Zeugnissorgen: Was Experten Bielefelder Familien jetzt raten

Bielefeld. Gestern gab's Zeugnisse, heute hängt bei einigen der Familiensegen schief. Parallel flattert Werbepost von Nachhilfeinstituten ins Haus. Aber ist das die Lösung? Und was machen Kinder, deren Eltern sich die zusätzlichen Stunden nicht so einfach leisten können? Die NW hat bei Schulleitern und Fachleuten nachgefragt, wie sie die aktuelle Lage einschätzen und wie Eltern ihre Kinder jetzt am besten unterstützen können. Anstrengungsbereitschaft ist da ein wichtiges Thema. Mathe ist ein Problem "Wir haben immer noch viele richtig gute Schüler", sagt Caro Brauneis, Sprecherin der Bielefelder Gymnasien und Leiterin des Gymnasiums am Waldhof. "Aber wir stellen auch fest, dass einige in bestimmten Fächern, vor allem in Mathematik, deutlich schlechtere Zensuren haben." Auffällig seien zudem teils große Defizite beim Schreiben von Texten, nicht nur im Fach Deutsch. Vielen Schülern falle es schwer, sich wirklich darauf einzulassen. Auch die Akzeptanz von Hausaufgaben sei bei vielen einfach nicht da. Fehlende Übung und auch fehlende Anstrengungsbereitschaft führe zu teils nicht so guten Zeugnisnoten. Ja, in der Coronazeit sei einiges auf der Strecke geblieben. Das werde immer schnell als Begründung genommen, helfe aber nicht wirklich weiter. Nicht immer sei Nachhilfe da die Lösung, so Brauneis. Sie rät Eltern, erst einmal Rücksprache mit der Lehrkraft zu halten. Auch könnten Programme wie "Schüler helfen Schülern" oder private Unterstützung sinnvoll sein. "Wichtig ist, dass sich die Schüler den Stoff dann wirklich selbstständig erarbeiten, wenn auch mit Hilfestellung", sagt Brauneis. Um ein Gefühl für Sprache zu entwickeln, müsse man sich gezielt Zeit dafür nehmen, sowohl fürs Schreiben als auch für das Lesen von Texten. Das sei anstrengend und zäh, aber der einzige Weg. So lernten die Kinder auch, dass es sich lohnt, im Unterricht mitzuarbeiten. In der Coronazeit hingegen hätten sie eher gelernt, sich irgendwie um die Aufgaben herumzudrücken. Sein Kind da immer wieder in die richtige Richtung zu lenken und zu motivieren, sei auch für Eltern anstrengend, ohne Frage. Vieles werde da gern outgesourct. Nachhilfe, zumindest längerfristig, sei nicht für alle Schüler unbedingt immer förderlich. Einige sähen das auch als Grund, im Unterricht nicht so genau aufpassen zu müssen. Das hätte er lieber tun sollen, sagt ein 20-Jähriger, der im vergangenen Jahr Abitur gemacht hat. Aber das sei ihm erst recht spät bewusst geworden. Rückblickend könne er das nur jedem raten. Sich selbst da etwas zu disziplinieren, könne einem dann auch in der Zeit nach dem Abitur helfen. Auch sein Zeugnis sei gerade in der Mittelstufe nicht immer besonders gut gewesen. "Eine fünf war schon mal dabei", sagt er. Dass es Schülern schwerfalle, sich auf Aufgaben wirklich einzulassen, hänge seiner Meinung nach auch mit der Ablenkung und Berieselung durch die sozialen Medien zusammen. Die Muße gehe verloren, weil man ohne Pause immer etwas Neues angezeigt bekomme, in kurzen Häppchen. Geholfen habe ihm die Coronazeit, genauer gesagt die dadurch beflügelte Digitalisierung der Schulen. Statt unsortierter Mappen und zerknickter, nicht eingeordneter Arbeitsblätter habe es dann Teams gegeben. "Das hat mich total motiviert und ich konnte mich viel besser strukturieren", sagt der 20-Jährige. Eltern als Vorbild Die Zensuren seien vergleichbar mit der Zeit vor Corona, berichtet Daniel Norkowski, Sprecher der Bielefelder Realschulen und Leiter der Theodor-Heuss-Schule. Allerdings habe das soziale Miteinander stark gelitten und müsse gefördert werden. Aber auch