Deutscher Filmpreis: Bielefelder sorgt in Berlin für guten Ton

Bielefeld. Nach einem lautstarken, wuchtigen Ausraster wird die neunjährige Benni vom verzweifelten Stiefvater in einen Kleiderschrank bugsiert. Dort fängt sich das Mädchen ganz allmählich, das Kinopublikum sieht sie im Dunkeln, hört ihr erschöpftes Schnappen nach Luft – eine von vielen eindrucksvollen Szenen in Nora Fingscheidts Kinodrama &bdquo;Systemsprenger“ von 2019. Zum internationalen Erfolg des Films über ein traumatisiertes Mädchen, das mit all seiner Kraft zurückschlägt, trägt das markante Sounddesign bei, die Bearbeitung der Tonebene in der &bdquo;Post-Produktion“. Fünf Tonschaffende erhielten dafür 2020 den Deutschen Filmpreis. Unter ihnen der gebürtige Bielefelder Gregor Bonse. Für den Absolvent der renommierten Filmuniversität Babelsberg, der 2006 am Bodelschwingh-Gymnasium sein Abitur gemacht hatte, ein großer Erfolg. Geräusche transportieren die Emotionen der Figuren Einer, auf den der 35-Jährige in diesem Jahr nochmals draufsatteln konnte: Neben Jonathan Schorr, Dominik Leube und John Gürtler konnte Bonse wiederum den Deutschen Filmpreis für die beste Tongestaltung entgegennehmen. Für den in der ostdeutschen Provinz spielenden Arthouse-Streifen &bdquo;Niemand ist bei den Kälbern“. Dieses Mal, freut sich Bonse im Gespräch mit nw.de, im Unterschied zur lediglich digital verliehenen Auszeichnung im Coronajahr 2020, direkt im &bdquo;eleganten Ambiente“ des Palais am Funkturm in Berlin. Vor vielen Filmschaffenden und begeisterten Cineasten. &bdquo;Das läuft wie bei den Oscars“, erklärt er, &bdquo;man ist nominiert, sitzt nervös im Auditorium.“ Dann komme die Nachricht, dass man gewonnen habe und auf der Bühne die Goldene Lola in Empfang nehmen darf. &bdquo;Das ist ein schönes Erlebnis und zugleich surreal. Man bewegt sich wie benommen auf die Bühne zu und hält seine Rede“, erinnert sich der Bielefelder an den großen Moment am 24. Juni. Mit 10.000 Euro ist der Preis dotiert, geteilt wurde er durch vier. Wesentlich schwerer wiegt sein Renommee, der einhergehende berufliche Rückenwind. Alle vier Preisträger arbeiten als Tongestalter, sie wirken im Team an der Tonspur des Films. Gregor Bonses Arbeit als sogenannter &bdquo;Mischtonmeister“ beginnt aber dann, wenn die anderen fertig sind: &bdquo;Der Film ist in all seinen Facetten vertont, alles erklingt gleichzeitig und oft gleichberechtigt: Der szenische Dialog, die Geräusche der Figuren, ihre Schritte, das Knarzen ihrer Lederjacken, Vordergrund und Hintergrund des Ortes, Musik, die entweder in der Szene spielt oder als Filmscore von außen kommentiert“, beschreibt Bonse das Vorgehen. Ton transportiert Atmosphäre, zeichnet Charaktere nach Es sei dann wie beim Malen: &bdquo;Alle Farben gleichzeitig ergeben Braun. Da erzählt sich wenig, es sei denn, genau dieses Braun ist die Absicht. In der Mischung geht es aber darum, mit den Farben zu malen“, beschreibt er bilderreich den kreativen Vorgang. Bei &bdquo;Niemand ist bei den Kälbern“ habe das Team es so empfunden, &bdquo;dass das Zusammenspiel aus zirpenden, schrillen Insekten mit einem entfremdeten Wummern, einem Puls der Windräder etwas von Christins Emotionalität erzählt“. Das habe mit der Realität wenig zu tun, transportiere aber im besten Falle die beklemmende Atmosphäre, die die Protagonistin empfindet, so wie im Buch die Worte. Ton, so Bonse, sei ein oft unterschätztes filmisches Mittel, das im Verborgenen wirke: &bdquo;Die Zuschauer denken, sie schauen vor allem zu. In Wahrheit hören sie aber genauso viel.“ Sein Interesse an Ton und Musik hat Gregor Bonse früh entwickelt – im Musik-LK an der Schule, als Gitarrist in der Bielefelder Schülerband &bdquo;Noselip“, als Mitglied der Bigband seiner Schule. Nach dem Abi 2006 folgte ein Freiwilligendienst, das so genannte &bdquo;Betheljahr“. Er bekam die Gelegenheit, es in der Theaterwerkstatt Bethel zu absolvieren – was ihm Erfahrungen im Umgang mit theatraler Kunst und ihren Gewerken, zu denen Vertonungen gehören, einbrachte. &bdquo;Man muss eine Art musikalische Grundhaltung und Ästhetik mitbringen, wenn man mit Sound im Film arbeiten will“, ist er überzeugt. Auf Anhieb die Aufnahmeprüfung für Babelsberg geschafft zu haben, sei schwer gewesen. Die Hochschule sei eine der besten, fördere eine Art von kreativer Originalität. Sie ist zudem ein Sprungbrett. »Dieser magische Moment ist das Größte« Sounddesign studierte er auf Diplom, schloss als Dipl.-Tonmeister ab. Zwischendurch assistierte er bei zwei Kinomischungen in Brasilien. Nach einigen Jahren der Selbstständigkeit arbeitet Bonse seit 2016 für die Produktionsfirma Rotor Film, einen führenden Anbieter in der Bild- und Ton-Postproduktion auf dem Gelände der damaligen UFA, später DEFA, in Potsdam Babelsberg, wo schon Fritz lang seinen Klassiker &bdquo;Metropolis“ inszenierte. In der Kooperation mit Regisseuren unterscheidet er grob zwischen jenen, die dem &bdquo;Hitchcock-Prinzip“ anhängen – will heißen, alles ist exakt definiert. Und jenen des &bdquo;Scorsese-Prinzips“, bei dem sich der Sounddesigner stärker einbringen könne. &bdquo;Beides hat seine Vorzüge.“ Und wenn er auch an großen TV-Serien (&bdquo;Bad Banks“, demnächst die Schätzing-Verfilmung &bdquo;Der Schwarm“) mitwirkt – sein Herz schlägt für das Kino, den Independent Film. &bdquo;Dieser magische Moment, in dem man die Reaktionen des Publikums bei der Premiere hautnah miterleben kann, ist das Größte“, schwärmt er. Berlin schätzt er als Arbeits- und Lebensort. Allerdings zieht es ihn der Familie wegen immer wieder an den Teuto. &bdquo;Ich kenne in Berlin inzwischen mehr Bielefelder als in meiner Heimatstadt“, erzählt er. Man stolpere dort immer wieder über eine &bdquo;Bielefelder Blase“. Selbst beim WG-Casting stammte die ausgewählte Mitbewohnerin aus Paderborn: &bdquo;Irgendwie erkennt man sich unter Ostwestfalen“, sagt der Wahlberliner.

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