Bielefeld. Eine Stuhlinkontinenz beeinträchtige die Lebensqualität der Betroffenen massiv und führe oft zu einer sozialen Isolation. Fälschlicherweise werde bis heute häufig angenommen, dass Stuhlinkontinenz oft schicksalhaft sei und nicht gut behandelbar ist, bei schweren Formen nur ein künstlicher Darmausgang Hilfe bringen könne. Professor Mathias Löhnert, Chefarzt der Klinik für Allgemeinchirurgie und Koloproktologie am Klinikum Bielefeld-Rosenhöhe, ist da anderer Meinung.
Löhnert war 2005 der erste Arzt in Deutschland und der zweite weltweit, der zur Behandlung schwerster Stuhlinkontinenz zur Vermeidung eines künstlichen Darmausganges einen neuartigen, verbesserten künstlichen Schließmuskel implantiert hat. Das Problem laut Klinikum: Dieses Verfahren konnte bisher zwar allein in Bielefeld bei über 50 Patienten erfolgreich implantiert werden, allerdings ist die Operation sehr aufwendig, dauert zwischen 90 und 120 Minuten und beinhaltet ein hohes Infektionsrisiko durch die Größe der Schnitte und die unmittelbare Nähe der Wunden zum After.
Verstärkung durch elastisches Band
Der Aufwand wirke auf Patienten abschreckend, der Prozess der mechanischen Entleerung des Systems sei komplex und die Funktionsfähigkeit bestehe nur für etwa fünf Jahre, ehe Teile des Systems ausgetauscht werden müssten. Nun gibt es anscheinend eine Lösung für das Problem, teilt das Klinikum mit: Das aktuelle, neu entwickelte, elastische Schließmuskelersatzsystem „SimplyFI“.
Die österreichische Firma A.M.I. hat einen neuartigen Schließmuskelersatz entwickelt, der den natürlichen Schließmuskel durch ein über zwei kleine Schnitte zu implantierendes elastisches Band verstärkt. Nach erfolgreichen Tests im Labor wurde parallel in Österreich, Spanien und Deutschland zusammen mit der Universitätsklinik Madrid und der Universitätsklinik Wien sowie der Chirurgie am Klinikum Bielefeld-Rosenhöhe bei den jeweils zuständigen Landesbehörden und Ethikkommissionen die Zulassung zur Implantation am Menschen beantragt und nach Genehmigung durch die jeweiligen Behörden dann an den Kliniken, die an der Studie teilnehmen, implantiert.
Nach 30 Minuten war die OP vorbei
Bisher wurden zehn Patienten behandelt: Die erste erfolgreiche Implantation in Deutschland war jetzt im Oktober in der Klinik von Chefarzt Löhnert. Die Patientin litt seit 2005 an Stuhlinkontinenz und hatte bereits 2008 einen mechanischen künstlichen Schließmuskel in Holland implantiert bekommen, 2011 musste ein defektes Ventil getauscht werden. 2015 wurde das alte System nach erneutem Versagen komplett entfernt, seitdem bestand eine schwere Inkontinenz, die die Patientin zwang, durchgehend Windeln zu tragen.
„Aufgrund der geringen Größe des SimplyFI und des Fehlens von Ventilen und Reservoirs für die Flüssigkeit müssen nur zwei kleine Einschnitte von ca. 1-2 Zentimeter Länge mit einigen Zentimeter Abstand zum After vorgenommen werden im Vergleich zu vier Wunden von fünf bis acht Zentimeter Länge bei den alten mechanischen Systemen“, so Professor Löhnert. Die OP- Zeit bei der ersten Implantation in Bielefeld lag unter 30 Minuten, die Patientin konnte laut Klinikum bereits zwei Stunden nach der OP wieder normal über die Station laufen. Seit der Operation ist sie wieder kontinent und benötigt keine Windeln mehr.
Eine Stuhlinkontinenz betrifft bis zu 30 Prozent aller Menschen im Laufe des Lebens. Auch wenn das Risiko im höheren Alter steigt, könne Stuhlinkontinenz in jedem Alter auftreten. Die häufigsten Ursachen von Stuhlinkontinenz seien Verletzungen der Beckenbodenmuskulatur im Rahmen von Entbindungen, nach Operationen oder nach Bestrahlungen.