Bielefelder Grüne kämpfen gegen das Image der Verbotspartei

Die Grünen haben inzwischen bei vielen den Ruf einer Partei, die die Menschen bevormunden will. Auch in Bielefeld, etwa bei Verkehrsfragen. Können Sie sich vorstellen, wie dieser Eindruck entstehen konnte? Christina Osei: Das ist eine gute Frage. Bevormunden wird oft genutzt, wenn alte Gewohnheiten in Frage gestellt werden müssen. Wenn ich mir Verbotsparteien angucke, dann gucke ich mal nach Bayern. Herr Söder hat dort gerade das Gendern verboten. Ich glaube, es ist eine aktuelle Stimmung. Ich möchte jetzt nicht despektierlich wirken, aber ich glaube, die Presse tut da auch einiges dazu. Dominic Hallau: Wir sind eine Partei, die Dinge verändern will. Und wenn man Dinge verändert, sorgt das natürlich dafür, dass sich Lebensumstände bei Menschen ändern. Und Veränderungen erzeugen oft erst mal Widerstand. Beispiel Verkehr: 80 Prozent des Verkehrsraums wird heute noch vom Autoverkehr genutzt. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Aber wir haben begrenzten Raum in jeder Straße, und wenn wir die Möglichkeit schaffen, dass die einen Verkehrsteilnehmer mehr Platz haben, bedeutet das, dass die anderen Verkehrsteilnehmer weniger Platz haben. Hier geht es zu allen Berichten zur Verkehrswende in Bielefeld Muss das immer so konfliktträchtig gestaltet sein? Man muss nur die Projekte aufzählen: Ehlentruper Weg, Heeper Straße, Jöllenbecker Straße. Manche Lobbygruppe freut’s, was da geplant ist, aber viele Anwohner fühlen sich eingeschränkt. Osei: Wir wollen etwas voranbringen. Dass das in den Bereichen Klimaschutz und Verkehrswende geschehen muss, ist, glaube ich, unstrittig. Wir sind einfach ein bisschen progressiver als die anderen Parteien und haben es nicht so mit dem &bdquo;Wir machen das so, weil wir das seit 25 Jahren so gemacht haben.“ Oft kommen dabei Lösungen heraus, mit denen am Ende alle leben können. Das haben wir beispielsweise mit dem Altstadt-Raum gezeigt. Dessen Umgestaltung tragen jetzt alle mit. Hallau: Ich glaube, da ist nach der Corona-Pandemie eine gewisse Gewohnheit eingetreten, dass es die Aufgabe des Staates ist, alle Probleme von den Bürgerinnen und Bürgern fernzuhalten. Aber da folge ich Robert Habeck: Wir leben in einer Zeit mit großen Herausforderungen, und das bedeutet, dass wir auch die Bürgerinnen und Bürger, aber besonders uns als Politikerinnen und Politiker herausfordern müssen. Und daraus folgt, es wird nicht ohne Konflikte gehen und nicht ohne intensive Diskussionen. Wichtig ist, dass vor einer Entscheidung alle zumindest gehört werden. Lesen Sie auch: Kfz-Rekord in Bielefeld - noch nie gab es hier so viele Autos Sie sagen, es hat sich so eine Mentalität breitgemacht, dass der Staat oder die Stadt sich um alles kümmert. Aber manche haben ja das Gefühl, dass man sich zu viel um das Falsche kümmert. Hallau: Uns geht es um Transformation. Wir wollen die guten Sachen behalten, wie zum Beispiel unseren Wohlstand, aber das bedeutet, wir müssen Dinge fortan auch anders machen. Wenn ich da etwa an den Jahnplatz-Umbau erinnere: Bloß nicht den Straßenverkehr reduzieren, hieß es da. Und jetzt heißt es: Warum habt ihr den Platz nicht schon eher verkehrsberuhigt. Osei: Also gerade der Jahnplatz ist ein schönes Beispiel. Ich bin da mit sehr vielen Leuten im Gespräch gewesen. Viele haben gesagt: Da ist ja gar kein Grün. Warum sind denn da keine Bäume? Ich sage: Na ja, weil da unten drunter die Stadtbahn fährt. Deswegen haben wir da keine Bäume pflanzen können. Ah ja, okay. Und warum haben wir keine Blumenkästen? Die wollten die Einzelhändler nicht. Die Leute wollen es erklärt haben. Und wenn sie merken, man hat gute Gründe für etwas, dann gehen die auch oft mit. Und im Rat haben wir nun erfahren, dass es bald neue Vorschläge für Grün auf dem Jahnplatz geben wird. Viele glauben, der Radverkehr