Scharfe Kritik an Bielefelder Stadtfest: „Leineweber ist zur Dorf-Kirmes verkommen“

Bielefeld. &bdquo;Warum sollen wir über Abstieg reden, wenn man alles leicht verbessern kann?“, fragt der Soziologe und Verwaltungswissenschaftler Hans E. Latzke. Und formuliert im vierten NW-Sommergespräch zu der Frage &bdquo;Droht Bielefeld der Abstieg?“ einige Ideen für eine neue Aufstellung des Stadtmarketings. Für ihn steht fest: &bdquo;Es braucht Ideen gegen die Provinzialität. Der Leinweber zum Beispiel ist zur Dorfkirmes mutiert.“ Latzke kritisiert, dass Bielefeld eine Chance verpasse, sich mit dem Leineweber professionell überregional zu präsentieren. &bdquo;Die Kirmes auf dem Leineweber bringt zwar das große Geld. Aber das ist zu kurzfristig gedacht. Denn eine Kirmes, die mit Bielefeld so rein gar nichts zu tun hat, ist kein nachhaltiges Marketing für diese Stadt.“ Er geht so weit zu sagen: &bdquo;Damit wird regelrecht Schindluder mit der Symbolfigur des Leinewebers getrieben. Der steht ja für den Aufstieg zu einer bekannten Industriestadt durch Fleiß, Erfindungsgeist und Arbeit.“ Lesen Sie auch: Mein Ortscheck Bielefeld – wie lebt es sich in Bielefeld? Starke Worte des in Bielefeld geborenen Buchautors (68), der einst in der Dürkopp-Fabrik an der Marktstraße ein Büro mit seiner Firma hatte, die Bücher zur Druckreife brachte. Die Kirmes also abschaffen? So weit geht Latzke nicht. &bdquo;Ich würde sie verkleinern und auf den Kesselbrink bringen.“ Der Platz sei ideal dafür und durch die aufgefrischte Wilhelm-Straße ja auch wieder besser angebunden. &bdquo;Mit diesem Schritt würden wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Der Leineweber bekommt mehr Platz, um echten Bielefelder Attraktionen mehr Raum zu geben, und wir beleben den Kesselbrink durch eine immer noch stattliche Kirmes.“ Der Platz sei ideal dafür und es müsse ohnehin mehr passieren, um den Platz attraktiv werden zu lassen. Bielefelds kulturelle Vielfalt zeigen Auf den durch diese Verlagerung frei werdenden Innenstadtflächen während des Leinewebers könnten dann verschiedene Kulturbühnen und Präsentationen aufgebaut werden, die Bielefelder Akteuren viel mehr Raum geben als bisher. Latzke: &bdquo;Dort können die vielen Kulturakteure aus Bielefeld zeigen, welche Vielfalt es hier gibt.“ Lesen Sie auch: Mein Ortscheck OWL: Alle Ergebnisse im Überblick Auch das Theater könnte dort einen großen Raum einnehmen, der Sport sich viel besser und zentraler auf einer Bühne präsentieren als auf dem abgeschiedenen Bunnemann-Platz. Die Universität, der Poetry Slam, Bethel, die gesamte Zivilgesellschaft und auch politische Initiativen und Parteien hätten hier die Möglichkeit ihr Bielefeld-Gesicht zu zeigen und in wirklich kontroversen Diskussionen für die Stadt zu werben, betont Latzke und fügt an: &bdquo;So wird es Bielefeld möglich, sein gewaltiges Potenzial als lebenswerte Großstadt, intellektuell, wirtschaftlich, kulturell, touristisch und zivilgesellschaftlich voll sichtbar zu machen und auszuspielen anstatt auf eine Kirmes ohne Bezug zur Stadt zu setzen.“ Insgesamt schwebt ihm vor, dass der Leineweber eher die Ausstrahlung eines Festes der Stadt für die Stadt haben sollte. Auch auf teure Top-Acts, wie zuletzt Leony, könne gerne verzichtet werden. &bdquo;Was bringen die denn für die Stadt?“, fragt Latzke, verweist auf die Kosten bei freiem Eintritt. Sein Vorschlag: Solche Konzerte gehen auch im Ravensberger Park bei schmalem Eintritt. Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (1): Bielefeld besser machen: Bürger fordert Tempo 30 auf Ausfallstraßen und mehr Wasser In Sachen Finanzierung würde er das Fest ebenfalls neu denken wollen. &bdquo;Warum sollten sich die Einzelhändler und Gastronomen, die ja vom Leineweber deutlich profitieren, nicht an dessen Finanzierung beteiligen?“, fragt er. Es sei &bdquo;maximal unprofessionell“, dass sich Bielefelder Initiativen und Vereine selbst ihre Sponsoren suchen müssten, um auf den Bühnen des Leinewebers dabei sein zu können. Abrutschen in die Provinzialität &bdquo;Bielefeld Marketing sollte daher finanziell viel besser aufgestellt werden als derzeit“, fordert er und fragt sich, ob es wirklich ein gutes Konzept sei, dies als outgesourcte Einrichtung zu betreiben – mit geringem Etat und der Aufgabe, sich selbst finanzieren zu müssen? &bdquo;Dieser Weg führt doch nur, und das sehen wir ja heute sehr deutlich, in die Kommerzialisierung und die Abhängigkeit von Sponsoren“, meint Latzke und vermutet: &bdquo;Aber die Stadtverwaltung scheint kein Interesse zu haben, sondern sich in dem Outsourcing höchst wohlzufühlen. Ohne zu bemerken, wie Bielefeld immer weiter in die Provinzialität abrutscht.“ Man sollte auch den Mut haben, die Probleme der Zeit anzufassen, damit Bielefeld abseits vom DSC auch mal positiv in die überregionale und die globale Presse kommt. Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (2): Kulturboom in Bielefeld: Musiker hat eine positive Vision Zum Ende des Sommergesprächs hat Latzke noch eine Idee mitgebracht: &bdquo;Wir sollten auch die Stadtteile stärken und besser einbinden“, sagt er. Um das zu erreichen, könnte die Stadt jedes Jahr in einem anderen Stadtteil ein großes Stadtfest feiern. &bdquo;Ich meine dabei kein Stadtteilfest, sondern ein echtes Stadtfest, das nicht für einen Stadtteil allein steht, sondern für die gesamte Stadt – auch unter Einschluss der Communitys mit Migrationshintergrund. Ein Fest, das deren geballte Ausstrahlung verkörpert und so Bürgerinnen und Bürger aus der gesamten Stadt in den jeweiligen Stadtteil lockt, sodass mehr Menschen die Außenbezirke kennen und schätzen lernen. Lesen Sie auch: &bdquo;Stuttgart gibt’s nicht“: So empfängt Bielefeld die Arminia-Fans in Berlin &bdquo;Großes Lob hat Latzke dann noch für die Kampagne von Bielefeld Marketing und dessen Chef Martin Knabenreich parat, mit der diese den DSC und die Stadt rund um das Pokalfinale in Berlin beworben haben. &bdquo;Das war wirklich starkes, überregionales Marketing für Bielefeld. Das brauchen wir.“ Grinst und sagt noch: &bdquo;Dann müssen wir den Abstieg nicht mehr befürchten höchstens sportlich. Aber Arminia wird das schon schaffen, mit den besten Fans der Welt!“ Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (3): Bielefelder Ex-Unternehmer: &bdquo;Brauchen mehr Stadtbahnen und weniger Stadtbezirke“

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