Erstaunlich: Bielefelder SPD-Ortsverein wählt 16-Jährigen zum Vorsitzenden

Bielefeld. So mancher in der Partei, aber auch außerhalb wird ungläubig den Kopf geschüttelt haben. Wählt der Brackweder Ortsverein der SPD doch glatt einen 16-Jährigen zum Vorsitzenden - einstimmig. Marios Vafiadis heißt der ungewöhnliche, selbstbewusste junge Mann, dem zugetraut wird, einem immerhin 90 Mitglieder starken Ortsverein neuen Schwung zu geben. In Bielefeld ist der Sohn eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter damit der Jüngste in einem solchen Amt. Anders als zu vermuten, sind Vafiadis' Eltern nicht politisch aktiv. Der 13-Jährige schleppt vielmehr seine Eltern, beide Lehrer, zu seiner ersten Demonstration mit - gegen einen Aufmarsch von Neonazis in der Stadt, die die Freilassung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aus der Brackweder Justizvollzugsanstalt fordern. Gegen Fremdenfeindlichkeit und Alltagsrassismus Flagge zu zeigen, sei damals seine Motivation gewesen, erzählt der Schüler des Ratsgymnasiums. Er selbst habe das zwar wenig erleiden müssen, sein Vater hingegen schon. "Ich möchte dem keinen Platz geben", sagt der 16-Jährige, dem die AfD ein Graus ist, schon sehr professionell. Demokratie und Freiheitsrechte, "irgendwann merkt man, dass es nicht so selbstverständlich ist und man was dafür tun muss". Von traditionsreicher Partei fasziniert Im Kreis der Familie sei zwar immer geschimpft und diskutiert worden, aber dadurch ändere sich nicht. "Man muss auch was machen", betont Marios Vafiadis, der schon als Teenie Bundestagsdebatten bei Phoenix verfolgt und sich in die Themen einliest, "auch, wenn ich nicht alles verstanden habe". Er möchte machen, Menschen helfen, und darum habe er sich eine politische Heimat gesucht. Zwischen Grünen und SPD schwankend, sei er dann aber doch zunächst zu den Bielefelder Jusos gegangen, weil ihn die traditionsreiche Partei und ihre Bedeutung für die Demokratie so fasziniert habe. Mit 14 Jahren ist Marios dann in die SPD eingetreten. Der 16-Jährige räumt ein, dass manche Mitschüler, aber beispielsweise auch die Oma schon etwas komisch reagiert hätten. Politik ist allerdings nicht sein einziges Hobby. Der junge Mann, der in der Schule Deutsch, Englisch, Sozialwissenschaften und Geschichte als Leistungskurse hat, spielt Klavier und Gitarre, beschäftigt sich mit Grafikdesign, kocht gerne und trifft sich natürlich auch mit seinen Freunden. Marios schätzt, im Schnitt zehn bis zwölf Stunden pro Woche für die Parteiarbeit aufzubringen - mal mehr, mal weniger. Das Abi sieht er dadurch nicht in Gefahr. "Ich will ja auch keinen Schnitt von 1,0", sagt der Ratsschüler und grinst. Wo es mal beruflich für in hingehen soll, steht auch noch in den Sternen. SPD ist gewohnt, dass sich die Parteijugend einmischt Wegen Corona war es zunächst nicht so leicht, Kontakte mit Genossen zu knüpfen. Der Landtagswahlkampf sei quasi die einzige Möglichkeit gewesen, neben wenigen digitalen Angeboten. Davon ließ sich Marios Vafiadis aber nicht frustrieren. Jesco von Kuczkowski, Vorsitzender der SPD-Stadtverbandes Brackwede und Bezirksbürgermeister, habe erkannt, dass er wirklich Interesse an der Parteiarbeit habe und ihm geholfen, Kontakte zu finden. Als dann Peter Fietkau aus beruflichen Gründen verkündet habe, nicht wieder für den Vorsitz des Ortsvereins zu kandidieren, habe er es gewagt, seinen Hut in den Ring zu werfen. "Die älteren Genossen hatten durchaus Bedenken, ob einer, der noch nicht mal volljährig ist, einen Ortsverein leiten kann", erzählt Marios Vafiadis und lächelt. Aber im persönlichen Gespräch könne er vieles wettmachen, sagt der junge Mann. Und in der Tat macht er nicht nur einen selbstbewussten, sondern bereits einen eloquenten Eindruck. Außerdem sei es die SPD ja gewohnt, dass die Parteijugend sich einmische. Und er ist ja nicht allein an der Spitze der Brackweder SPD. Ihm zur Seite stehen im Vorstand Janette Minshull (47, Sozialfachangestellte), die auch im Stadtverband Brackwede aktiv ist, und Frank Diembeck (43, Richter am Amtsgericht Herford). Nur acht Prozent der SPD-Mitglieder sind unter 30 Damit gehört das Trio insgesamt zu den Youngstern der Partei. Von den knapp 394.000 Mitgliedern (Stand Ende 2021, 1976 waren es mal 1,02 Millionen) sind nur rund acht Prozent unter 30 Jahren. Im Ortsverein Brackwede sind 60 Prozent der Mitglieder über 60 Jahre, nur eine handvoll unter 30. Marios Vafiadis möchte helfen den Trend umzukehren. "Die SPD hat den direkten Kontakt zu den Bürgern verloren", kritisiert er seine Partei. Es werde zu wenig gesprochen, zu wenig erklärt. Deshalb möchte er mit den Genossen im Ortsverein zusammen die SPD in Brackwede wieder sichtbarer machen, Ansprechpartner sein. Als erster Schritt soll nach langer Corona-Pause das SPD-Büro an der Treppenstraße im Frühjahr wieder öffnen. In einer Veranstaltungsreihe möchte Vafiadis mit den Brackwederinnen und Brackwedern über kommunalpolitische Themen ins Gespräch kommen, beispielsweise über den Umbau der Hauptstraße, den der junge Mann als Chance für seinen Stadtbezirk sieht. Die Jahresplanung soll bei der Vorstandssitzung am 10. Januar festgezurrt werden. Und auf Facebook und Instagram wird die SPD Brackwede bald auch verstärkt präsent sein.

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