werde bei den Planungen einseitig bevorzugt. Hallau: Der Radverkehr hat einen Vorsprung, einfach aufgrund des bürgerschaftlichen Engagements des Radentscheids und des Vertrages mit der Stadt, der daraus entstanden ist. Aber wir diskutieren genauso oft über die Belange des ÖPNV. Den müssten wir dringend massiv ausbauen. Wir haben aber mit Fachkräftemangel und steigenden Energie- und Betriebskosten zu kämpfen. Dennoch ist jeder Euro für den ÖPNV sinnvoll, weil er uns eben an anderer Stelle Gelder einspart. Osei: In der Vergangenheit ist sehr viel für den Autoverkehr getan worden. Die Nahmobilität, also der Radverkehr und der Fußgängerverkehr, ist so viele Jahre vernachlässigt worden, dass es da jetzt einen Nachholbedarf gibt. Sobald irgendwo ein toller Radweg da ist, wird er auch genutzt. Nehmen Sie die Bike Lane auf der Artur-Ladebeck-Straße als Beispiel. Es gibt das große Ziel der Verkehrswende, den Autoverkehr bis 2030 zu halbieren. Aber das ist aus heutiger Sicht doch völlig unrealistisch. Hallau: Die Formulierung ist, die Wege, die in der Stadt mit dem Auto zurückgelegt werden, zu halbieren. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen: Wenn ich mit meinem Auto morgens zur Arbeit fahre und wieder zurück, vorher noch die Kinder zu Fuß in die Kita gebracht habe, nachmittags mit dem Fahrrad einkaufen war und abends mit dem ÖPNV ins Kino fahre, dann habe ich den Modal Split für mich persönlich an dem Tag erreicht – ich bin nur ein Viertel meiner Wege mit dem Auto gefahren. Unabhängig davon, ob ich mit dem Auto 40 Kilometer gefahren bin und zu Fuß viel weniger. Also, die Bielefelderinnen und Bielefelder sollen Autos haben, Fahrradfahrer sein oder ein ÖPNV-Ticket haben. Ziel ist es, dass sie im besten Fall nur ein Viertel ihrer Mobilitätsentscheidungen für das Auto treffen. Bis 2030? Osei: Das Ziel ist da und wir versuchen alles, um das umzusetzen. Und wenn es nichtklappt, dann wird es ein wenig länger dauern. Aber es wird kommen. Es gibt viele gute Ansätze: die Idee, Quartiersparkhäuser zu schaffen oder mehr Park-and-Ride-Plätze zu bauen. Nur: Es gibt keine konkreten Planungen. Hallau: Uns ist zugesagt worden, dass es da bis zum Sommer Konzepte geben wird. Dann wird es für die Politik darum gehen, die Orte, die vorgeschlagen werden, genau zu begutachten. Nicht jeder Ort, der dann vorgeschlagen wird, kann dann aus unserer Sicht automatisch ein Quartiersparkhaus bekommen. Wenn es eine Fläche mitten in einem Wohngebiet ist, könnte man auch überlegen, ob man da nicht eine Kita, ein Altenzentrum oder ein Mehrfamilienhaus baut. Quartiersparkhäuser müssen auch wirtschaftlich betrieben werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zum aktuellen Preis eines Anwohnertickets möglich ist. Die Preise für Dauerstellplätze in Parkhäusern liegen eher bei 80 bis 100 Euro im Monat. Ihre Vorschläge fürs Anwohnerparken mit deutlich dreistelligen Entgelten kamen beim Koalitionspartner SPD nicht so gut an. Wie geht es nun damit weiter? Hallau: Dafür findet diesen Monat ein abschließendes Gespräch statt. Es hängt nur noch am Preisschild fürs Anwohnerparken. Alles andere ist geklärt und und soll noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Wird es nach der Fahrzeuglänge gehen? Hallau: Da gibt es in der Koalition noch unterschiedliche Ansichten. Osei: Aber ich glaube, das kriegen wir auch gut hin. Da sind die meisten Argumente ausgetauscht. Es wird ein vernünftiges Ergebnis geben. Für den Start der Umbauplanungen auf der Herforder Straße haben jetzt auch CDU und FDP gestimmt. Die Idee einer U-Bahn dort ist spannend. Ist da etwas Realistisches dran, oder war das mal so aus der Debatte in der Koalition heraus in den Raum gestellt? Hallau: Wir haben deshalb die U-Bahn-Idee eingebracht, weil wir noch ganz am Anfang der Umplanung stehen. Die Herforder Straße kann am