Bielefelds Polizeipräsidentin redet Tacheles: „Wir brauchen Polizeipräsenz“

Frau Müller-Steinhauer, Sie sind seit Oktober 2022 die neue Polizeipräsidentin in Bielefeld. Einer ihrer ersten Akzente waren Razzien auf dem Kesselbrink und am Drogenszenetreff &bdquo;Tüte“. Warum? Müller-Steinhauer: Wir haben schon seit 2021 den Behördenschwerpunkt &bdquo;Sichere Innenstadt“. Dazu gehören auch der Kesselbrink und die Tüte. Wir beobachten an solchen Plätzen ganz genau die Entwicklung der Straftaten. Dorthin wird die Polizei öfter gerufen. Da ist schon was los. Das meint nicht unbedingt nur Straftaten, sondern auch Anlässe, zu denen Bürger die Polizei rufen. Wenn wir diesen Behördenschwerpunkt ernstnehmen, müssen wir den auch leben und Aktionen entwickeln, um dem aktuellen Trends entgegenzutreten. Was heißt das? Steigende Kriminalität auf den Straßen? Müller-Steinhauer: Wir kommen aus der Corona-Zeit. Da war alles anders. Jetzt ziehen die Zahlen wieder an. Die Drogenszene ist aktiv. Wichtig ist mir, dass es nicht einfach zu Gewalttaten in der Stadt kommen darf. Dabei will ich keine Panik schüren. Man kann sicher durch Bielefeld laufen, ohne Opfer einer Gewalttat zu werden. Bielefeld ist in relativen Zahlen die sicherste Großstadt in NRW. Aber, wo was passiert, müssen wir hinschauen, präventiv tätig werden und Straftaten verfolgen. Deshalb haben wir uns im Team zu diesen Razzien entschieden, um ganz früh im Jahr ein Zeichen zu setzen. Sie haben den Kesselbrink selbst auch beim Rudelsingen besucht. Wie war es dort? Müller-Steinhauer: Der Kesselbrink hat auch tolle Seiten. Wir können nicht immer nur das Schlechte bejammern, wir müssen selber etwas Positives entwickeln. Deshalb fand ich die Aktion Rudelsingen klasse. Aber ich habe such eine Nachtschicht im Streifenwagen mitgemacht. Nachts kann die Szenerie am Kesselbrink auch ziemlich ungemütlich sein. Was können Sie tun? Müller-Steinhauer: Wir als Polizei haben auch eine Aufgabe in Sachen Sicherheitsgefühl. Für dessen Stärkung braucht es Polizeipräsenz. Das sind nicht nur wir alleine, die sich um das Sicherheitsgefühl und die objektive Sicherheit kümmern müssen. Die Stadt ist da mit dem Ordnungsamt ein ganz wichtiger Partner. Zusammen müssen wir die Dinge angehen, die die Bevölkerung beschäftigen und die sich auch in den objektiven Zahlen zeigen. Sie haben neue Ideen für die Innenstadt angekündigt. Müller-Steinhauer: Wir wollten mit den Razzien früh erfahren, was in der Szene los ist und ob sich etwas verändert hat. Zusätzlich planen wir die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts für die Innenstadt – auf unterschiedlichsten Ebenen. Dazu gibt es intensive Gespräche mit der Stadt. Razzien und Polizeipräsenz sind Mittel, die augenfällig sind. Aber wir dürfen nicht dafür sorgen, dass die Szene in andere Viertel abwandert, wo bisher Ruhe herrschte. Wir müssen die gesellschaftlichen Probleme an der Wurzel packen, damit es erst gar nicht mehr zu kriminellem Verhalten kommt. Aber das ist keine polizeiliche Aufgabe. Innerhalb der Drogenszene bemerken Beobachter eine zunehmende Verwahrlosung. Es ist unwahrscheinlich, dass die Menschen keine Drogen mehr nehmen, nur weil sie mehr eingreifen. Was können Polizei und Stadt machen? Müller-Steinhauer: Ja, das ist unwahrscheinlich. Wir müssen an vielen Stellen ansetzen. Schon bei der Kinder- und Jugendkriminalität, um in die Zukunft zu investieren. Was aber sozialarbeiterisch passieren könnte, dafür bin ich nicht die Expertin. Dafür ist es wichtig, alle Akteure an einen Tisch zu kriegen. Das ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit. Mit wem sprechen Sie? Müller-Steinhauer: Wir sind derzeit auf Arbeitsebene mit Ordnungsamt und Sozialamt im Gespräch. Das sind nicht so lockere Treffen. Dabei soll am Ende substanziell etwas rauskommen. Wir wollen die