Notarzteinsätze bei Lebensmittelausgabe: Bielefelder Armenhilfe braucht selbst Hilfe

Bielefeld. Sie kommen, weil sie ein zu geringes Einkommen, eine zu kleine Rente haben oder weil sie vor Kriegen geflüchtet sind und allein nicht über die Runden kommen. Etwa 450 Menschen aus den Stadtbezirken Brackwede und Senne kommen jeden Freitag zum Gemeinschaftshaus in Senne, um dort vom Brackweder Lebensmittelpunkt in erster Linie mit Lebensmitteln versorgt zu werden. Die echte Bürgerhilfe für Menschen in Not gibt es mittlerweile seit 25 Jahren. Doch nun stehen engagierten Ehrenamtlichen selbst vor größeren Problemen. Und auch die Stadt könnte den Bedürftigen ganz konkret helfen, tut es aber bisher nicht. Den Brackweder Lebensmittelpunkt gibt es unter dem bekannten Namen erst seit fünf Jahren. Aber die Hilfe für die Bedürftigen im Bielefelder Süden hat bereits vor einem Vierteljahrhundert begonnen – damals im Stadtbezirk Brackwede. Hervorgegangen ist das Ganze als Idee eines Arbeitslosentreffs im Herbst 1999 und startete als Zweigstelle der großen Bielefelder Tafel, wie sich die Gründer Wolfgang Bergmann, Harald Niedick und Gerd Zaplin erinnern. Die Lebensmittel wurden im damaligen Gustav-Münter-Haus der evangelischen Kirchengemeinde Brackwede ausgegeben. Das Angebot sprach sich damals so schnell herum, wie die Zusammenarbeit mit der Tafel endete. Doch die Organisatoren wollten nicht aufgeben und setzten das Angebot in Eigenregie fort. Der heutige Sprecher des Brackweder Lebensmittelpunktes, Klaus Milsmann, erinnert an die Suche nach Kühlschränken für die Lagerung der Lebensmittel im Keller des Gemeindehauses, an Fahrten mit Privat-Pkw, bis ein gebrauchtes Transportfahrzeug erworben werden konnte. Später konnte mit Unterstützung der Lions-Hilfe Bielefeld das geforderte Kühlfahrzeug erworben werden. Gerade Anfang dieses Jahres konnten dank der Lions zwei neue Kühlfahrzeuge für die Lebensmittelsammlung. Kriegsflüchtlinge überrannten Ausgabestellen quasi über Nacht 2013 übernahm Milsmann von Harald Niedick die Aufgabe des Sprechers des Lebensmittelpunktes. Auch er musste und muss seither viele Krisen mit seinem Team bewältigen. In den Jahren 2015/16 kamen viele Flüchtlinge aus Nahost und vom Balkan, die um Hilfe baten. 2020 legte Corona die Republik lahm und damit auch die Lebensmittelverteilstelle. Die Ehrenamtlichen packten Pakete und fuhren sie wochenlang zu den Bedürftigen. 2022 kam der Krieg in der Ukraine. &bdquo;Praktisch über Nacht überrannten viele Menschen, die vor den Bomben fliehen mussten, die Ausgabestelle und fragten nach Hilfe zur Versorgung mit Lebensmitteln“, erinnert sich Klaus Milsmann. Lesen sie auch: Unwürdige Zustände und Notarzteinsätze bei Lebensmittelausgabe Mittendrin, im Jahr 2017, kommt fast das Ende des Brackweder Hilfsangebotes, als die Kirchengemeinde das Gustav-Münter-Haus verkaufte. &bdquo;Nur mühsam und mit großer Unterstützung der Senner Bezirksvertretung und Bezirksverwaltung konnte eine neue Ausgabestelle gefunden werden, die bis heute erfolgreich genutzt wird“, sagt Milsmann. Seither ist das Gemeinschaftshaus Senne die Heimat der Ehrenamtlichen. Doch das städtische Gebäude benötigt in naher Zukunft dringende Unterhaltungsmaßnahmen, wie die Bezirksvertretung kürzlich noch einmal festgestellt hat. 2026 soll Geld dafür in den Etat eingestellt werden. In der Vergangenheit bereits mehrere Notarzteinsätze Aus Sicht des Brackweder Lebensmittelpunktes wäre es jedoch wünschenswert, vorher bereits etwas für die bedürftigen Mitbürger zu tun, die jeden Freitag zur Ausgabestelle im Gemeinschaftshaus kommen: einen Unterstand, der den Wartenden Schutz vor Regen, Sturm, Schnee und im Sommer vor intensiver Sonneneinstrahlung bieten kann. Derzeit sind die Menschen, die oftmals auch durch Krankheiten geschwächt sind, in der unvermeidbaren Wartezeit dem Wetter schutzlos ausgesetzt. Schon mehrfach sei es deshalb in der Vergangenheit zu Notarzteinsätzen gekommen. Lesen Sie auch: &bdquo;Laufen in den Kollaps“: Nachschub für Bielefelder Tafel geht zurück Bereits vor einem Jahr hat Klaus Milsmann auf den aus seiner Sicht unzumutbaren Zustand hingewiesen. Der Brackweder Lebensmittelpunkt könne auf diese Weise seine Fürsorgepflicht gegenüber Personen, die Hilfe benötigten, nicht erfüllen. Weil derzeit nicht für den Schutz und die Gesundheit der Besucher gesorgt werden kann, sei die Stadt um Abhilfe gebeten worden. &bdquo;Leider bisher ohne Erfolg“, wie der Sprecher erklärt. Die Ehrenamtlichen sammeln derweil unermüdlich weiter Lebensmittel ein, sortieren sie, geben die Waren aus. Mehr als 20 Stationen werden mehrmals pro Woche angefahren. Aber: Der Lebensmittelpunkt braucht dringend neue Helfer, da in naher Zukunft viele aus Altersgründen ausscheiden werden. Neben Ware auch Hilfe in schwierigen Lebenslagen Klaus Milsmann betont, dass die Arbeit nicht bloß &bdquo;reine Warenverteilung“ sei. &bdquo;Wir wollen den Menschen eine Hilfe in schwierigen Lebenssituationen bieten. In vielen persönlichen Gesprächen vertrauen sie uns ihre Einzelschicksale an und suchen einfach nur einen Gesprächspartner und Zuhörer. Oftmals können wir Hilfe über unser vorhandenes Netzwerk anbieten“, sagt der Sprecher der Initiative. Den Menschen gebe das Gefühl, in einer schwierigen Lebenssituation nicht allein zu sein, Mut und Zuversicht. Zahlreiche Bekanntschaften, die über die Begegnung jeweils am Ausgabetag hinausgehen, seien geschlossen worden. Den Helfern sei all dies Antrieb und Motivation, ihre soziale Arbeit zu erfüllen. Informationen zu allen Bielefelder Ausgabestellen in der Arbeitsgemeinschaft Lebensmittel-Tisch Bielefeld finden Sie hier.

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