
Bielefeld. Einem Künstler namens Walter Spies eine Sonderausstellung in Bielefeld zu widmen, den kaum noch jemand kennt hierzulande, hat schon etwas Wagemutiges.
Auf Bali wäre das etwas anderes gewesen. Dort hallt sein Name bis heute auch dank eines Museums für sein Werk nach, obwohl Spies, der 1895 in Moskau geboren wurde, bereits 1942 starb, als er von der niederländischen Kolonialmacht von Sumatra nach Ceylon deportiert werden sollte – weil er Deutscher und damit ein Feind war.
Klug arrangiert im Bielefelder Joseph-Massolle-Forum
Das Schiff sank nach einem Bombenangriff. 411 Menschen kamen ums Leben, weil die Besatzung lieber sich selbst in Sicherheit brachte, als sich um die Gefangenen zu kümmern und zu allem Überfluss noch die restlichen Rettungsboote zerstört hatte. Ein nie gesühntes Kriegsverbrechen, begangen an einem Menschen, der das Leben auf Bali, die Menschen, ihre Volkskunst, ihre Mythen, Tänze und Gebräuche liebte, einer, der ein Ausnahmekünstler war – vielseitig begabt, Maler, Musiker, Ethnograph, Brückenbauer und zudem Kosmopolit. Einer, der einmal sagte: „Das Leben spielt mit mir, und ich will kein Spielverderber sein.“
Also stürzte er sich hinein in das Leben, das nun dank der vielschichtigen, klug arrangierten Ausstellung mit dem anregenden Titel „Gott, Teufel, ich und die Welt – Walter Spies, ein Künstler zwischen den Welten“ im Murnau-Massolle-Forum in Bielefeld bestens nachvollzogen und sein Werk überblicksartig entdeckt werden kann.
In Moskau geboren, nach Baschkirien vertrieben
1895 wurde er in Moskau in eine großbürgerliche deutsche Kaufmannsfamilie hineingeboren. Hier entdeckte er zunächst die Musik, später die Malerei für sich. Die Ausstellung zeigt, wie er in der Tradition Chagalls stehend, sich in fantastische Welten träumt. Doch Russland wird für die wohlhabende deutsche Kaufmannsfamilie mit deutschen Wurzeln zusehends zum Problem.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wird der Sohn – Kriegsfeind nun – nach Baschkirien deportiert. 2.000 Kilometer östlich von Moskau lebt Spies, kann sich aber relativ frei bewegen unter den Menschen dort, schätzt das bäuerliche Leben, malt traumhaft überhöhte, auch idealisiert-naive Szenen aus dem bäuerlichen Leben. Seine Werke werden auch später stets etwas von diesem magisch-realistischen, ja bisweilen naivem Stil haben. Über seine Lebenssicht notiert er: „Ach ich bin schon so oft in meinem Leben in Vulkane gefallen, einmal mehr macht nichts aus.“
Walter Spies schreibt und zeichnet Filmszenen
Und genauso ist es: Was auch kommt, er verzweifelt nicht am Leben, sondern stellt sich diesem, schlägt sich von Baschkirien nach dem Kriegsende und dem Ausbruch der Oktoberrevolution über Moskau und Dresden nach Berlin durch, findet Einlass in die Berliner Künstlerkreise, verliebt sich in den großen Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau, wird sein Assistent, schreibt und zeichnet Szenen für seine Filme und bricht aus der Beziehung mit Murnau 1923 wieder aus, weil dieser diese für Spies’ Lebensgefühl zu eng, zu spießig führen will. „Denn Spies will nur eins, frei sein“, wie Ausstellungsmacher Holger Schettler vom „MuMa“-Forum betont.
Seine neue Freiheit findet er auf Java und schließlich auf Bali (Indonesien). Schettler: „Er liebt die Balinesen, ist von ihrer Kultur und ihren künstlerischen Ausdrucksformen fasziniert.“ Gerne lässt er sich von den Mythen und Legenden der Balinesen inspirieren, seine Bilder spiegeln diese Faszination wider. Kopien sind im „MuMa“ auf Staffeleien zu entdecken. „Aber er lässt sich nicht nur inspirieren, sondern beeinflusst zusammen mit dem niederländischen Maler Rudolf Bonnet selbst wiederum die Entwicklung der balinesischen Malerei“, so Schettler.

Auch seine von Licht und Schatten durchsetzen Bilder strahlen wieder diesen magischen Realismus aus. Über seine Malereien sagt er selbst: „Ich male immer nur, wenn ich etwas überwunden habe, um es von mir wegzuschmeißen, damit nichts in mir bleibt, was stört oder aufhalten könnte.“
Bielefelder können sich dem vergessenen Künstler annähern
Sein geliebtes balinesisches Refugium wird schon bald Anziehungspunkt für prominente Besucher wie Vicki Baum, Charles Chaplin, Barbara Hutton oder Elly Beinhorn. Bei dem auf Bali produzierten Dokumentarfilmdrama „Insel der Dämonen“ (1933) von Friedrich Dalsheim und Victor von Plessen war Spies beratend tätig. Der lebt hier auf Bali seinen Traum.
Doch dieser wird jäh durch die politische Realität der 30er Jahre zerstört. Als Homosexueller erst inhaftiert, dann als Deutscher von den Holländern interniert stirbt er tragisch als Gefangener beim Untergang der Van Imhoff vor Sumatra 1942. „So liest sich die Biografie des Malers und Musikers Walter Spies wie die durch ein Brennglas eingefangene, wechselvolle Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, bilanziert Schettler. Dank dieser so kenntnisreich arrangierten Bielefelder Schau wird es nun möglich, sich hierzulande dem fast Vergessenen anzunähern. Eine schöne Tat.
? Die Ausstellung ist bis zum 15. August 2025 im Murnau-Massolle-Forum, Walter-Werning-Str. 9 zu sehen. Weitere Infos unter www.muma-forum.de.