„Der Körper als Gefängnis“: Wie eine Bielefelderin mit der unheilbaren Krankheit ALS lebt

Bielefeld. Als Menschen in aller Welt 2014 begannen, sich Kübel mit Eiswasser über den Kopf zu schütten, ging es Elke Schneider (*Name geändert) noch gut. Heute lebt die Bielefelderin mit der Krankheit ALS, auf die mit der &bdquo;Ice-Bucket-Challenge“ aufmerksam gemacht werden sollte. Die Erkrankung schwächt ihre Muskeln so stark, dass die Diplom-Psychologin ohne Hilfsmittel kaum noch sprechen oder sich bewegen kann und künstliche Ernährung benötigt. Was es heißt, mit Amyotropher Lateralsklerose klarzukommen, macht sie mit einem sehr persönlichen Auftritt beim 1. OWL-ALS-Tag in Bielefeld deutlich. ALS ist eine unheilbare, schwere Erkrankung des motorischen Nervensystems, deren Ursache weitgehend unbekannt ist. Überwiegend sind 50- bis 70-Jährige betroffen. Die Verbindungen zwischen Nervenzellen und Muskeln werden zerstört, wodurch Bewegungssignale kaum oder gar nicht mehr übertragen werden können. Bewusstsein und Denkvermögen bleiben in der Regel erhalten. Die Betroffenen erleben hautnah mit, wie ihr mehr und mehr versagender Körper zum Gefängnis wird. Im Schnitt sterben ALS-Kranke drei bis fünf Jahre nach der Diagnose an Atembeschwerden. Elke Schneider erlebte vor drei Jahren die ersten Symptome, doch die heute 64-Jährige hatte für die Schwächen ihres Oberschenkels keine Zeit. Sie hatte in ihrem eigenen Unternehmen zu viel zu tun mit Beratung, Coaching, Kommunikation und Unternehmensberatung. Vor zwei Jahren fingen bei der Bielefelderin Sprachprobleme an Doch vor zwei Jahren fingen die Sprachprobleme an. &bdquo;Ab da an wurde es gefährlich, weil ich doch so viel sprechen musste“, erzählt die Bielefelderin dem (Fach-)Publikum im PVM-Gesundheitszentrum am Südring. Die Idee zu der Veranstaltung hatten der Selbsthilfeverein &bdquo;Chance zum Leben-ALS“ mit Sitz in Enger und die Deutsche Fachpflege (DFG), ein Verbund von mehr als 80 Pflegediensten in ganz Deutschland. Elke Schneiders Stimme klingt heute so, als hätte sie einen überdimensionalen Kloß im Hals, an dem sich die Silben vorbeiquetschen müssen. Dieses Bulbärsprache genannte Symptom kommt auch nach Schlaganfällen vor. Ihre Sprachtherapeutin Nicola Gronemeyer, die sie an diesem wichtigen Tag begleitet, kann sie noch weitgehend verstehen. Dass auch die übrigen Besucher und Aussteller wissen, was die 64-Jährige über den Umgang mit ALS-Kranken zu sagen hat, ist einem im Video festgehaltenen Interview zu verdanken. Eine Studentin der Klinischen Linguistik der Uni Bielefeld hat es mit Elke Schneider geführt. Die Antworten auf die Fragen hat die 64-Jährige überwiegend mithilfe eines Sprachcomputers vorbereitet, der KI-generiert mit ihrer Stimme spricht. Elke Schneider war so vorausschauend, diese 2024 rechtzeitig konservieren zu lassen. Hoffnung: ALS – Wie Patienten der unheilbaren Krankheit trotzen Nicht mehr essen zu können, ist &bdquo;schwerer Verlust an Lebensfreude“ Im Gesundheitszentrum ist es mucksmäuschenstill, als sie davon erzählt, wie ALS ihren Alltag übernommen hat, wie fehlende Sprachfähigkeiten und &bdquo;ständiges Gesabber“ Kundenkontakte unmöglich machten. Wie sehr sie es vermisst, zu kochen und zu essen. &bdquo;Ein schwerer Verlust an Genuss und Lebensfreude“, sagt sie. Aktuell lebt die 64-Jährige noch in ihrer eigenen Wohnung, in einer WG mit einem Mitbewohner. Was die Psychologin ebenfalls schmerzlich vermisst, ist &bdquo;die schnelle Kommunikation, bei der die Gedanken in Wallung kommen“. &bdquo;So unterhalte ich mich jetzt mehr mit mir selbst.