An dieser Schule in Bielefeld haben fast alle Kinder ausländische Wurzeln

Bielefeld. Kaum noch ein Kind ohne Zuwanderungsgeschichte, zumindest an einigen Schulen in der Stadt. 53 Prozent der insgesamt 44.361 Schülerinnen und Schüler haben ausländische Wurzeln, so die aktuellen Daten aus dem Amt für Schule. An den Grundschulen sind es sogar 62 Prozent. Der Anteil ist je Schulform, aber vor allem auch je nach Schule, sehr unterschiedlich. In vielen Familien ist Deutsch zuhause nicht die erste Sprache. Sprachbildung rückt somit immer stärker in den Fokus, und das kommt letztlich nicht nur Kindern mit Zuwanderungsgeschichte zugute. Aber die Belastung der Lehrkräfte ist groß. Am Grundschulverbunds (GSV) Nördliche Innenstadt (Hellingskampschule und ehemalige Josefschule) ist der Anteil der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte mit 92,6 Prozent stadtweit am höchsten. Das bedeutet, dass sie im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert sind, mindestens ein Elternteil im Ausland geboren ist oder in der Familie nicht deutsch gesprochen wird, so die Definition. Letzteres ist beim GSV bei 80,2 Prozent der Fall. Viele Kinder, teils mit wenig Deutschkenntnissen, das sei dort schon lange Normalität, sagt Schulleiterin Kathrin Meise-Waltking, die seit 2001 am Hauptstandort Hellingskamp arbeitet. Ohne Frage, die Arbeit sei schon anstrengend, zerre an den Nerven und auch an der Gesundheit. Aber es gäbe auch viel Positives: Viele Kinder seien leicht zu motivieren - und sehr dankbar. Man könne ihnen viel mitgeben und sie eng begleiten. Spagat zwischen Erziehungs- und Bildungsarbeit - und Verzicht auf Hausaufgaben Der Kontakt zu den Eltern sei nicht immer einfach. Und der GSV müsse nicht nur den Spagat zwischen Erziehungsarbeit und Bildungsarbeit hinbekommen, sondern begleite auch die Eltern eng, bei Amtsanträgen, der schwierigen Suche nach einem Kinderarzt oder auf dem Weg in die weiterführende Schule. "Die allermeisten Eltern helfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten", sagt Meise-Waltking. Aber oft sei da einfach wenig möglich. Deshalb gäbe es seit einiger Zeit am GSV keine Hausaufgaben mehr, sondern Lernzeiten in der Schule, für alle Kinder. All das sei so auch nur mit Hilfe der Schulsozialarbeit möglich. Schön sei auch, dass der Großteil der Eltern großes Vertrauen in die Lehrkräfte habe. "Wir arbeiten alle wirklich super gerne hier, haben ein ganz tolles Kollegium", ergänzt Meise-Waltking. An den weiterführenden Schulen der Stadt schwankt der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte aktuell zwischen über 80 und unter 30 Prozent. Die Schwankungen seien nicht nur schulformabhängig, heißt es im Ganzheitlichen Schulentwicklungsplan. Tendenziell sei er aber bei Real-, Gesamt- und Sekundarschulen höher als bei Gymnasien. Aber auch da gibt es Unterschiede innerhalb der Stadt. Mit 60,3 Prozent hat das Brackweder Gymnasium beispielsweise einen höheren Anteil als die Gesamtschule Quelle mit 39,4 Prozent. Bildungsgerechtigkeit in Bielefeld für Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte Eine besondere Herausforderung seien aktuell die ganz neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler, sagt Christine Quandt vom Kommunalen Integrationszentrum (KI) der Stadt. Das unterstützt Familien und Schulen dabei, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte zu verbessern. Allein im vergangenen Schuljahr seien rund 1.300 Neuzugewanderte, zu einem großen Teil aus der Ukraine, an Bielefelder Grund- und SEK-I-Schulen gestartet. Sie ins Bildungssystem zu integrieren, stelle alle Beteiligten vor eine große Aufgabe. Internationale Bildungsstudien wie PISA und TIMMS zeigen immer wieder, in Deutschland ist der Bildungserfolg maßgeblich von sozialer Lage und Zuwanderungsgeschichte der Familie abhängig. Quandt hat selbst 25 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, zuletzt an der Gertrud-Bäumer-Realschule eine Internationale Klasse mit Kindern aus unterschiedlichen Herkunftsländern unterrichtet. Die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Schule und Eltern sei von zentraler Bedeutung für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen, sagt die Pädagogin. Mit vielen Informationen und praktischen Tipps, etwa zum deutschen Schulsystem, zum gelungenen Schulstart oder zu außerschulischen Sprachförderangeboten, will das Team des vom Land mitfinanzierten KI die Schulen unterstützen und zugleich die Eltern niederschwellig ab- und mit ins Boot holen. "Gerade setzen wir beispielsweise mit &bdquo;Rucksack Schule“ ein Förderprogramm des Landes um, bei dem Eltern sich regelmäßig in der Schule treffen und sich mit dem aktuellen Unterrichtsstoff ihrer Kinder beschäftigen", berichtet Quandt. Sehr hilfreich für die Schulen sei auch, dass die Schulsozialarbeit in den vergangenen Jahren aufgestockt wurde. Mehrsprachigkeit als Pluspunkt im Unterricht Lange sei es verpönt gewesen, wenn Kinder in der Schule in ihrer Heimatsprache gesprochen hätten. "Außer es war vielleicht Englisch, das war dann etwas anderes", berichtet die Pädagogin. Polnisch, Russisch oder Türkisch sei hingegen kaum wertgeschätzt worden. Seit einiger Zeit habe sich der Blick geändert, man sehe eher das Potenzial und versuche, die Mehrsprachigkeit als Pluspunkt im Unterricht einzubinden und so auch das Sprachbewusstsein aller Schülerinnen und Schüler zu schärfen. Sprachbildung rückt somit immer stärker in den Fokus, und das kommt letztlich nicht nur Kindern mit Zuwanderungsgeschichte zugute. Der sogenannte sprachsensible Unterricht liegt Quandt besonders am Herzen. Ob Sport, Physik, Mathe oder Kunst, &bdquo;jeder Unterricht ist heute auch Sprachunterricht.“ Das bedeute ohne Frage zusätzliche Arbeit für die Lehrerinnen und Lehrer, die aufgrund fehlenden Personals ohnehin oft schon am Limit sind. Unterrichtsmaterial müsse gezielt aufgearbeitet werden, damit alle Kinder erreicht werden können. &bdquo;Hier versuchen wir die Lehrkräfte in unseren Arbeitskreisen zu unterstützen und erarbeiten gemeinsam möglichst einfach umsetzbare Methoden. Auch Chat GPT werde getestet, um Material zu differenzieren. Die Ergebnisse seien sehr beeindruckend. Die NW wird in den kommenden Wochen in loser Folge weiter über Hintergründe von Migration und Integration berichten. Dabei soll es um die historische Entwicklung, die Bereiche Bildung und Erziehung sowie um die Arbeitswelt gehen.

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