Jetzt als Podcast: Der Jöllenbecker Horrormasken-Mord

Bielefeld-Jöllenbeck. Die 82-jährige Rentnerin Regina M. (Name geändert) war eine bekannte Person im Bielefelder Ortsteil Jöllenbeck. Hier hatte sie jahrzehntelang eine Blumenhandlung geführt, hatte vier Kinder großgezogen und zum Schluss noch ihren kranken Ehemann aufopferungsvoll gepflegt. Auch in der Kirchengemeinde engagierte sich die Witwe. Alle in dem beschaulichen Ort kannten sie als freundliche und zuvorkommende Person. Am Abend des 29. März 2012 wurde ausgerechnet sie mit 40 Messerstichen getötet – in ihrer eigenen Wohnung. Jöllenbeck stand unter Schock. Überregionale Bedeutung bekam der Fall aber erst Wochen später. Der grausame Mord mit der Horrormaske und die Fakten zum Prozess sind nun Thema in einer Episode von "OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen". Die Fakten zum Mord mit der Horrormaske: Am 29. März 2012 wird Regina M. (82) aus Jöllenbeck mit 40 Messerstichen in ihrer eigenen Wohnung getötet. M.s Mieter Julian R. (18) ruft den Notruf und versucht offenbar, seiner Vermieterin das Leben zu retten. Wer die Frau erstochen hat, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand. Drei Wochen nach der Tat folgt der Durchbruch in den Ermittlungen: Der 18 Jahre alte Mieter selbst hat Regina M. mit einem Küchenmesser erstochen. Er trug eine Horrormaske. Am 7. November 2012 wird Julian R. wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Dabei handelt es sich um die Höchststrafe im Jugendstrafrecht. Julian R. hat seine Haftstrafe abgesessen. Er ist wieder frei. Mord in Jöllenbeck: Der Schock sitzt tief Der 29. März 2012 ist nach ein paar warmen Frühlingstagen der erste regnerische und kalte Tag in der Woche. Kurz nach 21.30 Uhr durchzuckt das Blaulicht von mehreren Rettungs- und Polizeifahrzeugen die Dunkelheit. Schnell verbreitet sich die Nachricht, dass an der Eickumer Straße ein Mord begangen wurde. Rund um den Tatort geht damals die Angst um. Niemand hat sich eine solche Tat hier vorstellen können. Die Unsicherheit wächst, weil die Mordkommission &bdquo;Eickum" zunächst keinen Hinweis darauf hat, wer dieses brutale und &bdquo;abscheuliche Verbrechen", so nennt es später der Vorsitzende Richter Christoph Meiring im Landgericht, begangen haben könnte. Es finden sich zunächst weder verwertbare DNA-Treffer in der Kartei bekannter Straftäter noch eine Tatwaffe und schon gar kein Motiv für die Tat. Einbruchsspuren gibt es nicht, geraubt wurde auch nichts. Dafür finden die Ermittler aber Unmengen an Blut im Flur der rüstigen Jöllenbeckerin. Der Täter muss wie im Rausch auf sein Opfer eingestochen haben, das sich noch gewehrt haben muss. Rechtsmediziner zählen später 40 Stichverletzungen. Die Nachbarn der Toten bleiben unter dem Eindruck der Tat in den kommenden Tagen nach Einbruch der Dunkelheit lieber zu Hause. Wer trotzdem noch raus muss, dreht sich unterwegs lieber zweimal um, bevor er weitergeht. Jöllenbeck hat seine dörfliche Unschuld verloren. Der Durchbruch in den Ermittlungen zum Mordfall in Jöllenbeck Exakt drei Wochen nach der Tat kommt es endlich zum Durchbruch bei den Ermittlungen der Mordkommission. Die Ermittler nehmen in der Innenstadt einen jungen Mann fest. Der 18-Jährige lebt im gleichen Haus wie Regina M. Er war derjenige, der den Notruf gewählt hatte. Als die Retter eintrafen, führte der gelernte Sanitätshelfer eine Herz-Druck-Massage beim Opfer durch. Doch für Regina M. kam jede Hilfe zu spät. Sie war bereits verblutet. Den eintreffenden Einsatzkräften hatte Julian R. (Name geändert) berichtet, dass er in seiner Dachgeschosswohnung Hilferufe von unten gehört