künftigen Seidensticker-Schulcampus aus Sicherheitsgründen nicht vierspurig sein. Und der Radschnellweg an keiner anderen Straße nach Bielefeld hereingeführt werden. Aber mal sehen, welche Vorschläge die Planer machen und was sich als umsetzbar erweist. Es gibt noch ein Datum, das wenig realistisch erscheint: Bielefeld schon 2030 klimaneutral, spätesten 2035. Osei: Auch da kommt es wieder auf die Richtung an. Bei der Klimaneutralität geht es um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Das ist das Existenzielle. Ohne die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen können wir noch so viel über Quartierparkhäuser reden, diebrauchen wird dann im Zweifel nicht mehr. Bei der Klimaneutralität geht es manchmal auch um ganz einfache Sachen wie mehr Bäume für Bielefeld. Das ist übrigens etwas, was im Koalitionsvertrag steht: 1000 Stadtbäume. Machen wir jetzt. Gibt es mehr Schatten auf den Straßen, ist es dort auch kühler. Fassadenbegrünung gehört auch dazu. Oder die Abschaffung der Schottergärten. Aber auch in diesem Bereich gibt es wieder neue Vorschriften wie die Baumschutzsatzung. Osei: Es geht doch vor allem darum, ins Gespräch zu kommen, die Menschen zu beraten und unnötigen Kahlschlag zu verhindern. Hallau: Die Baumschutzsatzung leidet hauptsächlich darunter, dass bei jeder Baumaßnahme irgendwer behauptet, die Baumschutzsatzung sei schuld daran, dass irgendwas verzögert wird. Stimmt nicht. Es gibt explizite Ausnahmen. Wenn eben eine Baugenehmigung vorliegt und in dieser Baugenehmigung steht, dass ein Baum fallen muss, dann hilft ihm keine Baumschutzsatzung und jeder alte und kranke Baum wird natürlich entsprechend gefällt. Ein weiterer wichtiger Baustein für die Klimawende ist die Wärmeplanung. Wann sagen Sie den Menschen, wie sie künftig heizen können? Hallau: Eine weitere Transformationsaufgabe für unsere Stadt. Wir sind hier in Bielefeld zwei Jahre weiter als alle anderen Kommunen. Noch vor der Kommunalwahl wird jede Bürgerin und jeder Bürger ein genaues Bild davon haben, welche Möglichkeit zum klimaneutralen Heizen bestehen. Ab 2027 zieht der CO2-Preis für Gas kräftig an. Deshalb braucht es Alternativen. Fernwärme wird nicht in allen Stadtteilen möglich sein. Aber es werden Möglichkeiten aufgezeigt, etwa so genannte Nahwärmenetze. Aber in diesem Bereich sind unser Umweltdezernent Martin Adamski und die Stadtwerke sehr gut unterwegs. Auch das PV-Freiflächenkonzept ist weit fortgeschritten. Sie, Frau Osei, erleben als Landtagsabgeordnete Schwarz-Grün in Düsseldorf. Muss es in Bielefeld eigentlich auf immer Rot-Grün geben? Osei: Ja, ich erlebe Schwarz-Grün. Das wird immer als sehr geräuschlos empfunden. Ist es aber nicht, da wird auch gestritten. Aber ich finde es auch sehr professionell, dass man dieses Knirschen und Streiten nicht nach außen trägt. Das ist der Gegensatz zur Ampel in Berlin. Ob das hier in Bielefeld zwischen CDU und Grünen funktionieren würde, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann, dass Rot-Grün-Rot in Bielefeld verlässlich und gut läuft. Mal schauen, wie es nach der Wahl weitergeht. Hallau: Unser Ziel ist es natürlich, dass auch nach 2025 an den Grünen kein Weg vorbeiführt, wenn man diese Stadt gestalten möchte. Mit welchen demokratischen Partnern wir am Ende die Welt retten, ist mir egal. Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Hauptsache wir retten die Welt. Und wann stellen Sie Herrn Adamski als OB-Kandidaten vor? Hallau: Da wissen Sie scheinbar mehr als wir. Osei: Herrn Adamski könnte ich jetzt nicht bestätigen, muss ich ehrlich sagen. Ich könnte aber auch nicht widersprechen. Wir sind tatsächlich intern noch in Gesprächen. Wenn es dann so weit ist, dann stellen wir die Kandidatin oder den Kandidaten gerne vor.Das Gespräch führte Michael Schläger

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