der Unterstützungsbedarf habe zugenommen, gerade in den Hauptfächern. Zum Glück habe es da vom Land zusätzliche Bildungsgutscheine und Fördergelder, wie im Rahmen des Programms "Aufholen nach Corona", gegeben. Die Lehrkräfte schauten da, wer besondere Förderung benötigt. So könne einiges aufgefangen werden. Hinzu komme aktuell, dass die gesamtgesellschaftliche Situation für Kinder und Jugendliche nicht einfach und für einige sehr belastend sei. An den Grundschulen bekommen nur die Dritt- und Viertklässler Halbjahreszeugnisse. Und die seien "nur Mitteilung von Dingen, die allen bekannt sind", sagt Oliver Pape, Grundschulsprecher und Leiter der Hans-Christian-Andersen-Schule. "Wir sind das ganze Jahr über mit den Eltern im Gespräch." So sei auch die Übergangsempfehlung, die die Viertklässler jetzt mit dem Halbjahreszeugnis bekommen, keine Überraschung. Dank des Programms "Bildung und Teilhabe" bekämen viele Schüler aus einkommensschwachen Familien, die zuhause wenig Unterstützung bekämen, Förderung. Darum kümmerten sich in Absprache mit den Lehrkräften die Schulsozialarbeiter. Das Engagement sei an vielen Schulen da wirklich gut. Mehr noch als fehlende Fachkompetenzen gäbe es Defizite im Arbeits-und Sozialverhalten. Motivation und Engagement fehlten. Eltern könnten da mit gutem Beispiel vorangehen: "Wenn sie sich für Schule interessieren, vermitteln sie ihren Kindern die Wichtigkeit, auch von Bildung", sagt Pape. Untersuchungen hätten ergeben, dass Kinder von Eltern, die sich engagierten, bessere Zensuren hätten. Der Mitgründer des Nachhilfeinstituts &bdquo;Nachhilfe Helden“, Bulut Alkis, beobachtet im Zuge der Corona-Schuljahre: &bdquo;Die Lernbereitschaft hat nachgelassen.“ Die Kinder hätten sich an die Bequemlichkeit gewöhnt, das schlage sich auch in den Zahlen des Instituts nieder. Im Sommer 2022 erhielten etwa 550 Kinder Nachhilfe – der Höchststand bisher. "Zuvor waren es 250 und 300 Kinder." Dabei komme es vor allem auf das jeweilige Kind an, ob Nachhilfe hilfreich sein kann oder nicht. Schlechtere Noten könnten auch ein Aussetzer sein. Viele Schülerinnen und Schüler hätten das Lernen allerdings verlernt. &bdquo;Das wichtigste ist das regelmäßige Hausaufgabenmachen“, so Alkis. Dabei kämen Fragen auf, die beispielsweise in der Nachhilfe geklärt werden könnten. So lernten die Schüler nachhaltiger. Er erwartet jetzt nach der Ausgabe der Halbjahreszeugnisse eine erhöhte Nachfrage. Dabei stelle sich oft heraus, dass Schüler bereits deutlich früher hätten unterstützt werden können. Entspannt mit den Noten umgehen &bdquo;Ein wichtiger Tipp an die Eltern: Gehen Sie entspannt mit den Noten um“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Michaela Vogt von der Universität Bielefeld. Es helfe nichts, Druck aufzubauen und es sei besonders wichtig, die Stimme des Kindes wahrzunehmen. Möchte es selbst seine Zensuren verbessern, könne man gemeinsam nach Ideen suchen. Je älter die Schülerinnen und Schüler werden, desto wichtiger sei dabei ihre Einschätzung über die eigenen Leistungen. &bdquo;Kritisch ist es, wenn Kinder Nachhilfe bekommen, ohne dass sie es möchten“, so sieht es die Professorin. Wenn das Kind dazu nicht bereit sei, sei es wenig erfolgversprechend. Dabei stelle sich auch die Frage: Was ist überhaupt ein schlechtes Zeugnis? Sehen es die Kinder als ein solches an, oder sind es überwiegend die Eltern? Wichtig sei es also, auf das Kind einzugehen und zum Beispiel gemeinsam zu überlegen, ob Nachhilfe sinnvoll wäre. Oder ob es schon reicht, sich einfach ein bisschen häufiger in der Woche zum Lernen hinzusetzen.

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