hatte. Seine Mutter und seine Schwester waren damals zur Kur. Er sei in diesen Tagen das erste Mal in seinem Leben über mehrere Tage allein zu Hause gewesen. Neben dem Opfer war er demnach der einzige im Haus. Als Julian in den Flur seiner Nachbarin trat, so berichtete er den Einsatzkräften, hätte seine Vermieterin bereits am Boden gelegen. &bdquo;Hier ist überall Blut", sagte er immer wieder während des Notrufs. Mörder entlarvt: Rechtsmedizin findet unerklärliche Blutspritzer Doch eine Routine-Untersuchung der Rechtsmedizin entlarvt die Lüge des 18-Jährigen. Die Blutspuren-Muster-Analyse seiner Kleidung verrät den allgemein sehr unsicher auftretenden Heranwachsenden. Keiner der Ermittler glaubt ihm mehr seine Version von der Ersten Hilfe. Denn Forensiker Bernd Karger hatte Blutspritzer auf Hemd und Hose identifiziert, die nicht mit der Aussage des ehemaligen Hauptschülers zu vereinbaren waren. Wer sich vor eine verletzte Person kniet, um Erste Hilfe zu leisten, mag zwar Blutspritzer am vorderen Oberkörper haben, aber kein Blut auf dem Rücken und der Innenseite der Beine. Dieses Blutbild lasse sich nur &bdquo;durch ein dynamisches Kampfgeschehen zwischen dem Angeklagten und seinem Opfer erklären", so Karger später. Der Gutachter geht davon aus, dass der 18-Jährige mit einem Küchenmesser mit 23 Zentimeter Klingenlänge immer wieder und mit großer Wucht zustach. Dabei muss er jeweils so weit ausgeholt haben, dass Blut hinter ihm herabtropfte. Auch das Blut auf seinen Schuhen ist nicht mit der knienden Haltung bei der Herz-Druck-Massage zu vereinbaren. Das Fazit des Experten fällt eindeutig aus: Julian R. und seine 82-jährige Nachbarin müssen gestanden haben, als sie an jenem Abend aufeinandertrafen. Mord mit Horrormaske: Fund sorgt für Entsetzen Am Nachmittag des 19. April 2012 wird dem jungen Mann der Haftbefehl eröffnet. In der Küche der Familie findet sich wenig später noch die Tatwaffe – ein gelbes Küchenmesser. Gut gesäubert, aber es lassen sich immer noch Blutrückstände des Opfers nachweisen. Das Entsetzen wird noch größer, als Ermittler im Zimmer des jungen Mannes schließlich eine Horrormaske aus Latex finden – das Produkt ist unter dem Titel &bdquo;Serienkiller Justin" käuflich im Versandhandel zu erwerben. Die gitterartigen Wunden, die das Gesicht der Fantasiefigur Justin entstellen, sind extra plastisch geformt, um möglichst echt und eklig zu wirken, heißt es im Werbetext der Horrormaske. Die Mordermittler gehen schließlich davon aus, dass Julian R. die Horrormaske an jenem regnerischen Abend aufsetzte, Latexhandschuhe überstreifte, das gelbe Messer aus der Küche griff und damit unten in der Wohnung seiner Vermieterin gegenübertrat. Dann stach er mehr als 40-mal mit dem Küchenmesser auf sie ein. Ein ungehemmter Blutrausch, wie es später vor Gericht heißt. Auch an der Latexmaske waren Blutrückstände der 82-jährigen Vermieterin des Angeklagten nachzuweisen. Horrorfilm "Saw" als Auslöser für Mordlust mit Horrormaske? Julian R. sieht sich einer ganzen Reihe erdrückender Beweise gegenüber. Trotzdem bleibt er auch während des im Oktober 2012 gestarteten Mordprozesses dabei, dass er diese Tat nicht begangen habe. Er habe sich, das gibt er zu, an jenem Abend den Horrorfilm &bdquo;Saw" (FSK 18) aus dem DVD-Stapel der Mutter genommen und angesehen. Dabei will er eingeschlafen und erst durch die Schreie von Regina M. aufgewacht sein. Der kurz vor der Tat konsumierte Horrorstreifen ist ein gefundenes Fressen für die Medien. Doch ist es wirklich so einfach? Guckt ein junger Mann einen unbestritten brutalen und blutigen Film und danach greift er einfach zum Messer, um