Überraschende Fakten über das Mittelalter

Bielefeld. An der Sparrenburg wird in diesen Tagen das Mittelalter zelebriert. Es ist &bdquo;Sparrenburgfest“. Über die Epoche zirkulieren einige Klischees. Doch wie war es damals wirklich, wie sah es in Bielefeld aus? Stadthistoriker Reinhard Vogelsang hat dazu Bücher geschrieben. Sie sind aufschlussreich. Manche Fakten sind überraschend. Historiker teilen die Zeit in Epochen ein und geben diesen gerne Namen. Die Spanne vom Jahr 800 bis zur Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492 gilt als das Mittelalter – die Epoche davor heißt Antike, die folgende Neuzeit. Fakt ist – obwohl es oft falsch gemacht wird – also: Martin Luther und Galileo Galilei, Hexenverbrennungen und Dreißigjähriger Krieg zählen zu den Ereignissen der Neuzeit, nicht zum Mittelalter. Das Wetter Über das Mittelalter gibt es einige Klischee-Vorstellungen, etwa, dass es damals vor allem kalt, feucht und dunkel war. Das ist jedoch mit großer Sicherheit falsch. Es war nicht kalt, im Gegenteil. Wer am Wochenende zum Mittelalterfest geht, erlebt bei Temperaturen um die 25 bis 30 Grad Celsius vermutlich authentische Bedingungen. Denn damals, etwa um das Jahr 1000 beginnend, gab es laut Klimaforscher eine lang anhaltende Wärmephase, die fast bis zum Jahr 1500 dauerte. Weinanbau bis zum Breitengrad von Hamburg soll möglich gewesen sein, Grönland erhielt seinen Namen nach der vorherrschenden Farbe, die dort zu sehen war: Grünland. Am Teuto wird es daher ziemlich warm gewesen sein. Die Besiedlung Bielefeld gab es die ersten 400 Jahre im Mittelalter gar nicht. Bekannt ist nur, dass Anfang des 11. Jahrhunderts lediglich ein paar Höfe auf dem heutigen Gebiet Bielefelds standen. Typisch für die Gegend war das &bdquo;Haufendorf“, eine Ansammlung mit bis zu 50 Bewohnern. Städtisches Leben entstand Anfang des 13. Jahrhunderts, als der Graf von Ravensberg, Hermann sein Name, seinen Machtbereich auszudehnen pflegte und die Nähe der Kreuzung zweier Handelsrouten am Durchlass im Osning – also dem &bdquo;Loch“ im Teutoburger Wald – als geeigneten Platz auswählte: das heutige Altstadt-Areal. 1214 kam es laut Geschichtsschreibung zur Stadtgründung. Die Burg In den ersten Jahrzehnten des Aufstiegs Bielefelds zur Stadt gab es die Burg noch nicht. Laut Historiker Vogelsang ist es wahrscheinlich, &bdquo;dass mit dem Bau der Burg erst in den 40er Jahren des 13. Jahrhunderts begonnen wurde“. Die erste sichere Nachricht von ihrer Existenz ist in einer Urkunde aus dem Jahr 1256 zu finden. Die Burg war Verwaltungsmittelpunkt, Sitz des Amtmanns, Wohnsitz des Landesherrn und seines Gefolges sowie durchziehender herzoglicher Räte. Im Mittelalter war sie deutlich kleiner als heute, unter anderem die Rondelle entstanden erst später. Dafür gab es Ställe für das Vieh. Das Geld Der Graf war clever genug zu erkennen, dass er an Handelsrouten abkassieren kann. Und das tat er. Er genehmigte sich das &bdquo;Zollrecht“, verlangte also eine Gebühr für die Passage von den Händlern auf den Routen zwischen Rheinland und Ostsee, zwischen Münster und Magdeburg. Das Geld floss in seine Taschen und in die junge Stadt, wo Münzen geprägt werden durften, damit auch in Bielefeld ein lukrativer Handel – mit Steuererhebungsmöglichkeiten – entstehen konnte. Gezahlt