„Wird immer schlimmer“: Bielefelder Gastronom reicht’s – Seekrug-Wirt spricht Klartext

Bielefeld. Der Seekrug ohne Christian Schulz – nicht mehr vorstellbar. Seit 28 Jahren führt der Gastronom das Lokal am Obersee. Gastronomie ist für ihn Leidenschaft und Familientradition – seine Söhne stehen schon als Nachfolger bereit. Trotz der Freude am Beruf bringen ihn die stetig wachsenden behördlichen Vorgaben auch manchmal an seine Grenzen. Ein aktueller &bdquo;Mängelbescheid“ hat nun das Fass zum Überlaufen gebracht. Schulz macht seinem Ärger aktuell auf Facebook gehörig Luft. &bdquo;Natürlich ist vieles sinnvoll, wenn es um Arbeitsschutz geht“, räumt er ein. Kaum Verständnis hat er aber für Regelungen, die ihm als überzogen erscheinen: So muss er für jedes Teammitglied eine vierseitige Gefährdungsanalyse anfertigen, Gefahren aller Art dokumentieren und neuerdings sogar sonnenbedingte UV-Belastung per App im Auge behalten. &bdquo;Im Sommer muss ich nachweisen, dass ich meine Kellnerinnen und Kellner auf Sonnencreme hinweise“, wundert er sich. Auf Facebook zeigt er ein entsprechendes Dokument, auf dem Schulz’ Verfehlungen aufgezählt und Strafen angedroht werden. Von Ordnungsverfügung, Zwangsmitteln und Vollstreckungsgesetz ist da zu lesen. &bdquo;Das ist doch unverhältnismäßig“, findet der Seekrug-Wirt. Immer mehr Bürokratie-Aufwand für Gastronomen Umfangreiche Dokumentationspflichten, wiederkehrende Betriebsbegehungen von der Bezirksregierung und neue digitale Meldepflichten – der Aufwand wachse Jahr für Jahr. &bdquo;Ich verstehe ja, dass diese Behörden-Abteilungen eine Rechtfertigung für ihre Existenz brauchen – aber das geht zu weit.“ Schulz beobachtet, dass die Kontrollen seit der Pandemie deutlich intensiver geworden sind. Seiner Einschätzung nach liegt das auch daran, dass die Behörden inzwischen personell besser ausgestattet sind – und die neuen Mitarbeiter nun Arbeit brauchen. &bdquo;Früher war vieles lockerer, heute wird selbst die kleinste Formalie geprüft“, sagt Schulz. Für ihn ein Beispiel dafür, wie Bürokratie zum Selbstzweck werden kann. Lesen Sie auch: Frühstücken in Bielefeld: Die 10 beliebtesten Restaurants Besonders frustrierend empfindet Schulz, dass er monatlich seine Umsätze dem Statistikamt melden muss, obwohl diese Daten längst beim Finanzamt abrufbar wären. &bdquo;Vieles muss ich doppelt machen. Warum?“ Aktuell baut er einen neuen Lagerschuppen. Und auch diesen Bau begleitet ein eigenes Regelwerk: Fluchtwege müssen ausgewiesen werden, höhenverstellbare Schreibtische vorgehalten, Betriebsanweisungen selbst für Küchenmesser ausgehängt sein. &bdquo;Das Gesetzbuch, das ich auslegen soll, versteht kein Mensch.“ &bdquo;Man verliert fast die Lust“: Bielefelder Gastronom ist frustriert Ein besonderes &bdquo;Bürokratie-Highlight“ für Gastronomen sind die Auflagen des Bauamts, sobald Zelte oder &bdquo;fliegende Bauten“ aufgestellt werden sollen. Genau davon berichten Schulz und sein Sohn Hauke: Für jedes vorübergehende Bauwerk müssen Fluchtwege ausgewiesen, Brandschutzkonzepte vorgelegt, Sicherungsvorkehrungen getroffen und umfangreiche Genehmigungen eingeholt werden. &bdquo;Einem wird fast unterstellt, man will die Menschen umbringen. Man verliert fast die Lust“, fasst Hauke Schulz den Frust vieler Gastronomen zusammen. Besonders kritisch sieht er auch die Auflagen zu Schwerbehindertenquoten: &bdquo;Ich zahle jährlich Strafe, weil ich die Quote nicht erfüllen kann – es geht einfach nicht, etwa einen blinden oder tauben Menschen in einer Gastronomie wie unserer einzusetzen.“ 1.600 Euro kostet ihn das jedes Jahr. Doch die Beschwerden helfen nicht. Die Pflicht, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen, gilt für alle Branchen in Deutschland – sowohl für private Unternehmen als auch für öffentliche Arbeitgeber ab 20 Arbeitsplätzen. Dehoga fordert Entbürokratisierung Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) und IHK (Industrie- und Handelskammer) bestätigen, dass Gastronomen in NRW zahlreiche gesetzliche Vorgaben erfüllen müssen – von Hygiene und Arbeitsschutz über Bauvorschriften bis zu Nachweisen digitaler Kassensysteme und Statistikmeldungen. Nach dem Arbeitsschutzgesetz, der Gefahrstoffverordnung und der Gaststättenbauverordnung sind umfangreiche Dokumentationen, Unterweisungen, Gefährdungsbeurteilungen und regelmäßige Begehungen durch Arbeitsschutzbehörden gesetzlich vorgeschrieben. Der Dehoga fordert in Pressemitteilungen regelmäßig eine Entbürokratisierung, unterstützt aber die Einhaltung wirklicher Sicherheits- und Gesundheitsstandards. Die Kammern betonen immer wieder, dass Kontrollen vor allem dem Schutz der Mitarbeitenden und Gäste dienten, räumen aber ein, dass sich die Umsetzung in Kleinstbetrieben häufig als besondere Belastung zeigt. Viele würden sich digitale Lösungen und einen Abbau der Doppel-Dokumentationspflichten wünschen. &bdquo;Die Vorschriften sind für alle da – aber sie müssen auch praxistauglich sein“, heißt es beim Dehoga-Landesverband NRW. Von Sushi bis Steak: Das sind die 15 beliebtesten Restaurants in Bielefeld Auch die IHK gibt an, &bdquo;dass die überbordende Bürokratie zu einer immer stärkeren Bremse für Innovationen und die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen in NRW wird“. Das zeigten die jüngsten Umfragen der IHK-Organisation. 70 Prozent der befragten nordrhein-westfälischen Unternehmen beklagten die zu hohen bürokratischen Anforderungen im Innovationsprozess. Für über 80 Prozent der befragten Unternehmen sei demnach die Fülle und die Verständlichkeit der bürokratischen Auflagen ein Problem. Auch interessant: Aktuelle Gastronomie-News aus Bielefeld

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