Bielefelder Anwohner sind wütend: Scharfe Kritik an Flüchtlingsunterkunft im Musikerviertel

Bielefeld. Ende Februar hatte die Bezirksregierung in den ehemaligen Britenhäusern im Bielefelder Musikerviertel eine Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet – quasi ein Überlaufheim für die ausgelastete Erstaufnahmeeinrichtung in Oldentrup (genannt Puffer-Unterkunft). Bis zu 400 Geflüchtete – alleinstehende Männer, aber auch fast so viele Familienangehörige – leben derzeit zeitgleich in den 38 hergerichteten Immobilien. Die Anwohner in dem ruhigen und gut situierten Wohngebiet reagierten zunächst wohlwollend, aber jetzt – nach ein paar Monaten – ist bei einigen Wut entbrannt. &bdquo;Wir fühlen uns zu Hause nicht mehr wohl.“ Diese und andere Klagen bekamen die Verantwortlichen von Bezirksregierung, Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Sicherheitsdienst sowie Polizei und Ordnungsamt gestern Abend beim &bdquo;Runden Tisch für unmittelbare Anwohner“ deutlich zu hören. Und die berichteten von zahlreichen Erlebnissen: Frauen würde ungerührt hinterhergeschnalzt, sie würden gemustert, mit den Augen ausgezogen, Männergruppen säßen in den Zugängen oder sogar auf den Grundstücken. Auch auf den Straßen sei teilweise kein Durchkommen. Ein Anwohner habe ungebetene Gäste, die sich in seinem privaten Garten niedergelassen hatten, mit dem Wasserschlauch vertreiben müssen, weil er ihnen verbal nicht verdeutlichen konnte, dass sie in seine Privatsphäre eingedrungen sind. Einbrüche, Überfälle, Autodiebstahl - Bielefelder sagen ihren Urlaub ab Auch von stundenlangen Ruhestörungen durch laute Zusammentreffen oder Telefonate auf der Straße war die Rede und von einem stinkenden Müllproblem samt Rattenhäufung, das die Verantwortlichen lange nicht in den Griff gekriegt hätten. Inzwischen sei das aber besser geworden. Seitdem sich nun aber auch Einbrüche, Diebstähle und Überfälle ereignet hätten, herrscht bei einigen Angst. Erste Anwohner haben ihren Urlaub abgesagt. Andere ziehen Zäune ums Grundstück. Die Betroffenen betonen, dass sie lange Zeit auf internen Wegen versucht hätten, ein Gegensteuern zu bewirken, sprechen von Überforderung der Verantwortlichen. &bdquo;Wir werfen den Geflüchteten das gar nicht vor. Die wissen es vielleicht nicht besser.“ Der ASB als Betreiber und der Sicherheitsdienst seien aber wegen der besonderen Situation mit den Einzelhäusern nicht in der Lage, die Probleme zu lösen. Bezirksregierung will Bielefelder Notunterkunft im Januar wieder schließen Jörg List und Daniela Giannone, Dezernenten der Bezirksregierung, nahmen die Kritik auf, und gaben auch zu verstehen, dass die Einrichtung auch aus Sicht der Betreiber nicht ideal sei – aus mehreren Gründen. &bdquo;So eine Einrichtung mitten in unserem Wohngebiet einzurichten, war eine Schnapsidee“, betont auch ein Familienvater. Giannone gibt zu verstehen, dass man den Betrieb wegen dieser Belastungen auch nur bis Januar 2024 aufrechterhalten wolle. Mehr als ein Jahr sei nicht gewollt. Aber der Bund könne ihnen da noch einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb könne sie nichts versprechen. Aufenthaltszeit im Bielefelder Musikerviertel: drei bis vier Wochen statt drei Tage Wie berichtet, war ursprünglich angekündigt worden, die Notunterkunft sei vor allem für ukrainische Kriegsflüchtlinge vorgesehen und vermutlich nur mit 200 Menschen jeweils für wenige Tage zu belegen. Doch kurz vor dem Start schwenkte man um. Nun leben in den 38 ehemaligen Britenhäusern 397 Geflüchtete vor allem aus Syrien, der Türkei, Afghanistan, Iran und Irak. Zumindest die oft als problematischer eingeschätzten Flüchtlinge aus Nordafrika seien hier mit 24 Personen bei bisher 2.197 im Musikerviertel untergebrachten Asylbewerbern in der klaren Unterzahl. Allerdings bleiben die Bewohner nun doch jeweils drei bis vier Wochen. Der aktuelle Zustrom lasse kürzere Zeiten nicht zu. Die Unterkünfte in ganz OWL sind ausgelastet: Von insgesamt 4.650 Plätzen im Regierungsbezirk seien nur noch 144 frei, sagt die Dezernentin: "Wir sind voll." Für Frauen unangenehm: Männer starrten ungeniert in die Gärten Viele der Bewohner seien freundlich, einige aber auch respektlos. Für Frauen sei der Aufenthalt im Wohngebiet nicht mehr angenehm, berichten mehrere Bewohnerinnen, sogar im eigenen Garten. Eine Anwohnerin berichtet: &bdquo;Da stehen große Gruppen vor unserem Zaun und schauen stundenlang herüber.