Zwischen Panikattacke und Eigenschutz: Bielefelder Hells Angel packt aus

Bielefeld. &bdquo;Die wollen, dass du liegen bleibst“ – dieser Satz eines Bekannten hat bei einem 49-jährigen Bielefelder zum Umdenken geführt. Der ehemalige Hells Angel ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft am 24. März 2023 von Hells-Angels-Rockern mit Tritten und Baseballschlägerhieben zusammengeschlagen worden. Seit Kurzem stehen der Präsident des inzwischen aufgelösten Rocker-Charters und vier weitere &bdquo;Outlaws“ seines Motorradclubs vor dem Bielefelder Landgericht. Dass sie dort sitzen, hat vor allem damit zu tun, dass der 49-Jährige sich nicht mehr um Ehrenkodex und Schweigeversprechen schert, sondern gegenüber Polizei und Justiz aussagt. Dem Vernehmen nach tut er das, um sich und sein Leben zu schützen. Lesen Sie auch: Bielefelder Hells-Angels-Präsident stellt sich: Rocker-Anwälte greifen Opfer als unglaubwürdig an Am dritten Verhandlungstag des Rocker-Prozesses kam es nun zur ersten Befragung des Belastungszeugen durch den Vorsitzenden Richter Carsten Wahlmann. Der 49-Jährige ging bei seiner Schilderung bis zurück in seine Kindheitstage. Aus dieser Zeit bereits kenne er den späteren Präsidenten der Hells Angels. Verurteilung wegen Drogenhandel führt zu Zerwürfnis Als junge Männer waren sie quasi Weggefährten. 2014/2015 habe er sich, wie auch sein inzwischen als Hells Angels-Rocker auftretender Kindheitskumpel, wegen Drogenhandels vor dem Bielefelder Amtsgericht verantworten müssen. Dem Deutsch-Türken (39) warfen die Ermittlungsbehörden damals den Handel mit sieben Kilo Speed vor; dem heutigen Belastungszeugen wurde in einem anderen Verfahren Handel von zwei Kilo vorgeworfen. Dass beide am Ende zwei Jahre auf Bewährung erhielten – trotz der Unterschiede der Drogenmenge – schien offensichtlich lange an dem 49-jährigen Deutschen genagt zu haben. Dieses Urteil scheint wesentlicher Grund für das Zerwürfnis zwischen den Männern gewesen zu sein, das mutmaßlich in der Gewalttat vom 24. März 2023 gemündet haben soll. Der Belastungszeuge berichtete zudem, dass er 2013 Rocker-Anwärter (&bdquo;Prospect“) der noch in Bielefeld existierenden &bdquo;Hells Angels Turkey Nomads“ gewesen sei, ein eigentlich eher türkisch besetztes Charter der Hells Angels. In diesem sei auch der nun angeklagte Präsident normales Mitglied gewesen. So verlief der Rauswurf bei den Hells Angels Der damalige Rockerboss, der bis heute unter dubiosen Umständen verschwundene Rezan Cakici, soll den Deutschen aber aufgrund verschiedener Vorwürfe aus seinem Rockerclub geworfen haben. Der Nachfolger Cakicis, der nun angeklagte, alte Weggefährte des 49-Jährigen, wandte sich damals ebenfalls von dem Deutschen ab. Seine Rockerkarriere war damit beendet. Lesen Sie auch: &bdquo;Bewaffnet und gewaltbereit“ – so steht es um die Rocker-Szene in NRW Bis er im November 2022 doch noch einen Weg fand, Mitglied der Hells-Angels-Familie zu werden – und zwar in einem Charter im serbischen Nis. Über diesen Umweg kehrte der Bielefelder plötzlich in die Reihen der Hells Angels Bielefeld zurück und hielt dort offenbar nicht hinterm Berg, dass die Drogenurteile von 2015 immer noch Fragen aufwerfen würden. Seine Frage sei immer gewesen, warum der jetzige Rockerchef damals trotz der großen Menge Drogen noch Bewährung bekam. Statt Aussprache ein Schädel-Hirn-Trauma Der heute 49-Jährige soll laut Anklage innerhalb des Motorradclubs kolportiert haben, dass der nun Angeklagte damals mit den Behörden zusammengearbeitet haben müsse – für Hells Angels ein Verstoß gegen einen ungeschriebenen Ehrenkodex. Die Anklage geht davon aus, dass diese unliebsame Kritik der Grund für die mutmaßliche Gewalttat und das forcierte Übertätowieren des &bdquo;Nomads“-Schriftzuges auf dem Unterarm des 49-Jährigen gewesen sein dürfte. Der 49-Jährige sagte dazu: &bdquo;Ich wollte damals nur ein Meeting“ – also eine Aussprache. &bdquo;Stattdessen habe ich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma bekommen.“ Das ganze Verfahren wäre aus seiner Sicht gar nicht nötig gewesen, berichtet er, aber der Rockerboss habe sich auf kein Gespräch eingelassen. Geschäftsmäßige Vorbereitung beim Tätowierer In der ersten Vernehmung machte er auch deutlich, dass das Opfer bei der eigentlichen Tat gar nicht alles sehen und daher klar erinnern konnte. Ob der erste Schlag von hinten mit einem Baseballschläger oder einer Faust gekommen sei, konnte der Zeuge nicht mit Sicherheit sagen. Auch die zweieinhalbstündige Tattoo-Aktion bei einem befreundeten Tätowierer an der Bleichstraße war erstaunlich geschäftsmäßig vorbereitet. Die nun angeklagten Männer sollen dem 49-Jährigen ein Papier vorgelegt haben, das er unterschreiben sollte. Darauf soll gestanden haben, dass er mit dem Übertätowieren einverstanden sei. Lesen Sie auch: Neuer Club in OWL: So verändert sich die Rocker-Szene in NRW Wohl ein sichtbares Zeichen, dass der 49-Jährige nun endgültig kein Hells Angel mehr sei. Seinen offiziellen Rauswurf aus dem berüchtigten Rockerclub soll er einen Tag vor der Tat mitgeteilt bekommen haben. Panikattacke stoppt Aussage des Zeugen Zur zweiten Vernehmung des 49-Jährigen kam es übrigens am Donnerstag, 13. Juni, nicht mehr. Der 49-Jährige hatte nach Angaben seines Anwalts Tim Gruner eine Panikattacke und war nicht vernehmungsfähig. Die Befragung musste verschoben werden. Tags zuvor hatte er vor Gericht noch gesagt: &bdquo;Meine Psyche ist kaputt“. Nachdem ihm aber ein Arzt gesagt haben soll, dass der Baseballschlägerhieb in den Nacken lebensgefährlich gewesen war, wenn er nur um wenige Zentimeter daneben getroffen hätte, hatte sich der Ex-Rocker doch dazu entschieden, auszupacken. &bdquo;Meinem Mandanten geht es hier nur um die Wahrheit“, sagt Nebenklagevertreter Gruner.

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