zu töten? Nein. Zwar sagen Kriminologen, dass Horrorfilme vor allem bei labilen Persönlichkeiten den Verlust ihrer Mitleidensfähigkeit (Empathie) auslösen können. Auch erhöhe sich mitunter die Gewaltbereitschaft, sagen Psychiater. Aber um einen solchen Gewaltexzess auszulösen, reicht ein solcher Horrorfilm nicht aus. Da sind sich die Experten einig. Angeklagter befand sich in beruflicher Krise – ein Motiv? Sicher ist aber: Julian R. ging es in diesem Frühjahr nicht gut. Der Hauptschüler, der im Jahr vor der Tat seinen Realschulabschluss gemacht hatte, wollte Rettungssanitäter werden. Sein Bundesfreiwilligenjahr absolvierte er als Fahrer medizinischer Transporte. Doch seine Team- und Kritikfähigkeit war offenbar nicht ausreichend. &bdquo;Zwischen seiner Selbsteinschätzung und seinen tatsächlichen Möglichkeiten lagen Welten", gibt der damalige Vorgesetzte des Arbeiter-Samariter-Bundes im Prozess zu Protokoll. Deshalb hatten ihm die Verantwortlichen deutlich gemacht, dass er nicht geeignet sei für seinen Traumberuf. Julian R. soll damals in ein großes Loch gefallen sein. Wollte er an diesem Abend beweisen, dass er selbst unter größtem Stress ein geeigneter Lebensretter war? Strafverteidiger plädiert auf Freispruch Der Strafverteidiger des Angeklagten, Andreas Chlosta, hält diese These der Ermittler für abwegig: Schließlich habe er die Nachbarin angesichts der massiven Verletzungen gar nicht retten können. Das passe nicht zu dem vermeintlichen Motiv, sich damit profilieren zu wollen. Julian R. schweigt dazu. Da der junge Jöllenbecker laut Gutachten zwar damals in seinem Reifeprozess verzögert ist, aber keine psychiatrischen Einschränkungen hat, gilt er vor Gericht als voll schuldfähig. Allerdings gilt für ihn Jugendstrafrecht. Verteidiger Chlosta plädiert auf Freispruch für seinen Mandanten. Vor dem Urteil: Julian R. spricht von dem Abend des Mordes Schließlich berichtet R. im Prozess das erste Mal von dem Geschehen – äußerlich ruhig und emotionslos, wie es heißt. Er erklärt das Blut an seiner Horrormaske mit der hektischen Suche nach seinem Ausweis. Die Maske habe damals auf seinem Schreibtisch gelegen. Die müsse er berührt haben, als die Mordermittler nach dem Ausweis gefragt hatten. Auch das Blut am Küchenmesser erklärte er damit, dass er noch die Küche aufgeräumt habe, als er auf die Kripo-Beamten habe warten müssen. Sein Verteidiger kritisiert bis heute, dass die Ermittler ihm nie ein nachvollziehbares Motiv für die Tat präsentieren konnten. Höchststrafe statt Freispruch: Gericht spricht vom "Vernichtungswillen" des Angeklagten Die Staatsanwaltschaft wirft R. hingegen vor, aus Mordlust grausam getötet zu haben. Richter Meiring folgt der Argumentation des Anklägers. Die Indizien sind erdrückend. Er spricht in der Urteilsbegründung am 7. November 2012 vom &bdquo;absoluten Vernichtungswillen" des Heranwachsenden. Die IV. Große Strafkammer verurteilt Julian R. schließlich wegen Mordes zu zehn Jahren Haft. Es ist die höchstmögliche Jugendstrafe. Scheinbar unbeteiligt nimmt der 19-Jährige das Urteil auf. Christoph Meiring sagt damals zum verurteilten Mörder: "Ich bedaure, dass Sie die Tat nicht eingeräumt haben. Nicht, weil wir ein demutsvolles Geständnis erwarten, das vielleicht arbeitserleichternd wäre. Wer so große Schuld auf sich geladen hat, muss sich auch Gedanken darüber machen, wie er den Weg zurück in die Gesellschaft findet. Es ist ja nicht so, dass Ihr Leben heute endet. Ich hoffe, dass Ihre Sprachlosigkeit nur Ausdruck Ihrer Unreife ist." Inzwischen hat Julian R. seine Haftstrafe vollständig abgesessen.

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