“ Andere fotografierten ungeniert die Grundstücke. Bis in die Nacht herrsche teilweise &bdquo;Ballermannstimmung“. Großes Unterverständnis äußerte ein Anwohner der Johann-Sebastian-Bach-Straße, in dessen Haus am 6. Juni eingebrochen wurde: &bdquo;Der Täter wurde identifiziert. Wie sich herausstellte, war der Mann bereits als Straftäter bekannt. Es gibt eine Akte zu ihm. Wie kann man mit diesem Vorwissen den Mann dann mitten in so ein Wohngebiet stecken?“ Einen Tag später wird wieder eingebrochen – diesmal am Lipper Hellweg. Ein Bewohner berichtet, dass seiner Schwiegermutter (84) die Halskette geraubt wurde. Sie sei mit ihrem Rollator am Lipper Hellweg unterwegs gewesen und plötzlich von einer Frau radebrechend angesprochen worden. Als die Unbekannte die Seniorin plötzlich herzlich umarmte (Antanz-Trick), habe sie zwar ihre Handtasche umklammert, die Halskette aber war anschließend weg. Kriminalität: Die Länge des Aufenthalts führt zu mehr Problemen Thorsten Lampe, Leiter der Polizeiwache Ost, sorgte zunächst für Verwunderung, als er meinte, das Areal sei aus polizeilicher Sicht nicht auffällig. Gab dann aber zu, dass zumindest in diesem engeren Bereich zuletzt diese Straftaten registriert wurden. Dafür könnte auch die längere Aufenthaltszeit mitverantwortlich sein, sagt List. &bdquo;Wir wissen auch aus anderen Häusern: Bei kurzem Aufenthalt haben wir weniger Probleme.“ Deshalb arbeite man daran, die die Zeit möglichst wieder zu verkürzen. Die bestohlene Dame äußerte ein Dilemma, das jetzt viele Anwohner kennengelernt haben: &bdquo;Wie soll ich denn jetzt mit diesen Menschen umgehen? Ich kann die doch nicht alle verdächtigen?“ Aber ihr Vertrauen sei verloren. Sie habe nun Angst auf der Straße. Verstöße gegen die Infektions-Quarantäne bleiben unentdeckt Ein Anwohner - selbst Mediziner - äußert sogar gesundheitliche Bedenken: &bdquo;Infektiöse Bewohner im sogenannten Quarantäne-Haus würden zwar von Mitarbeitern in Infektionsschutzanzügen bedient, anschließend kämen aber alle wieder raus und gesellten sich zu den anderen oder empfingen drinnen Besucher. In einem dieser Häuser herrsche aktuell Windpockenverdacht. "Das kann der Sicherheitsdienst überhaupt nicht bemerken." Nicht unweit von einem Altenwohn-Projekt und einem Seniorenheim. Jörg List ist diese Beobachtung neu und macht deutlich: &bdquo;Das ist nicht gewollt. Da müssen wir einschreiten.“ Viele Kritiker befürchten, mit ihren Einwänden in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ihren Namen wollen sie deshalb nicht nennen. Als aber die Bezirksregierung berichtete, dass es im Musikerviertel weder Probleme noch Besonderheiten gebe, sei vielen die Hutschnur geplatzt. Eine Anwohnerin betont: &bdquo;Wir sind alle gebildete Leute. Wir sind für ein funktionierendes und faires Asylverfahren. Aber hier werden wir mit Problemen allein gelassen, die unser Lebensgefühl dauerhaft einschränken.“ Eine Bielefelderin, die sich als weltoffen bezeichnet, sagt vielsagend: &bdquo;Die machen uns mit dieser Einrichtung zu Menschen, die wir nie sein wollten.“ Die Wut steigt. Mögliche Alternative im Gütersloh wird von US-Streitkräften blockiert List und Giannone zeigen dafür Verständnis und wollen Lösungen finden. So könne mehr Aufklärung helfen, mehr Präsenz vom Sicherheitsdienst und das Sozialamt könnte für mehr Beschäftigung sorgen. Aber am Ende gibt es nur für einen Satz der Dezernentin besonders viel Applaus: &bdquo;Noch einen Sommer im Musikerviertel wollen wir nicht.“ Ob die Bezirksregierung diesen Wunsch umsetzen kann, ist aber ungewiss. Die erhoffte neue Unterkunft, die man in der Gütersloher Princess-Royal-Kaserne mit 300 bereits angeschafften Wohncontainern bestücken wollte, steht in den Sternen. Die US-Streitkräfte haben beim Bund Interesse an den Gelände bekundet und haben das Erstzugriffsrecht, so die Dezernentin. Zum Thema: Einblick: So sehen die Flüchtlingshäuser im Musikerviertel von innen aus

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