“ Wobei sich die 64-Jährige über einen Freundeskreis glücklich schätzt, der mit ihr wegfährt, ins Theater oder ins Konzert geht. Zum Thema: Große Spendenaktion – Ex-Fußballerin an ALS erkrankt Bielefelder ALS-Kranke fordert Respekt Was die ALS-Kranke wirklich verabscheut: Dass auch vermeintliche Profis, beispielsweise in der Pflege oder bei Krankenkassen, &bdquo;mit mir sprechen, wie mit einem Kleinkind“. &bdquo;Ich erwarte eine ebenso differenzierte Sprache, wie ich sie auch beherrsche“, sagt Elke Schneider deutlich. Es sei &bdquo;Stress und Enttäuschung pur“, wenn die Leute keine Zeit und Lust hätten, zu warten, bis sie mit dem Tippen auf ihrem Sprachcomputer oder auf dem Handy fertig ist. Oftmals agierten Ansprechpartner oberflächlich, seien über die Krankheit nicht ausreichend informiert. Die Diagnose ALS sei wahrlich schwer genug, daher wünsche sie sich einen respektvollen Umgang. Beim 1. OWL-ALS-Tag, der eine Fortsetzung finden soll, wie PVM-Chef Markus Wendler betont, geht es um die Vorstellung des Vereins &bdquo;Chance zum Leben“ und sein Hilfsangebot. Um das, was 24-Stunden-Intensivpflege für Betroffene und Pflegedienstmitarbeiter bedeutet. Davon erzählt für die DFG Susan Mross von &bdquo;Bonitas“ in Herford. Es geht in kleinen Vorträgen um Versorgungsansprüche und Hilfsmittel, Ernährungsunterstützung, ums Netzwerken. Martina Neubauer ist Vorsitzende des bundesweit tätigen ALS-Vereins, der rund 85 Mitglieder hat. Der Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, Betroffene und Angehörige auf ihrem Weg zu unterstützen. Es werden Spenden gesammelt, um unbürokratische Hilfe zu leisten. &bdquo;Denn mit den Krankenkassen ist es echt ein Kampf“, sagt die 64-Jährige, die dafür angesichts des bekannten Verlaufes von ALS kein Verständnis hat. ALS-Forschung wegen niedriger Fallzahlen nicht lukrativ Und es gilt, weiter auf die Krankheit aufmerksam zu machen, von der laut Neubauer derzeit bundesweit 8.000 bis 10.000 Menschen betroffen sind. Leider zu wenig, um für die Forschung wirklich lukrativ zu sein, wie der Verein erklärt. Lesen Sie auch: Schauspieler Eric Dane spricht über seine ALS-Erkrankung Daher sei es gut, sagt Neubauer, dass in jüngster Zeit immer mehr Prominente ihre Erkrankung öffentlich machen. So wie erst kürzlich der US-Schauspieler Eric Dane, bekannt durch Serien wie &bdquo;Grey’s Anatomy“ und &bdquo;Euphoria“. Symbolfigur der Krankheit ist indes der amerikanische Astrophysiker Stephen Hawking, der nach seiner Diagnose 1963 mehr als 50 Jahre mit der Krankheit gelebt hat und 2018 verstorben ist. &bdquo;Vielleicht“, sagt Elke Schneider, &bdquo;schaffen es nicht alle, den Weg mit mir zu Ende zu gehen. Aber ich werde nie vergessen sein.“ Mit den zunehmenden Einschränkungen lerne sie zugleich immer mehr über das Leben, sagt die Psychologin. &bdquo;Was ich über das Sterben lernen werde, steht noch in den Sternen.“ Weitergehendes: Vielfältige Informationen, Buchempfehlungen, Videos und Filme über die tödliche Krankheit finden sich in der ALS-Bibliothek und im kompakten Handbuch der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM).

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