richtigen Schlüsse aus den Ergebnissen der Razzien ziehen. Es gab am Kesselbrink bereits Tumulte bei Polizeieinsätzen. Welche Bedeutung hat die Respektlosigkeit der Bürger gegenüber Beamten in der Behörde? Müller-Steinhauer: Nach Silvester 2022 war das natürlich ein Gesprächsthema. Trotzdem konnten wir so etwas bei uns in Bielefeld nicht feststellen. Widerstand und und handgreifliche Gewalt sind für mich trotzdem ein absolutes No-Go. Polizisten, aber auch Rettungskräfte und Feuerwehrleute, machen einen guten Job – im Einsatz für die Gesellschaft. Wir dürfen nicht hinnehmen, wenn das bestimmte Leute nicht akzeptieren. Wenn ein Einsatz mal Anlass für Kritik gibt, dann kümmere ich mich ehrlich um die Beschwerden. Aber gerade die Beamten auf der Straße brauchen wir, um unsere Ziele zu erreichen. Sie sind wichtig, um Sicherheitsgefühl und objektive Sicherheit zu erhöhen. Stichwort Beschwerden: Sie haben schon sehr früh die Wichtigkeit einer Fehlerkultur in der Behörde betont. Gab es dafür einen konkreten Anlass? Müller-Steinhauer: Gar nicht. Ich habe mir Gedanken gemacht, was mir als Polizeipräsidentin wichtig ist. Ich bin der Meinung, dass man mit seinen Fehlern umgehen können muss. Das passt auch sehr gut zur Polizei. Nennen Sie ein Beispiel. So soll es sein und so besser nicht. Müller-Steinhauer: Besser nicht: Fehler unter den Teppich kehren. So soll es sein: Ehrlich mit sich selbst sein und auch den Vorgesetzten vertrauen können. Vertrauen viele Polizisten ihren Vorgesetzten nicht? Müller-Steinhauer: Das weiß ich gar nicht. Ich sage nur, das ist der Zustand, wie ich ihn mir wünsche und so möchte ich ihn leben. Die Polizei hat eine große Verantwortung, gerade weil sie das Gewaltmonopol hat. Damit muss dosiert umgegangen werden und das setzt zwingend eine Fehlerkultur voraus. Zuletzt hatte ich zwei Bürgerbeschwerden auf dem Tisch. Die wurden bei uns geprüft und das Ergebnis war: ’Die Beschwerde war begründet. Wir haben daraus diese Folgerungen gezogen.’ Das finde ich klasse. Auch die Bürger waren damit zufrieden. Sie sind Juristin, waren Staatsanwältin für Kapitaldelikte, im Justizministerium zuständig für Organisierte Kriminalität, Cybercrime, Drogendelikte, Wirtschaftskriminalität. Was bringen sie an Ideen mit? Müller-Steinhauer: Vor allem im Justizministerium habe ich gelernt, dass es wichtig ist, eng mit vielen Experten zusammenzuarbeiten, um besser zu werden. Kriminalität ist heute nicht mehr so einfach. Früher hat man eine Bank überfallen. Heute spielt vieles in der digitalen Welt und ist subtiler. Cybercrime ist ein Wachstumsmarkt. Man kann sich heute im Internet ohne Fachexpertise einen kriminellen Baukasten zusammenstellen (&bdquo;Crime as a service“). Ein Bot-Netz zuzulegen, um damit andere lahmzulegen, ist selbst im Internet möglich. Nicht nur im Darknet. Diese Form der versteckten Bedrohung ist noch gar nicht so richtig präsent. Deshalb begreife ich meine neue Aufgabe nicht als etwas Neues. Ich habe eigentlich nur den Schreibtisch gewechselt. Was sind Ihre nächsten, wichtigsten Ziele? Müller-Steinhauer: Dazu gehört auf jeden Fall das Konzept für die &bdquo;Sicherheit in der Bielefelder Innenstadt“. Und wir müssen unsere Datenberge weiter angehen. Die Polizei hat massiv mit Datenbergen zu kämpfen. Nicht nur bei Kinderpornografie, auch bei der Täter-Kommunikation. Da sind die Täter uns technisch oft einen Schritt voraus. Total wichtig sind für mich auch die Kinder und Jugendlichen, die Straftaten begehen. Das darf sich nicht verfestigen. Auch hier müssen wir zusammen mit der Stadt in die Zukunft investieren. Denn aus meiner beruflichen Sicht sehe ich schon Zusammenhänge zu Schulabbrechern und Kriminalität. Das Gespräch führten Andrea Rolfes und Jens Reichenbach.Artikel: Polizeipr%C3%A4sidentinKAs

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