Bielefelder Vater empört über zu teure Schülertickets

Bielefeld. Zum 1. Februar wird aus der "Schüler-Card" das "Schüler-Ticket Westfalen". Statt im ganzen Stadtgebiet können Schüler damit dann rund um die Uhr in ganz Westfalen den Nahverkehr nutzen. Aber für einige wird es deutlich teurer: Kinder, die keinen Anspruch auf Schulwegbeförderung haben, müssen dann 36 statt bisher 29 Euro zahlen - und ihre Fahrkarte ganz neu beantragen. Dass nicht alle Schüler gleichbehandelt werden, durch das System ein immens hoher Verwaltungsaufwand entstehe und die gewollte Verkehrswende bestimmt nicht beflügelt werde, sei schon ziemlich schräg, sagt Neu-Bielefelder Andreas Angerstein. "Und das bei einer rot-grün-roten Rathauskoalition." Der 57-Jährige ist vor sechs Monaten mit seiner Familie aus beruflichen Gründen aus seiner Heimatstadt Rostock nach Bielefeld gezogen - und hatte dort ein ganz unkompliziertes Schüler-Nahverkehrsmodell kennengelernt. Jede Schülerin und jeder Schüler bekomme in Rostock kostenlos ein Ticket, das alle rund um die Uhr in der Stadt nutzen können. "Unsere Kinder sind von der ersten Klasse an immer mit der Bahn zur Schule gefahren, wir haben sie nie wieder mit dem Auto chauffiert", berichtet Angerstein. Die Nähe zu einer Stadtbahnhaltestelle sei deshalb hier bei der Wohnungssuche ein ganz wichtiges Kriterium gewesen. Bei der Schulwahl für die beiden neun und elf Jahre alten Söhne habe sich die Familie auf Empfehlungen der neuen Arbeitskollegen verlassen. "Wir hatten einen super Start", sagt Angerstein. Verärgert habe ihn dann aber am Jahresende ein Schreiben der Stadt, dass die Schüler-Card zum 31. Januar eingestellt und durch das Schüler-Ticket Westfalen ersetzt wird - und dann 36 statt 29 Euro kostet. Das entspreche eine Erhöhung um 25 Prozent, sei unsozial und familienunfreundlich. Zwar gebe es für Familien mit geringem Einkommen Zuschüsse, aber davon wüssten anscheinend längst nicht alle. Die ukrainischen Klassenkameradinnen der Kinder, die die Familie jetzt am Wochenende zu sich nach Brackwede eingeladen hat, hätten berichtet, dass sie sich immer für jede Fahrt ein Ticket kaufen würden. Offener Brief an OB Pit Clausen und die Ratsfraktionen Und "stellen Sie sich bitte vor, Sie haben drei Kinder, die zur Schule gehen und die Familie verdient etwas über der Grenze, um anspruchsberechtigt für einen Zuschuss zu sein. Dann kosten diese drei Schülertickets 108 Euro pro Monat", ergänzt Angerstein in seinem offenen Brief an den Oberbürgermeister und die Fraktionen des Stadtrates. Dafür könne man eher das Auto volltanken und sich in den morgendlichen Elterntaxi-Stau im Berufsverkehr stellen. Genau der sei aber ja laut aktuellem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken nicht gewollt. Zudem sei dort definiert, dass der öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) attraktiver gemacht werden und der Preis für die Schüler-Card "für die nächsten fünf Jahre auf 29 Euro pro Monat festgesetzt" werden soll. "Wie Sie erkennen müssen, verstoßen Sie gegen Ihren eigenen Vertrag", ergänzt der Vater, der sich unter anderem als Leichtathletiktrainer im Sportverein in Brackwede engagiert, in seinem offenen Brief. Sicher, der Radius erweitere sich. "Aber dass Kinder damit auch bis nach Bochum fahren können, ist für die meisten überhaupt nicht relevant", sagt Angerstein. Viel wichtiger sei der Alltag hier in Bielefeld. Dass sich "alle Kinder dieser Stadt frei und sicher bewegen können. Der Weg zur Schule, zum Sportverein, zum Klassenkameraden, zu Freunden und Verwandten sollte immer kostenfrei möglich sein", schreibt der 57-Jährige an die Stadtpolitik. Sicher, das müsse finanziert werden. Aber für andere Projekte, wie den Jahnplatzumbau, würden ja auch immense Summen ausgegeben. Für die Stadt bedeutet die Umwandlung der Schüler-Card in das Schüler-Ticket Westfalen keine Kostensteigerung. Laut Ratsbeschluss bleibt es bei den bisherigen Aufwendungen von 5,4 Millionen Euro pro Jahr. Anspruchsberechtigte Schüler zahlen weiterhin 12 Euro pro Monat. Für das zweite anspruchsberechtigte Kind zahlen Eltern wie gehabt 6 Euro Eigenanteil. Das dritte Kind, Inhaber des Bielefeld-Passes sowie Grundschulkinder, die Anspruch haben auf eine Beförderung, fahren kostenlos. Zudem können jetzt auch Schüler, die nicht in Bielefeld wohnen, aber hier zu Schule gehen, das Schüler-Ticket nutzen. Kostenloses Schülerticket gleich Verkehrswende plus Familienfreundlichkeit Zwar habe er noch keine Rückmeldung auf seinen Brief bekommen. "Aber in den ersten spontanen Gesprächen im Rathaus mit Mitarbeitern und Fraktionsmitgliedern haben viele Verständnis und Zustimmung für mein Anliegen gezeigt", berichtet Andreas Angerstein. Wenn dem so sei und es Bielefeld ernst meine mit Verkehrswende, Familienfreundlichkeit und Bürokratieabbau, "dann sollte im nächsten Haushalt für das Jahr 2024 ein kostenfreies Schülerticket für die Bielefelder Schüler verankert sein". Die Preiserhöhung passe weder in die Zeit noch zu dem Ziel, mehr Verkehr über den ÖPNV abzuwickeln, sagt Jan Maik Schlifter (FDP) auf Nachfrage. Die Liberalen hatten sich im Rat als einzige Fraktion gegen die Einführung des Westfalen-Tickets ohne günstige Alternative ausgesprochen und kündigen einen Antrag im Rat an. "Die Reaktion auf das 49-Euro-Ticket kann keine über 20-prozentige Erhöhung für Kinder sein", ergänzt Schlifter.

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