Prozess nach lebensgefährlichem Messerangriff am Bahnsteig: Bielefelder ist arbeitsunfähig

Bielefeld. Der Auslöser für die lebensgefährliche Attacke ist so banal wie unerklärlich. Ein 27-jähriger Stadtbahnfahrgast soll am 29. April nach dem Aussteigen am Bahnsteig der Haltestelle Seidenstickerstraße mit dem Ellenbogen einen entgegenkommenden Rollerfahrer erwischt haben. Der 45-Jährige auf dem Roller soll daraufhin wüste Beleidigungen ausgesprochen haben. Dann kam es zu einer folgenreichen Eskalation. Gestern begann der Prozess wegen versuchten Totschlags gegen den 45-jährigen Deutsch-Russen. Er soll mindestens fünf Mal auf sein Opfer eingestochen haben. Die Kripo richtete unmittelbar nach der Tat gegen 23.30 Uhr die Mordkommission &bdquo;Schlehe“ ein, benannt nach dem Einsatzort am Schlehenweg. Denn mit dem Rempler, den Beleidigungen und zwei gegenseitigen Schubsern auf dem Bahnsteig hätte die Auseinandersetzung beendet sein können. Doch laut Anklage gingen der 27-jährige Bielefelder und sein Begleiter ihres Weges. Der 45-Jährige soll aber nicht locker gelassen haben. Mit den Worten &bdquo;Ich bring Dich um. Ich hol Dich ein.“ soll er mit seinem Roller die etwa 100 Meter hinterhergekommen sein und angegriffen haben. Beide stürzten zu Boden. Gerangel in der Nacht: Das Opfer schlug, der Täter stach zu Die Verletzungen, die der 27-Jährige bei dem Gerangel erlitten hat, waren akut lebensbedrohlich. Das Messer traf den jungen Mann dreimal am Oberkörper und einmal am Oberschenkel. Ein fünfter Stich verletzte die Hauptarterie des Mannes unterhalb der Achsel, eine Vene und durchtrennte einen Nerv, der seine rechte Hand bis heute unbrauchbar gemacht hat. &bdquo;Ich habe das Messer gar nicht gesehen“, sagte der 27-Jährige vor der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts. Wie er berichtete, war ihm der Mann mit dem Roller nachgefahren und gezielt auf ihn zugefahren. Um nicht umgefahren zu werden, umklammerte er den ihm unbekannten Mann und riss ihn zu Boden. Der 27-Jährige berichtete, dass sie sich nun gegenseitig schlugen. Das jedenfalls glaubte er. Doch plötzlich konnte er seinen rechten Arm nicht mehr benutzen. &bdquo;Da bin ich hoch und weg.“ Ihm sei es plötzlich immer schlechter gegangen, seine Daunenweste, die er an jenem Tag trug, war plötzlich blutgetränkt. Dann brach er kurz vor der Haustür seines Mehrparteienhauses zusammen. Die Messerstiche hatte er gar nicht bemerkt. Durch den massiven Blutverlust kollabierte der junge Mann. Nur durch eine Notoperation konnte das Leben des Bielefelders gerettet werden. Junger Bielefelder sieht sich als Mensch mit Behinderung Dass der Rechtshänder durch seinen verletzten Nerv im Arm bis heute mit seiner Hand nichts greifen kann, schränkt den Klempner stark ein. Auch sein Arm wolle ihm größtenteils nicht mehr gehorchen. &bdquo;Duschen, mit dem Messer schneiden und das Anziehen der Socken ist sehr schwierig.“ Bis heute ist er krankgeschrieben. Eine weitere Spezialoperation steht noch aus. Dabei erhofft sich das Messeropfer zumindest eine Teil-Wiederherstellung seiner Handfunktionen: &bdquo;Aktuell sehe ich mich eher als Mensch mit Behinderung.“ Der Angeklagte wollte zur Sache keinerlei Aussage machen, beantwortete aber viele Fragen des Vorsitzenden Richters Christoph Meiring zu seinem bisherigen Leben. Seine Ausführungen zeichneten das Bild einer jahrelangen Drogenkarriere, die bereits in der nordkaukasischen Heimat begonnen hatte, aber erst mit den familiären und beruflichen Problemen nach der Auswanderung nach Bielefeld (2005) unaufhaltsam in die Sackgasse geführt hatte. Die Langeweile seiner Arbeitslosigkeit und die spätere Scheidung führten zur Alkohol- und schließlich sogar Heroinsucht. Bilanz einer Drogenkarriere: Zehn erfolglose Entgiftungen, mehr als 20 Straftaten Mehr als zehn erfolglose Entgiftungen und mehr als 20 Vorstrafen brachten Richter Meiring zu der erstaunten Feststellung: &bdquo;Sie haben es seit ihrer Ankunft nicht geschafft, längere Zeit straflos zu bleiben.“ Das sei ihm auch &bdquo;unerklärlich“, antwortete der Angeklagte. Immer wieder wies er auf die Langeweile und einen eingeklemmten Nerv hin, durch den er seinen Job als Fenster- und Türenbauer verloren hatte. Sein Verteidiger, Sascha Haring, betonte aber, dass seinem Mandanten trotz der langen Liste an Vorstrafen bisher keine Gewalt- oder Körperverletzungstaten zur Last gelegt worden seien. Im Wesentlichen überführt hatte die Mordkommission den nun angeklagten Deutsch-Russen durch Kameraaufnahmen aus der Bahn und vom Bahnsteig. Fünf Tage nach der Tat wurde der Baumheider festgenommen. Der Prozess wird fortgesetzt.

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