Hätten Sie es gewusst? Wie alt das Bielefelder Leineweber-Denkmal ist

Bielefeld. Er gehört zu Bielefeld wie Sparrenburg, Pickert und Nieselregen: Der Leineweber auf dem Altstädter Kirchplatz ist eins, wenn nicht sogar das Wahrzeichen der Stadt. Dass die wuchtige Bronzeplastik und der dazugehörige Brunnen zum Aushängeschild und Symbol für Bielefeld würde, war bei seiner feierlichen Enthüllung noch nicht zu erahnen. Denn obwohl die Bielefelder heute vor 115 Jahren laut &bdquo;Hoch!“ und &bdquo;Hurra!“ riefen und das Denkmal von Zeitgenossen als &bdquo;echter Schmuck für die Vaterstadt“ gelobt wurde, geriet der Leineweber über Jahre hinweg in Vergessenheit – und war zwischenzeitlich sogar ganz verschwunden. Ein Mann des Volkes statt eines weiteren Staatsmannes Der Anlass, warum die Bielefelder einen einfachen Leineweber auf einen Sockel hoben, war ein runder Jahrestag: 1609 wurde die Grafschaft Ravensberg Brandenburg-Preußen und damit dem Haus Hohenzollern zugeschlagen. Lesen Sie auch: Leineweber plötzlich verhüllt: Bielefelder Innenstadt wird zum Künstlerviertel Da dieses Adelsgeschlecht 300 Jahre später mit Wilhelm II. den deutschen Kaiser stellte, sollte dieses Jubiläum am 16. Juli 1909 mit viel patriotischem Pomp gefeiert werden. Da die Stadt aber schon dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, dem eisernen Kanzler Otto von Bismarck und auch Kaiser Wilhelm I. mit überlebensgroßen Figuren gehuldigt hatten, fiel nun die Wahl der Planer auf ein Brunnendenkmal, das laut Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann einen &bdquo;Mann des Volkes“ zeigen sollte. &bdquo;Unser Brunnendenkmal wird uns einen viel bescheideneren Mann zeigen, einen einfachen Ravensberger Leineweber, der aber durch seine Arbeitsamkeit und seine Königstreue hervorragend an der Entwicklung unserer Stadt und unserer Grafschaft beteiligt ist.“ Namhafter Bildhauer gestaltete Denkmal Für die Gestaltung des Brunnens wurde im Sommer 1908 mit Hans Perathoner der damals namhafteste Bildhauer der Stadt gewonnen. Der gebürtige Österreicher war als Leiter der Bildhauerklasse und als Lehrer für Aktmalerei an die neu gegründete Handwerker- und Kunstgewerbeschule nach Bielefeld gekommen. Lesen Sie auch: Ein Stück Heimat am Arm: NW bringt exklusive Armbanduhr heraus Und er war sofort Feuer und Flamme, seiner Wahlheimat ein prächtiges Denkmal zu errichten: Neben dem sieben Meter hohen Leineweber aus Bronze sollten noch weitere Figuren die Arbeit des Ravensberger Textilgewerbes zeigen, das Wasser sollte sich aus mehr als 20 Strahlen in ein Granitbecken ergießen. Das Urteil des Bielefelder Magistrats: Alles schön und gut, aber viel zu teuer. Perathoner lenkte ein und nahm nun Muschelkalk statt Granit, zudem verzichtete er auf die zusätzlichen Figuren. Mit der Höhe des Denkmals setzte er sich aber durch, da sich die Bronzeplastik am geplanten Standort auf dem Altstädter Kirchplatz sonst neben dem dominanten Kirchturm nicht hätte durchsetzen können. &bdquo;Ein zu kleines Denkmal würde die jetzt zu erreichende Schaffung eines charakteristischen Platzes verhindern und dadurch das Stadtbild schädigen“, warnte der Künstler. Man einigte sich schließlich auf eine abgespeckte Variante, die statt 68.000 nur noch 40.000 Reichsmark kosten sollte. Hinweis: Den Schieberegler in dem Bild unter diesem Absatz können Sie nach oben oder nach unten bewegen, um zwischen der historischen und der aktuellen Aufnahme zu wechseln. Am Desktop lässt sich der Regler mit gedrückter Maustaste bewegen. Per Mobiltelefon können Sie ihn mit dem Finger bewegen. Fertigstellung im Zeit- und Kostenrahmen Die Herstellung des Leinewebers selbst wurde zu einem Schaffungsakt, der Bielefelderischer kaum hätte sein können. Hans Perathoner verlegte sein Atelier in den großen Saal der Sparrenburg, als &bdquo;Model“ diente ihm Heinrich Heienbrock aus Niederjöllenbeck, in dessen Persönlichkeit ihm &bdquo;der westfälische Typus am schärfsten ausgeprägt“ erschien. Wie erst später bekanntwurde, stammt von Heienbrock allerdings nur das markante Gesicht des Leinewebers: Modell für den muskulösen und stattlichen Körper war Harry Breitsohl, der Perathoner als Torwart des VfB Bielefeld ins Auge gefallen war. Fertigstellung im Zeit- und Kostenrahmen Der Künstler und seine Bielefelder Vorbilder schafften es, sowohl den Kostenrahmen als auch den Termin zu halten. Pünktlich zum 16. Juli 1909 stand der Leineweber auf seinem Sockel und wurde bei der Enthüllung von der begeisterten Menge mit der Hymne &bdquo;Heil dir im Siegerkranz“ begrüßt. Auch die Presse war angetan: &bdquo;Die Gesichtszüge des niedersächsischen Volksstamms sind in der Figur vorzüglich getroffen“, lobte die Westfälische Zeitung, Vorgängerin der Neuen Westfälischen. Das Brunnendenkmal und der kleine Park direkt neben der Nicolaikirche erfreute sich in den folgenden Jahrzehnten großer Beliebtheit – bis der Leineweber durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ins Abseits geriet und die Anlage zunehmend verwahrloste. Mehr noch: Im August 1954 wurde das Denkmal sogar komplett vom Sockel geholt und für mehrere Jahre auf dem städtischen Bauhof eingelagert. Bielefelder setzten sich für ihr Denkmal ein Das wollten die Bielefelder aber nicht auf sich sitzen lassen. Zahlreiche Bürger protestierten und forderten die Wiederaufstellung des Leinewebers. Heiß wurde diskutiert, wo die Statue wieder errichtet werden sollte: Einige wollten den alten Standort zurück, andere wünschten sich den Alten Markt als neuen Ort für den Brunnen. Man einigte sich schließlich darauf, hinter der Nicolaikirche eine neue Parkanlage anzulegen. Die Gestaltung übernahm mit Wilhelm Heiner einmal mehr einer der damals bekanntesten Künstler der Stadt, im Dezember 1960 fiel zur Einweihung erneut ein Leinentuch. Seitdem steht das heute 115 Jahre alte Wahrzeichen der Stadt an seiner heute bis weit über die Grenzen Bielefelds hinaus bekannten und beliebten Stelle.

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