkw“) gesetzt werden. Im ländlichen Raum sei dringend der ÖPNV zu verbessern, der bisher oft von den falschen Leuten organisiert werde. Für die Bündelung der Mobilität auf der letzten Meile müssten On-Demand-Systeme (etwa Anruf-Sammeltaxis) eingerichtet werden. Die Zeiten, in denen jeder junge Mensch sich danach sehne, endlich ein eigenes Auto zu haben, seien auf jeden Fall vorbei, glaubt Knie. Seine Sicht der Dinge will Andreas Knie auf Einladung der Volkshochschule Bielefeld in Kooperation mit Parents for Future und dem Klimabündnis Bielefeld am Dienstag (22. Oktober) im Murnausaal der Volkshochschule der Ravensberger Spinnerei erklären. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld

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