wurde mit halben und ganzen Silberpfennigen. Das hat ganz gut geklappt. Jedenfalls gewann die junge Stadt an Attraktivität dazu. Leute von außerhalb suchten in ihr das Glück. Die Bielefelder Kaufleute und Handwerker zogen her. Nachweislich kamen einige Familien aus Münster, angelockt von den beruflichen Freiheiten, die Bielefeld bot. Andere mit Namen wie Egbert von Gütersloh, Werner von Schildesche oder Hildebrand von Werther waren ebenso dabei. Wie viele Menschen genau in Bielefeld im frühen 13. Jahrhundert wohnten, ist nicht letztendlich geklärt. Die Annahmen beginnen bei 1000. Stadthistoriker Reinhard Vogelsang geht eher von 3.500 aus. Das Volk Die Stadt war aber keinesfalls eine reine Kaufleute-Ansammlung. Sie war auch für viele andere attraktiv, versprach sie doch Möglichkeiten für den Aufstieg auf der sozialen Leiter. Laut Vogelsang bestand das Volk zur Hälfte aus Handwerkern, es gab eine kleine Schicht wohlhabender Kaufleute, deutlich mehr Krämer und Höker, also Händler, die mit dem Verkauf von Gebrauchsgegenständen und Lebensmitteln zu Geld kommen wollten, sowie Knechte, Mägde und Tagelöhner. Ganz oben stand der Graf, zu seiner Seite standen die Adeligen, die wichtige Posten in Rat, Verwaltung und Justiz besetzten und von den Abgaben der Höfe lebten. Bauern lebten außerhalb der Stadt auf der Feldmark und hatten zu liefern, damit alle satt werden. Die Religion Die alten germanischen Götter hatten wohl schon weitgehend abgedankt, als sich Bielefeld auf der Landkarte etablierte. Die Christianisierung setzte mit Beginn des Mittelalters voll ein. Der Adel war der erste, der sich dem Glauben der fränkischen Eroberer anschloss. In &bdquo;zäher Bekehrungsarbeit“, wie Vogelsang schreibt, wurde auch das Volk &bdquo;überzeugt“. Der Adelige Waltger von Dornberg war der erste, der bekehrt vom fränkischen König Karl zurückkehrte und ein Monument auf dem Gebiet des heutigen Bielefelds baute: die Peterskirche in Kirchdornberg. Sie geht auf die Zeit um das Jahr 800 zurück, 400 Jahre vor Stadtgründung. Essen und Trinken Die Feldmark, also das Gebiet um die Stadt herum, bestand aus Äckern, Wiesen, Weiden und Wald. Sie waren Quellen der Nahrung. Schafe, Schweine und Ziegen wurden gegessen, Getreide, Gemüse und Hülsenfrüchte wurden angebaut. Und dann gab es noch die Fischzucht, wichtig vor allem in der religiösen Fastenzeit. Überliefert ist zudem die Produktion von Honig im und um das mittelalterliche Bielefeld. Keine gesicherten Erkenntnisse gibt es darüber, was die Bielefelder aus den Produkten zauberten. Klar ist nur: Die Kartoffel war noch nicht angekommen in Europa. Sie kam erst in der Neuzeit. Das Privatleben So wie wir es heute kennen, gab es das vermutlich nicht. Alle Bürger waren fest eingebunden in Strukturen: Gilden, Verbände, Stände. Enge und Zwänge ließen wohl kaum Raum für Individualität oder gar Anonymität. Kriege und Krankheiten Die rund 300 Jahre Mittelalter, in denen es Bielefeld gab, verliefen für die Stadt günstig. Sie entwickelte sich stetig, wie es sich Gründer Graf Hermann wünschte, auch weil sie von größeren Fehden und Kriegen verschont blieb. Eine Pandemie jedoch zog sicher auch durch Bielefeld eine Todesschneise. Der großen Pestwelle um 1350 fielen ein Drittel der Europäer – gut 25 Millionen – zum Opfer.

Meistgelesen