Kita-Krise in Bielefeld: "Werden ständig von den Eltern beschimpft"

Bielefeld. Genervte, frustrierte, wütende und resignierte Eltern, reduzierte Betreuungszeiten, überlastete Erzieherinnen im Dauerstress – und Kinder, die dabei auf der Strecke bleiben: Die Situation in den Kitas ist dramatisch, da sind sich alle einig. Das Hauptproblem sei allerdings nicht nur der vielfach genannte Fachkräftemangel, sagt Detlef Müller, verantwortlich für die zehn Bielefelder Kitas der Katholischen Kindertageseinrichtungen Minden-Ravensberg-Lippe. Es ginge vor allem um eines: ums Geld. Die Probleme seien sicher sehr vielschichtig und komplex – und man habe den Eindruck, dass &bdquo;keiner so richtig weiß, wo man anfangen soll“. Fakt sei aber, dass das Geld &bdquo;an allen Ecken und Kanten“ fehle. &bdquo;Wir werden ständig von den Eltern beschimpft“, ergänzt Müller. Er verstehe den Frust: &bdquo;Familien leiden sehr unter der aktuellen Situation.“ Aber er müsse auch an seine Mitarbeiter denken. Drastisches Finanzierungsproblem Hinter der Misere stecke vor allem eines: ein drastisches Finanzierungsproblem. 120 Bewerber auf 40 Plätze: Er könnte beispielsweise schnell deutlich mehr Personal ausbilden und einsetzen, wenn einfach das Geld da wäre. Es sei eine fatale Entwicklung, wenn man aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Ausbildung reduzieren müsse. Kommunen müssten da weiter den Druck aufs Land erhöhen. Zudem gibt es konkrete Ansätze, wie in Bielefeld die Situation verbessert werden kann. Und sie sind unabhängig von der dringenden Reform des Kinderbildungsgesetzes (Kibiz), die für eine bessere Finanzierung notwendig ist, erklären die Bielefelder Sozialdemokraten. Regine Weißenfeld, Vorsitzende des Jugendhilfeausschuss und stellvertretende Fraktionsvorsitzende, und Judith Wend, Sprecherin im Jugendhilfeausschuss, haben jetzt Verbesserungsideen für drei Kernprobleme vorgestellt. Schneller zu neuen Kita-Plätzen Immer mehr Kinder, die früher und mehr Stunden betreut werden sollen: Bielefeld braucht, wie berichtet, in den nächsten Jahren 14 neue Kitas. &bdquo;Und zwar möglichst schnell“, sagt Wend. Allerdings werde es immer schwieriger, geeignete Grundstücke zu finden und Investoren zu überzeugen. Letzteres hänge auch damit zusammen, dass sich Prozesse lange hinziehen, wie beispielsweise bei der Entscheidung für den Standort einer neuen Kita in Brackwede. &bdquo;Da müssen wir noch mal einen Zahn zulegen und die Kommunikation verbessern, damit sich Entscheidungen in der Bezirkspolitik deutlich schneller gehen“, sagt Wend. Zudem solle es bei Neubaugebieten verpflichtend immer auch eine Kita mit eingeplant werden, so wie es die Partei bereits im &bdquo;Leitlinienantrag Bauen“ formuliert hat. Fokus auf mehr Ausbildung Von 500 Vollzeitstellen in den städtischen Kitas seien rund hundert regelmäßig nicht besetzt, so Weißenfeld. Für die Erzieherinnen bedeute das eine absolute Dauerbelastung. Es gehe nur noch darum, Mängel zu verwalten, die pädagogische Arbeit bleibe auf der Strecke. Das sei unbefriedigend und frustrierend. Eine Erhöhung der Ausbildungsplätze soll gegen den Fachkräftemangel helfen. Aber die müssen finanziert werden. 60.000 Euro koste den Träger ein Platz für die dreijährige, sogenannte praxisintegrierte Ausbildung (PIA), berichtet Müller. Davon zahle das Land aber lediglich 16.000 Euro. Andererseits sei viel Geld da, das nicht genutzt werden kann. &bdquo;700.000 Euro, die das Land uns für die Ausweitung der Öffnungszeiten zur Verfügung gestellt hat, können die Träger nicht abrufen, weil kein Personal dafür da ist“, sagt Wend. Die Stadt kämpfe jetzt dafür, dieses Geld nicht zurückzahlen, sondern kurzfristig in die Finanzierung von weiteren Ausbildungsplätzen stecken zu dürfen. Druck auf das Land erhöhen Die Pauschalen, die die Kitas laut Kibiz bekommen, deckten lediglich die Personalkosten, nicht aber Bau- oder Sachkosten oder Preissteigerungen, ergänzt Müller. Helfen könnte da, wenn die Trägeranteile wegfallen würden, sagt auch Nicole Krug von der Gewerkschaft Verdi. &bdquo;Davon tragen die Kita-Träger in Bielefeld aktuell insgesamt rund 2,5 Millionen Euro pro Jahr selbst“, berichtet Weißenfeld. Die Stadt übernehme mit 7 Millionen Euro bereits den Hauptteil davon. Mit Blick auf das Kitajahr 2024/25 soll geprüft werden, ob die Kommune den kompletten Anteil übernehmen kann. Insgesamt wende Bielefeld rund 87 Millionen Euro pro Jahr für die Kitas auf. Die Elternbeiträge beliefen sich auf 1,5 Millionen Euro: pro Monat. Von allen Seiten weiter Druck auf das Land auszuüben, beispielsweise auch über die Landtagsabgeordneten, sei ganz wichtig. Damit sich endlich etwas ändere an der Unterfinanzierung in der Kinderbetreuung, Hauptgrund für die Misere. Und auch, damit die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung versprochene Beitragsfreiheit für das dritte Kita-Jahr realisiert wird. Jetzt gerade erst werde deutlich, für wie viele Kinder es schlecht gelaufen sei in der Coronazeit, ergänzt eine Kita-Leitung. &bdquo;Und dann treffen sie in der Kita auf ein völlig überlastetes System.“ Die Defizite schleppten die Kinder dann immer weiter mit. Das sei fatal – und nicht länger tolerierbar.

Meistgelesen