Bielefelder Spitzenkoch tischt in Berlin groß auf

Bielefeld. Als Richard Reichelt zum ersten Mal von "Lutter & Wegner" hörte, hatte er überhaupt keinen Bezug zu dem Namen. "Doch ich habe schnell begriffen, dass ich dort in nicht so kleine Fußstapfen trete", erzählt der Bielefelder. Inzwischen gehört ihm das Restaurant in Berlin-Charlottenburg. Nun heißt es "1811". Wer ist dieser 32-Jährige, der sich nach seiner Ausbildung bei Spitzenkoch Bernhard Grubmüller im "Tomatissimo" nach Berlin aufmachte, um in die Sterneküche reinzuschnuppern? Der in Hoberge aufwuchs, beim BBTC Tennis und beim TuS Hoberge-Ueren-trup Fußball spielte und als Schüler des Ratsgymnasiums irgendwann keine Lust mehr aufs Lernen hatte? "Ich wollte lieber im Handwerk arbeiten, sichtbare Ergebnisse abliefern können", erzählt er. Damals hatte er gerade ein Schülerpraktikum im "Tomatissimo" hinter sich. Die Leidenschaft fürs Kochen, seine "Affinität zu gutem Essen" und die Bereitschaft, abends zu arbeiten ("Da bin ich kreativer") – ideale Voraussetzungen für eine Karriere in der Gastronomie. Aus 300 Komponenten entstehen zwei Achtgänge-Menüs Mit Praktika-Nachweisen bei Fleischer Kohlstedde, im Café Knigge und auf einem Weingut in Worms unterschrieb er den Ausbildungsvertrag bei Bernhard Grubmüller. "Ein mega gutes Handwerk" habe er dort gelernt. Bei der Abschlussprüfung kassierte der junge Koch 98 von 100 möglichen Punkten. Sein nächstes Ziel: Die Sterne-Gastronomie, möglichst in Städten wie München, Hamburg oder Berlin. Er landete in der Hauptstadt. Seine erste Festanstellung bekam er im inzwischen geschlossenen Sternerestaurant "Margeaux". Reichelt überzeugte bei seiner Bewerbung mit zwei Acht-Gänge-Menüs aus 300 unterschiedlichen Komponenten, eins davon konventionell zubereitet, das andere vegetarisch. "Margeaux"-Chef Michael Hoffmann galt als Vorreiter einer nachhaltigen Küche und Spezialist für Kräuter, Gemüse und Pflanzen aus eigenen Beeten. Mit zwölf Kollegen stand der Bielefelder am Herd, dazu kam die Arbeit im Garten. Zwölf-Stunden-Tage waren normal. "Nach einem Jahr war ich fertig, ich konnte nicht mehr", sagt Reichelt. Er verabschiedete sich aus der Spitzengastronomie. Unterschiedliche Jobs folgten, in einer Kochschule mit geregelten Arbeitszeiten, als Burger-Brater in der bekannten Streetfood-Markthalle "Neun" und später als Küchenchef in einem schwäbisch geprägten Lokal. Irgendwann erhielt er dort per WhatsApp die Kündigung. Kurz darauf kam Corona – und lange Zeit nichts. Bis ihm ein alter Freund vorschlug: "Wir sollten etwas gemeinsam machen." Beide begaben sich auf die Suche, besichtigten geschätzt 40 Immobilien, bis sie "Lutter & Wegner seit 1811" entdeckten. Das holzvertäfelte Restaurant im bürgerlichen Stadtteil Charlottenburg gilt als Kultlokal. Der Schriftsteller und Komponist E.T.A. Hoffmann ging hier schon ein und aus, heute gehören Politiker und prominente Künstler zu den Stammgästen. Ihre Namen verrät Reichelt allerdings nicht. &bdquo;Ich bin Koch und Gastronom, kein Promijäger.“ Jeder Kunde werde gleich behandelt. Der Großteil des Stammpublikums seien jedoch Menschen aus der Nachbarschaft, meist schon über 50. &bdquo;Einige gehen hier seit mehr als 40 Jahren ein und aus.“ Kürzlich, so viel plaudert er dann doch aus, habe der frühere Bundespräsident Horst Köhler (2004 bis 2010) mal reingeschaut. Seit der Eröffnung Anfang 2022 hat sich viel getan im Restaurant unweit des Kurfürstendamms. Früher kam traditionelle Hausmannskost auf den Tisch, deutsch-österreichisch geprägt. "Als ich dann begann, die Karte neu zu schreiben, war mir klar, dass ich nicht weitermachen konnte wie mein Vorgänger", so Reichelt. Blutwurst, Sauerkraut und Kartoffelstampf aus vorgefertigten Zutaten, das wollte er nicht. »Alles, was wir aufden Tisch bringen, ist handgemacht« Sein Credo lautet vielmehr: "Alles, was wir auf den Tisch bringen, ist handgemacht." Bodenständig sollte die Küche dabei auch bleiben, "mit Wurzeln bei Oma". Allerdings alles leichter, moderner. Das 200-Gramm-Schmorstück gibt es nicht mehr. "150 Gramm sind auch okay. Dann bleibt etwas Platz für eine Vorspeise oder ein Dessert", begründet der Koch seine Entscheidung. Den beliebten Sauerbraten gibt es weiterhin. Allerdings mit handgerollten Schupfnudeln statt vorgefertigter Klöße. Sogar ostwestfälischer Kartoffelpickert steht gelegentlich auf der Karte – mit ungewöhnlichen Beilagen wie Gänseleber-Parfait. Wobei der Maître zugibt: "Es war am Anfang nicht leicht, die Menschen mitzunehmen. Die Charlottenburger sind in einem Punkt den Bielefeldern sehr ähnlich, sie tun sich mit Veränderungen schwer."

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