Kundgebung zum Jahrestag

„Wir haben alle Freunde, die kämpfen“: Ukrainerinnen organisieren Hilfe an der Uni Bielefeld

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn versucht die ukrainische Studierendenvereinigung „Understand Ukraine“ mit zahlreichen Aktionen die Unterstützung aufrechtzuerhalten und Verständnis zu schaffen.

Nadiya Romanova (l.) und Olena Orlova haben die Studierendenvereinigung "Understand Ukraine" gegründet. | © Jörg Dieckmann - www.dieckmann-fotodesign.de

Jan Husmann
25.02.2024 | 25.02.2024, 11:16

Bielefeld. Vor zwei Jahren schockierte der russische Großangriff auf die Ukraine die Menschen weltweit. Die beiden Ukrainerinnen Olena Orlova und Nadiya Romanova erinnern sich gut daran, wie sie sich einen Tag später zufällig auf der Straße in Bielefeld begegneten. „Wir sind uns in die Arme gefallen und haben geweint“, erinnert sich Romanova. Der Angriff ändere ihr ganzes Leben für immer, sagt Orlova. „Es wird nie wieder so sein, wie es vorher war.“

Die beiden Frauen sind seit zehn Jahren in Bielefeld, zunächst als Studentinnen, inzwischen arbeiten sie an der Universität. „Wir haben damals die Ukraine verlassen, um die Welt zu entdecken“, sagt Orlova. „Ich habe nie erwartet, dass Krieg ist, wenn ich in meine Heimat zurückkehre.“ Gemeinsam haben sie vor zwei Jahren die studentische Vereinigung „Understand Ukraine“ gegründet.

Sie sind zwei der derzeit mehr als 80 Ukrainerinnen und Ukrainer, die an der Universität studieren und arbeiten. Viele von ihnen sind erst nach Kriegsbeginn gekommen. In Zeiten des Krieges weit weg von Familie und Freunden zu sein, kann zu Einsamkeit führen, wie Orlova selbst festgestellt hat.

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Eine Nobelpreisträgerin war zu Gast

Am 24. Februar zieht die Demonstration für die Ukraine durch die Bielefelder Innenstadt - vom Hauptbahnhof bis zum Rathaus. - © Mike-Dennis Müller
Am 24. Februar zieht die Demonstration für die Ukraine durch die Bielefelder Innenstadt - vom Hauptbahnhof bis zum Rathaus. | © Mike-Dennis Müller

Sie habe diese Einsamkeit gespürt, als sie 2014 die Ukraine verließ, kurz nach dem ersten russischen Angriff auf die Krim. Daher wollen sie mit ihrer Vereinigung Ukrainerinnen und Ukrainer abholen und zusammenbringen, die neu an der Universität Bielefeld ankommen.

Gleichzeitig wollen sie aber auch eine Anlaufstelle für Expertise über die Ukraine sein. „Bei Diskussionen über den Krieg sprachen oft Soziologen mit Soziologen“, sagt Orlova. Ihr habe die persönliche Sicht gefehlt, sagt sie. „Understand Ukraine“ will zwischen den Fakultäten vermitteln und arbeitet an vielen Projekten. Sie veranstalten Lesungen, Ausstellungen und Seminare. Sogar Oleksandra Matwijtschukim, deren Organisation 2022 den Friedensnobelpreis erhielt, hat schon Vorträge gehalten. Und im April startet der erste Sprachkurs für Ukrainisch an der Uni.

„In der Ukraine wird gerade Geschichte geschrieben“, sagt Orlova. „Nur wenn wir in das persönliche Gespräch darüber kommen, können wir das verstehen.“ Das Lesen über den Krieg reiche dafür nicht. Sie selbst habe in den vergangenen zwei Jahren mehr über ihr Land und seine Geschichte gelernt, als in ihrem ganzen restlichen Leben.

„Wir haben alle Freunde, die im Krieg gefallen sind“

Die Zeit, in der man bequeme Illusionen akzeptiert habe, seien vorbei. „Jetzt zählt nur noch die Wahrheit“, sagt Orlova. Dass diese Wahrheiten schwierig sind, verstehen sie. Nach zwei Jahren Krieg sei klar, dass dieser ein Marathon sei und kein Sprint.

„Die Helfenden müssen auf sich acht geben, eine Balance finden“, erklärt Romanova. Die Unterstützung folge einer klassischen Kurve. Nach dem ersten Aufschrei habe sie nun nachgelassen. „Das ist menschlich“, findet Romanova. Dennoch sollte auch die deutsche Gesellschaft realisieren, wie nah der Krieg ist.

„Und persönliche Gespräche und Mitgefühl mit den Betroffenen ist wichtig“, fügt Orlova hinzu. „Wir haben alle Freunde, die in der ukrainischen Armee kämpfen und im Krieg gefallen sind“, sagt sie. Der Kampf sei dabei stets für den Frieden. Einer ihrer Freunde wollte zwar nicht kämpfen, aber es gehe darum, sein eigenes zu Hause und seine Selbstbestimmung zu verteidigen. „Die meisten Ukrainer können sich nicht vorstellen, von Russland abhängig zu sein“, erklärt Orlova.

Medizinische Hilfe für die Ukraine

Der Krieg habe eine ukrainische Identität geschaffen, die es zuvor nicht gab, erklären die beiden. „Dieses schwere Schicksal hat den Kern der Nation zusammengeschweißt“, erklärt Romanova. Dass Russland der Ukraine die Daseinsberechtigung abspreche, habe viele Ukrainerinnen und Ukrainer schwer getroffen.

Gemeinsam mit der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Bielefeld organisiert „Understand Ukraine“ derzeit medizinische Unterstützung für ihr Heimatland. „Es ändert sich jeden Tag, welche Hilfe effektiv ist“, sagt Romanova, die an der medizinischen Fakultät arbeitet und die benötigten medizinischen Geräte besorgt. Die Hilfe müsse daher flexibel sein. Beide besuchen alle drei Monate die Ukraine.

Dass der Krieg schnell vorbei ist, wünschen sie sich, halten es aber für unrealistisch. „Es ist nicht realistisch, dass der Krieg dieses Jahr endet“, sagt Romanova. „Wir werden uns so lange beteiligen, wie es nötig ist.“

Kundgebung in Bielefelds Innenstadt startet am Hauptbahnhof

Zu den Organisatoren der Kundgebung gehören Serafima Rayskina von Naturtrüb (v. l.), Lena Bartsch (JuSos), Jannis Kohlhase (JuLis), Reinhard Siekmann (Bielefelder Chöre), Katharina Kotulla (Junge Union) und Olga Blinov (deutsch-ukrainische Gesellschaft Bielefeld). - © Barbara Franke
Zu den Organisatoren der Kundgebung gehören Serafima Rayskina von Naturtrüb (v. l.), Lena Bartsch (JuSos), Jannis Kohlhase (JuLis), Reinhard Siekmann (Bielefelder Chöre), Katharina Kotulla (Junge Union) und Olga Blinov (deutsch-ukrainische Gesellschaft Bielefeld). | © Barbara Franke

Die Frauen haben auch die Kundgebung am Samstag, 24. Februar, dem zweiten Jahrestag des russischen Großangriffes, mitorganisiert, die ab 13 Uhr vom Hauptbahnhof durch die Bielefelder Innenstadt zieht. Zu der Demonstration hatten die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft, „Understand Ukraine“, die politischen Jugendorganisationen sowie das Künstlerinnenkollektiv „Naturtrüb“ gemeinsam aufgerufen.