Klinik-Chef spricht über die Vergewaltigungsserie in Bethel

Bielefeld. Der Fall des früheren Assistenzarztes Philipp G., der im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) von 2019 bis 2020 insgesamt 28 Patientinnen missbraucht haben soll, hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Seit Beginn der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nimmt Bethel zum laufenden Verfahren keine Stellung. In einem ausführlichen Interview, das die Neue Westfälische mit Klinik-Geschäftsführer Mathias Kreft über die vergangenen zwei Krisenjahre geführt hat, spricht der 59-Jährige zum ersten Mal auch über die Erschütterungen, die das Verbrechen ausgelöst haben. Nachdem der 32-jährige Assistenzarzt sich in der U-Haft das Leben genommen hatte, stellte die Staatsanwaltschaft Bielefeld die Ermittlungen ein. Danach ermittelte die Staatsanwaltschaft Bielefeld dann gegen die Vorgesetzten des Assistenzarztes, stellte das Verfahren aber nach einem Dreivierteljahr wieder ein. Im November 2021 ordnete das Justizministerium NRW an, die Ermittlungsakte wieder zu eröffnen. Die Staatsanwaltschaft Duisburg ist inzwischen in den Fall eingestiegen und geht dem Vorwurf nach, ob die Leitung des EvKB, der verantwortliche Chefarzt und ein Oberarzt, konkrete Hinweise von betroffenen Patienten abgetan und damit weitere Taten nicht verhindert hätten. Kreft leitet seit dem 1. April 2021 die Geschäftsführung des EvKB Der Diplom-Kaufmann Mathias Kreft leitet seit dem 1. April 2021 die Geschäftsführung des Evangelischen Klinikums Bethel. Die Missbrauchsfälle liegen zeitlich davor. Kreft ist Vorsitzender Geschäftsführer des EvKB. Er betont, dass die volle Anteilnahme den Opfern gehöre. &bdquo;Den Frauen ist in unserem Hause ein unfassbares Verbrechen widerfahren. Damit setze ich mich jeden Tag auseinander.“ Zweifelsohne sei das eine Extremsituation. &bdquo;Meine persönliche Betroffenheit ist sehr, sehr tief. Es ist ein Schock gewesen“, sagt Kreft. Der Täter hat gegen die innersten Werte unseres Hauses verstoßen. Mich hat sehr stark die Situation der Opfer geprägt.“ Zentrale Fragen seien von Anfang an gewesen, welchen Umfang das Geschehene hatte und was genau passiert sei. &bdquo;Das Thema ist einfach immer da. Und das darf man auch nicht wegdiskutieren“, sagt Kreft. Der Geschäftsführer betont, dass für Bethel und speziell auch für die Klinikleitung immer die Opfer im Vordergrund gestanden hätten. Er habe das auch immer allen Mitarbeitern gesagt: &bdquo;Wir sind zwar betroffen, aber die Opfer sind ausschließlich die Frauen. Das dürfen wir nie vergessen.“ Bei aller gefühlten Betroffenheit der Klinikmitarbeiter, sei das nichts im Vergleich zu dem, was den Frauen widerfahren sei. "Schwierige Situation" für das Haus Kreft spricht aber auch über die &bdquo;sehr schwierige Situation für sein Haus“ und für die Mitarbeiter. &bdquo;Trotzdem werden wir alle nie vergessen, dass die Opfer ganz, ganz oben anstehen.“ Die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel haben im Mai dieses Jahres einen Unterstützungsfonds für die Opfer des Serienvergewaltigers im EvKB eingerichtet. Damit hat Bethel erst spät reagiert. Warum? Kreft beantwortet die Frage mit einer Gegenfrage: &bdquo;Wann ist der richtige Zeitpunkt?“ So einen Fonds aufzulegen, sei schon sehr früh überlegt worden. Normalerweise werden vergleichbare Fonds erst aufgelegt, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Uns war es wichtig, unabhängig von der juristischen Schuldfrage Verantwortung zu übernehmen. Das Verfahren kann noch Jahre dauern, damit wäre den Frauen nicht geholfen, darum haben wir schon jetzt den Unterstützungsfonds eingerichtet. »Fühle mich in einer moralischen Verantwortung« Es kam anders. Letztlich wurde im Mai 2022, also eineinhalb Jahre nach dem Suizid des Täters, in Trägerschaft mit der Stiftung Bethel ein Unterstützungsfonds eingerichtet, der sich an alle Opfer richtet, die im Evangelischen Klinikum sexuellen Missbrauch des Assistenzarztes erlitten haben. Kreft: &bdquo;Wir haben das gemacht, weil wir und zuletzt auch ich mich in einer moralischen Verantwortung fühle.“ Die Opfer seien Anfang des Jahres von der Staatsanwaltschaft über die Taten informiert worden. &bdquo;Wir haben die Opferschutzbeauftragte des Landes NRW im Nachgang gebeten, behutsam Kontakt mit den Opfern aufzunehmen und diese über den Fonds zu informieren.“ Laut Kreft wird der Fonds von den Opfern in Anspruch genommen. Von wie vielen, sagt er nicht. Es gehe um jede einzelne Betroffene, der Bethel versuche, eine Unterstützung zu geben. &bdquo;Wohlwissend, dass wir das, was passiert ist, damit nicht ungeschehen machen können.“ Der Klinikleiter räumt ein, dass so ein Fonds niemals ausreichend sein könne. &bdquo;Keine Summe kann das Leid aufwiegen, aber wir wollen therapeutische und finanzielle Hilfe leisten, das Geschehene zu verarbeiten.“ Auf die Frage, inwieweit das Klinikum und seine Mitarbeiter selbst das Geschehene inzwischen aufgearbeitet hätten, spricht Kreft über organisatorische Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Was man natürlich nie garantieren könne. Neu eingeführt worden sei ein Hinweisgebersystem zur Prävention. Mitarbeiter und Patienten hätten die Möglichkeit, auf anonymem Weg Hinweise zu geben. &bdquo;Wir gehen allen Informationen nach, die wir bekommen.“ Dieses System werde auch angenommen. Auf diese Weise sei eine Möglichkeit gefunden worden, Sprachfähigkeit in einem geschützten Raum herzustellen. Zugang zum Betäubungsmittel Propofol erschwert Es sei für jeden schwer vorstellbar, dass einem so eine kriminelle Energie im beruflichen Umfeld begegnen könne. Auch für das Haus sei das schwer gewesen. Deswegen habe man alle Führungskräfte und Mitarbeiter mit Pflicht-Fortbildungen für solche schwerwiegenden Themen sensibilisiert. &bdquo;Wenn etwas ist, muss das sofort erkannt werden. Am Ende entscheidet die menschliche Wahrnehmung darüber.“ Auch neue Kontrollmaßnahmen seien auf den Stationen eingeführt worden. Zum Beispiel sei der Zugang zum Betäubungsmittel Propofol erschwert worden, das der Assistenzarzt benutzt hatte, das aber nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Im März hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg mit zivilen Kräften der Kripo die Räumlichkeiten des Klinikums durchsucht und Patientenakten mitgenommen. Zu den laufenden Ermittlungen sagt Kreft: &bdquo;Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen werden noch eine längere Zeit andauern. In die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft war und ist das EvKB nicht eingebunden. Wir unterstützen die Ermittlungen vollumfänglich.“

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