Heimische Wirtschaft in Not

Gewerbeflächen wieder gestrichen: Bielefelder IHK erhebt Vorwürfe gegen die Stadt

Der Oberbürgermeister verweist hingegen auf 100 Hektar neu ausgewiesene Flächen in den vergangenen 13 Jahren. Und ein Bielefelder Wirtschaftsförderer sieht ein verändertes Bewusstsein in der Politik.

Der riesige Acker zwischen der Senner Straße und dem Nordfeldweg ist für die Ansiedlung von Gewerbe schon 2019 gekauft worden. | © Andreas Zobe

Susanne Lahr
04.12.2023 | 04.12.2023, 09:16

Bielefeld. Was nun? Hat Bielefeld ein Gewerbeflächen-Problem oder nicht? Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hat dazu eine klare Haltung: „Das Angebot ist seit Jahren zu knapp, es besteht akuter Mangel“, beklagt Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld. Oberbürgermeister Pit Clausen unterstreicht das aus seiner Sicht Positive: „Seit 2010 haben wir rund 100 Hektar Gewerbeflächen ausgewiesen. Damit haben wir – trotz einer schwierigen Gemengelage – aktiv den Wirtschaftsstandort Bielefeld gestärkt.“ Weitere knapp 25 Hektar seien in der Planung. Höchstens „ein erster Hoffnungsschimmer“, sagt die IHK und drängt, mehr zu tun.

Die größten Fortschritte bei der Bereitstellung von Gewerbe- und Industrieflächen sind schon ein paar Jährchen her. Dazu gehörten auf alle Fälle die Gebiete Hellfeld (20,33 Hektar, inklusive Erschließungs- und Ausgleichsflächen) sowie Niedermeyers Hof (21,6 Hektar). Dort haben sich insgesamt 28 Unternehmen mit rund 1.600 Arbeitsplätzen angesiedelt.

Zwischen 2016 und 2021 sind laut Wirtschaftsförderungsdezernat lediglich 8,2 Hektar neue Gewerbeflächen ausgewiesen worden. Darum ist das alteingesessene Unternehmen Bisontec, Spezialist für Montageautomation, nach Herford abgewandert. Christinen Brunnen hat hingegen jetzt Baurecht, wird im Gewerbegebiet Gütersloher Straße auf eigenem Grund die lange geplante Betriebserweiterung angehen. Diese knapp sechs Hektar große Gewerbe- und Industriefläche ist die jüngste in der 100-Hektar-Liste der Stadt.

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IHK: Nur 2.100 Quadratmeter Gewerbefläche in Bielefeld verfügbar

"Bielefeld gilt seit Jahren als ausverkauft", sagt Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld. - © Agentur für Arbeit
"Bielefeld gilt seit Jahren als ausverkauft", sagt Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der IHK Ostwestfalen zu Bielefeld. | © Agentur für Arbeit

Seit Jahren gelte Bielefeld als „ausverkauft“. Nur 2.100 Quadratmeter im Gebiet Bollstraße seien aktuell verfügbar, kritisiert Pigerl-Radtke. Von mehr als jährlich 100 Unternehmensanfragen könnte laut städtischer Wirtschaftsförderungsgesellschaft Wege nur eine Handvoll bedient werden.

Auch hat die Stadt ausgemistet: Flächen, die nicht um- oder durchsetzbar waren, wurden „ausgebucht“. Die IHK informiert, dass zwischen 2015 und 2019 in Bielefeld rund 68 Hektar Gewerbefläche umgenutzt oder zurückgenommen worden seien. Oberbürgermeisten Clausen betont, dass dies nicht nur ehrlich sei, sondern auch einen rechtlichen Hintergrund habe: Die Neuausweisungen von gewerblichen Bauflächen seien nur möglich, wenn die vorhandenen Reserven für ein bedarfsgerechtes Angebot nicht ausreichen oder nicht verfügbar gemacht werden können.

Aktuell sind noch drei Bauleitplanungen mit knapp 25 Hektar in der Pipeline. Am weitesten fortgeschritten ist das Gewerbegebiet an der Senner Straße (8,2 Hektar). Dort geht es weiter, nachdem zuletzt Entwässerungsprobleme gelöst werden konnten. Bis zu einem ersten Spatenstich wird es aber auch dort noch dauern.

Altlasten im Boden am Metallwerk Senne

Die Reaktivierung der Brachfläche am Metallwerk in Senne (fünf Hektar) ist mit einer schweren Hypothek belastet. Altlasten der Firma Tecalemit schlummern im Boden. Aufbereitungsanlagen arbeiten seit Jahrzehnten, um die chlorierten Kohlenwasserstoffe aus der ehemaligen Industrieproduktion abzubauen. Ein Gelände, das nicht für alle Nutzungen geeignet ist.

Geplant ist auch die Vergrößerung des interkommunalen Gewerbegebietes Hellfeld. Laut Information der Stadt nimmt die Erweiterung „Fahrt auf“. Elf Hektar sind geplant. Bis gebaut werden kann, werden noch Jahre vergehen.

„Wir sehen die Bauleitplanung der Stadt mit Sorge“, betont Pigerl-Radtke. Bielefeld benötige dringend sowohl eine kurzfristig als auch langfristig wirkende Strategie. Der neue Regionalplan OWL, der den Rahmen für die städtische Entwicklung vorgibt, solle am 31. Januar beschlossen werden. „Hier muss die Stadt zügig tätig werden, um auch vor dem Hintergrund der großen wirtschaftlichen Herausforderungen als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben.“

In Bielefeld sollen Gewerbeflächen reaktiviert werden

Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen erklärt, warum Gewerbeflächen zurückgenommen wurden. - © Barbara Franke
Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen erklärt, warum Gewerbeflächen zurückgenommen wurden. | © Barbara Franke

Die Stadt hat insofern schon reagiert, als sie eine Arbeitsgruppe mit Politik, Bauamt, Bielefelder Beteiligungs- und Vermögensverwaltung (BBVG) und der Wege eingesetzt hat. Diese hat im Oktober erstmals getagt. Wirtschaftsförderer Henrich Hardieck von der Wege ist jedenfalls positiv gestimmt. Nach Jahren habe er „das Gefühl, dass die Politik das Thema momentan sehr ernst nimmt“.

Neben der Neuausweisung von Gewerbeflächen spiele auch die Reaktivierung eine große Rolle. „Diese Flächen sind für uns besonders wertvoll“, so Hardieck. Als Beispiel kann die Sanierung großer Logistikflächen in Hillegossen genannt werden, samt Neuansiedlung von Betrieben oder die begonnene Revitalisierung des Graphia-Geländes in Brackwede.