Streifenwagen bremst Roller aus: Bielefelder Beamter nach Polizei-Lüge angeklagt

Bielefeld. Es fing alles mit einer berechtigten Polizeikontrolle an. Am Samstag, 13. August, fällt einem dreiköpfigen Streifenteam kurz nach Mitternacht auf der Jöllenbecker Straße ein Roller auf. Als die Beamten das Duo auf dem Zweirad stoppen wollen, gibt der Fahrer Gas und flüchtet. Es kommt zur Verfolgungsjagd in Richtung Nordpark. Acht Monate später wird nun der Fahrer des Streifenwagens angeklagt, die Vorwürfe gegen den 20-jährigen Rollerfahrer indes wurden eingestellt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Polizeioberkommissar (28) gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vor. Denn ein Zeugenvideo hatte gezeigt, dass er den Roller auf der Apfelstraße mit hohem Tempo überholt und dann vor ihm mit quietschenden Bremsen angehalten hatte. Im Video ist zu hören, dass das ABS-System des Streifenwagens greift. Deshalb gehen die Ermittler davon aus, dass der Fahrer des Polizeiwagens den Roller mit 80 km/h überholte und sich dann direkt von den Roller setzte, berichtet Lars Herzog, Sprecher des Amtsgerichts. Der 20-Jährige konnte nicht mehr anhalten und prallte krachend in den Mercedes Vito. Anschließend wurden die jungen Bielefelder festgenommen. Vollbremsung als Mittel ungeeignet Dieses gefährliche Ausbremsen der Polizei wurde nach den Ermittlungen der Polizei Münster von der Staatsanwaltschaft Bielefeld als Straßenverkehrsdelikt eingestuft. Nach Angaben von Amtsgerichtssprecher Herzog lag für das Manöver in dieser Situation kein Rechtfertigungsgrund vor. Das offensichtliche Ziel der Beamten, die Verdächtigen auf diese Weise aufzuhalten und ihnen mit der Vollbremsung ein unüberwindliches Hindernis zu bereiten, sei als Zwangsmittel angesichts des Rollers ungeeignet gewesen, heißt es. Den beiden Polizeioberkommissaren, die mit einer Polizeianwärterin im Wagen saßen, war offenbar bewusst, dass sie zu weit gegangen waren. In seiner eigenen Darstellung des Vorfalls liefert der Fahrer folgende Beschreibung des Vorfalls: Demnach habe er nach dreimaliger erfolgloser Aufforderung an den Rollerfahrer, sein Gefährt zu stoppen, den Streifenwagen als potenzielles Hindernis auf den Gehweg gefahren und abgebremst – aber nicht abgestellt. Wilde Umkehrung der Tatsachen im Bielefelder Polizeibericht Noch wilder wird die Darstellung im öffentlichen Polizeibericht. Dort wurde berichtet, dass der kurz verschwundene Rollerfahrer plötzlich wieder aufgetaucht sei und das Heck des längst parkenden stehenden Streifenwagens gerammt habe. Beide Versionen wurden im September als Lüge entlarvt, als das zufällig von einem Zeugen aufgenommene Beweisvideo auftauchte. Es zeigt, dass der Polizeiwagen nach der Vollbremsung stand. Der Roller, der zwischenzeitlich etwa 55 km/h drauf hatte, soll mit 20 km/h in den stehenden Mercedes geprallt sein, so Herzog. Innenminister Reul fordert, dass klar dagegen vorgegangen werden müsse Der Vorfall wurde zum Politikum, sogar Innenminister Herbert Reul musste im Landtag dazu Stellung nehmen und sagte zu dem Unfall: &bdquo;Man kann froh sein, dass dabei nicht mehr passiert ist. Ich glaube, dass das ein Einzelfall ist, der aber absolut nicht in Ordnung ist und deswegen muss da auch klar gegen vorgegangen werden." Die zusätzlich durch die Polizeiberichte entstandenen Ermittlungsvorwürfe – zum einen der Verdacht falscher Verdächtigung sowie der Verwurf der Verfolgung Unschuldiger – wurden übrigens im Laufe des Verfahrens fallengelassen. Update, 15 Uhr: Die Staatsanwaltschaft erklärte nun nachträglich: Gegen den Angeklagten habe es keinen hinreichenden Tatverdacht gegeben, weil der Tatvorwurf im Zusammenhang mit dem Zusammenstoß erst in der späteren Sachbearbeitung im Verkehrskommissariat erhoben wurde, sagte ein Sprecher. Der Angeklagte selbst habe nicht auf Verfolgung des Zusammenstoßes hingewirkt, auch nicht im Hinblick auf eine mögliche drogenbedingte Fahruntauglichkeit. Verfahren gegen den Bielefelder Rollerfahrer eingestellt Für den Beamten könnte der Unfall dennoch berufliche Konsequenzen haben. Sollte er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr verurteilt werden, wäre er automatisch seinen Job los. Aber auch wenn das Urteil milder ausfallen sollte, läuft ein internes Disziplinarverfahren gegen ihn, seinen Kollegen und die Polizeischülerin. Rechtsanwalt Martin Mauntel vertritt den jungen Rollerfahrer, der bei dem Aufprall wie sein Sozius keine nachhaltigen Verletzungen erlitt. Auch gegen seinen Mandanten sei ermittelt worden. Doch das Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurde Ende Januar eingestellt. Wie Claudia Bosse, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, erklärt, passierte das, weil der Bielefelder in einem anderen Verfahren mit einer höheren Strafe zu rechnen habe. Dann könnten andere Verfahren eingestellt werden. "Problematisch" könnte dann ein Korpsgeist unter den Polizisten sein Anwalt Mauntel ist sehr froh, dass in diesem Fall mal ein objektives Video aufgetaucht sei. &bdquo;Ohne dieses Video hätte mein Mandant auf der Anklagebank gesessen.“ Was den Strafverteidiger wirklich in dem Fall empöre, sei weniger das Fehlverhalten während einer Verfolgungsjagd, sondern wie die Polizei damit intern umgegangen sei. &bdquo;Problematisch wird es in solchen Fällen, wenn dann ein Korpsgeist entstehen könnte, um eigene Fehler zu kaschieren.“ Der Strafverteidiger appelliert anlässlich dieses Falles an die Richter, auch mit Polizisten als Zeugen kritisch umzugehen. Sein Mandant verfolgt in dem Fall übrigens keine eigenen rechtlichen Schritte.

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