Uralte Technik, neuer Trend: Bielefelder Tätowiererin in der City von Kunden überrannt

Bielefeld. Im Frühling, wenn die langärmlige Kleidung fällt, sind sie wieder zu sehen: die Kunstwerke auf der Haut vieler Menschen. Laut einer Umfrage vom Playboy haben sich etwa ein Drittel aller erwachsenen Frauen und Männer mindestens einmal tätowieren lassen. Die Umfrage offenbart auch: Je jünger die Befragten, desto attraktiver finden sie Tattoos beim jeweils anderen Geschlecht. &bdquo;Die Termin-Anfragen gehen seit mehr als zwei Jahren durch die Decke“, sagt Tätowiererin Kristina Engels. &bdquo;Gerade sehr filigrane, feine Tattoos sind gefragt.“ In Bielefeld ist sie eine von ganz wenigen Tätowierern, die nicht mit der Maschine sticht, sondern frei mit der Nadel. &bdquo;Stick-and-Poke“ heißt diese Technik. Engels arbeitet im Studio &bdquo;Seineszeichen“ an der Welle in der Altstadt. Zehn Tätowierer arbeiten dort. Sie nennen sich Künstler und haben jeweils einen eigenen Stil. Wer besonders feinlinige Tattoos möchte, wird an die 22-Jährige verwiesen. Stick-and-Poke ist weniger schmerzhaft &bdquo;Anfangs kamen wenig Kunden zu mir. Das lag hauptsächlich daran, dass die Menschen nicht wussten, was Stick-and-Poke ist. Darum wurde die Maschine bevorzugt.“ Diese Einstellung habe sich geändert. &bdquo;Die Kunden haben Lust auf etwas Neues.“ Viele hätten zu Beginn Angst, weil sie dachten, das Stechen mit der freien Nadel würde mehr weh tun, als mit der Maschine. Dabei ist das Gegenteil der Fall. &bdquo;Man kann die Schmerzen der beiden Techniken kaum miteinander vergleichen. Bei der Maschine ist es eher eine Art Kratzen und bei Stick-and-Poke fühlt es sich an wie Piksen mit einem spitzen Bleistift“, erklärt Engels. &bdquo;Unser Gehirn macht uns vor, es würde mehr weh tun, weil man genau sieht, wie die Nadel Stich für Stich per Hand unter die Haut geht. Das schreckt viele ab.“ An die Stick-and-Poke-Technik ist sie durch Zufall geraten. &bdquo;Mein Chef hat versehentlich die falschen Nadeln bestellt und mir vorgeschlagen, die Technik mal auszuprobieren.“ Seither arbeitet sie ausschließlich mit der freien Nadel. &bdquo;Für mich sind Stick-and-Poke-Tattoos lebendiger. Man steckt viel mehr Gefühl in das Motiv. Ich habe mehr Kontrolle über das Tattoo, weil ich es bin, die ganz gezielt den nächsten Punkt setzt und nicht die Maschine. Ich finde das persönlicher.“ Das Stechen dauert länger Verstochen habe sie sich noch nie. &bdquo;Ich hatte schon Kunden, die beim Tätowieren eingeschlafen sind und im Schlaf gezuckt haben. Das ist bei Stick-and-Poke weniger schlimm. Wenn ich dann abrutsche, setze ich nur einen einzigen, kaum erkennbaren Punkt. Mit der Maschine kann es passieren, eine größere und vor allem dickere Linie oder Fläche zu stechen, wenn man abrutscht.“ Das Stechen mit der freien Hand dauert ungefähr doppelt so lange wie mit der Maschine, sagt sie. Das hänge aber vom Hauttyp und Alter der Person ab. &bdquo;Das Durchschnittsalter meiner Kunden liegt bei ungefähr 25, ich hatte aber auch schon Kunden, die 60 oder älter waren. Von ihnen wurde ich oft gefragt, ob es komisch sei, sich mit über 60 das erste Tattoo stechen zu lassen, dabei ist das Quatsch. Es gibt kein perfektes Alter für das erste oder letzte Tattoo.“ Die Motive, die Engels bisher am häufigsten gestochen hat, sind Sterne in allen Formen und Größen. Auch Schriftzüge jeglicher Art seien ein Dauerbrenner. Wörter wie &bdquo;always“, &bdquo;breathe“, &bdquo;love“ und &bdquo;amore“ sind besonders gefragt. &bdquo;Ich liebe es zu wissen, dass es so viele Menschen gibt, die für immer etwas von mir unter ihrer Haut haben“, sagt die 22-Jährige. &bdquo;Das ist jedes Mal aufs Neue eine riesige Ehre.“ Keine Angst vor Reue Viele wünschen sich ein Tattoo, aber haben Angst, es später zu bereuen. &bdquo;Mir selber ist es ja auch passiert: Ich lasse mir gerade mein erstes Tattoo weglasern, nicht weil mir das Motiv nicht mehr gefällt, sondern weil es nicht gut gestochen ist.“ Wichtig sei, ein gutes Gefühl bei seinem Tätowierer zu haben und sich wohlzufühlen. &bdquo;Mittlerweile steht für mich im Vordergrund, dass mein Tattoo gut gestochen ist, das Motiv ist zweitrangig“, sagt Engels. &bdquo;Darum empfehle ich vielen Leuten, sich ein sogenanntes &bdquo;Wanna-Do“ der Künstler stechen zu lassen.“ Das sind Motive, die die Künstler gezeichnet haben und auf jemandem verewigen möchten. &bdquo;Da kann man sich immer sich sein, dass die Tattoos gut werden, weil die Künstler selber so Lust darauf haben, ihr Motiv zu stechen.“ Außerdem sollte man nicht sparen. &bdquo;Lieber mehr Geld ausgeben und Sicherheit haben, dass es gut wird, als wenig zahlen und ein schlecht gestochenes Tattoo unter der Haut tragen.“ Ein letzter Wunsch Eine Geschichte wird Kristina Engels für immer in Erinnerung bleiben. &bdquo;Ich wurde angefragt, ob ich auch außerhalb des Studios tätowiere. Eigentlich mache ich das nicht, aber ich wollte mir zumindest anhören, worum es ging“, sagt sie. &bdquo;Ich habe leider nicht mehr viel Zeit“, erzählt ihr ein Mann am Telefon. &bdquo;Einer meiner letzten Wünsche ist es, mich tätowieren zu lassen. Das habe ich mir immer vorgenommen, aber bin nie dazu gekommen.“ Engels hat eingewilligt, doch der Mann starb in der Nacht vor dem Termin. &bdquo;Schade, dass ich ihm den Traum nie erfüllen konnte. Doch der Mann ist mit der Vorfreude eingeschlafen, sich am nächsten Tag seinen Wunsch erfüllen zu können. Das ist doch ein schöner letzter Gedanke.“

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