Die Kesselbrink-Reportage aus Bielefeld: Sommer, Sounds und Scherben

Bielefeld. Junge Frauen mit Kopftuch und Punks mit – ziemlich fusseligem – Irokesen-Kamm. Kiddies, die sich von ihrem Hündchen über den Platz ziehen lassen und Pfandpiraten auf der Suche nach Beute. Sie alle weichen den Seifenblasen aus, die irgendjemand in den Himmel über dem Kesselbrink pustet. Ein milder Abend, einladend, ein fröhliches Happening. Ein älteres Paar auf der Durchreise stoppt vor dem Grünen Würfel die E-Bikes: &bdquo;Was ist hier denn los?“ Das Bielefelder Duo &bdquo;Local Shop“ unterhält etwa 200 Musikfreunde mit gefälligem Hip Hop und Pop. Wie jeden Mittwoch hat die Agentur Newtone den Kesselbrink für sich in Beschlag genommen, nachmittags Kinderkonzerte und abends Rock, Singer/Songwriting und Rap auf der Terrasse des &bdquo;Grünen Würfels“. &bdquo;Auch wenn Sie es nicht vermuten, wir sind die Guten“ &bdquo;Letztes Jahr haben wir noch ’ne Bühne aufgebaut neben dem Würfel. Aber dann kam Carsten Münch von &bdquo;Keimzeit“ auf uns zu und bot uns seine Terrasse an. Und hier haben wir alles: Strom, Catering, einen Backstage-Bereich und wenn es regnet sogar ein Dach überm Kopf“, zeigt sich Newtone-Chef Tom Kummerfeldt begeistert von diesem Synergie-Effekt. Seine Konzertreihen &bdquo;Summer Soundz“ und &bdquo;Kessel Kidz“ sind somit, im wahrsten Sinne des Wortes, in trockenen Tüchern. Einer der beiden Punks mit der bunten Haarpracht, die auf einer kleinen Kunstrasen-Bodenwelle thronen und &bdquo;Local Shop“ nur wenig Beachtung schenken, trägt auf der Rückseite seines T-Shirts die Aufschrift: &bdquo;Auch wenn Sie es nicht vermuten, wir sind die Guten“. Weniger gute Nachrichten beherrschen den Kesselbrink seit seiner &bdquo;Inbetriebnahme“ (im nächsten Sommer ist das zehn Jahre her). Drogenkriminalität, blutige Scharmützel mit Messern und Scherben sowie die notorisch durstige Alkoholikerszene, die sich auf dem &bdquo;Sonnendeck“ (Spitzname von Carsten Münch) neben dem Grünen Würfel breit macht, sorgen immer wieder für negative Nachrichten. "Hier in der Innenstadt sind schöne Spielplätze rar gesät", sagt eine Mutter Mit entsprechender Außenwirkung: &bdquo;Natürlich habe ich hier Angst, dass mein Sohn hier in Scherben tritt oder gebrauchte Spritzen findet“, gibt Sinja offen zu, während sie ihren zweieinhalbjährigen Sohn Keno zuschaut, der sein Bobbycar mit großem Spaß quer durch die Wasserfontänen zwischen Sonnendeck und Würfel steuert. Sie ergänzt: &bdquo;Aber hier in der Innenstadt sind schöne Spielplätze rar gesät – der am ’Schlößchen’ vielleicht noch“. Keno interessiert sich nicht für das Live-Konzert der Kindermusikerin Faryna, die in Hörweite zwei Dutzend Knirpse von der Terrasse des Würfels aus bespaßt. Agreement mit der Alkoholikerszene Der T-Shirt-Aufdruck des Punk wird durch die positiven Erkenntnisse des Pädagogen und Pächter des Bistros &bdquo;Keimzeit“ im Grünen Würfel, Carsten Münch, irgendwie bestätigt: &bdquo;Wir kommen mittlerweile mit den Trinkern nebenan gut zurecht, auch wenn sie eine abschreckende Wirkung beim Publikum erzielen“. Münch hat hierarchische Strukturen in der Alkoholikerszene ausgemacht und schnappt sich, wenn nötig, den Rädelsführer. &bdquo;Wir haben ein Agreement: Sobald der Vorhang am Eingang zugezogen ist, dürfen sie sich auf die schattigen Treppenstufen setzen. Daran halten sie sich auch – diszipliniert!“. Münch weiß auch von einer gewissen Kontrolle seitens der Trinker zu berichten: &bdquo;Die harten Drogenabhängigen und Koks-Dealer von der Tüte am Bahnhof kriegen hier kaum einen Fuß auf dem Kesselbrink“. So ist gebrauchtes Spritzbesteck eher selten zu finden. Aber konsumiert wird eben überall in einer Großstadt wie Bielefeld. &bdquo;Dieser Platz ist statistisch betrachtet kein Brennpunkt für Kriminalität“, bricht Münch eine Lanze für den Kesselbrink und wenn doch etwas passiert hat er einen kurzen Draht zur Polizeidienststelle am anderen Ende des Platzes. Zum Thema:Stellungnahme des Bielefelder Sozialdezernenten zum Kesselbrink: Die nicht integrierten Menschen sind das Problem Events stärken die Akzeptanz des Kesselbrinks bei den Bielefeldern Für Münch ist dieser Platz gut abgesteckt. Auf einer Seite die Sportler an den gelbrohrigen Calisthenics-Geräten, am anderen Ende die Skater, auf dem welligen Kunstrasen machen es sich viele Mütter mit ihren Kleinkindern gemütlich und auch die Wasserspiele sind ein Publikumsmagnet an heißen Tagen. &bdquo;Sein“ Grüner Würfel hat zudem viele niederschwellige und kostenlose Angebote für alle. &bdquo;Wir bieten in Kooperation mit der Betheler Beschäftigungsfirma &bdquo;Prowerk“ Arbeitsplätze für zwölf Menschen an. Zahlreiche Initiativen, Vereine und Organisationen tagen in unseren Räumen und auf dem Dach des Würfels können Kindergartenkinder ihrem Gemüse und Obst beim wachsen zuschauen. Unsere Altersspanne reicht von zwölf bis etwa 60 Jahren. Das alles bildet die Klientel der Kesselbrink-Besucher ganz gut ab, wie eine Blaupause“. Münch erinnert sich an das große Open Air-Konzert vor gut einer Woche mit 2.000 Gästen auf dem Platz. &bdquo;Da waren gänzlich andere Besucher da, aber so ein Konzert ist auch ein Türöffner für uns“. Ein Event, das die Akzeptanz des Kesselbrink bei den Bielefeldern stärkt. &bdquo;Local Shop“ haben Platz gemacht für die Rock-Formation &bdquo;Escaping lizards“, das bunte Treiben auf dem Kesselbrink geht bis in den Abend. Vier junge Damen spielen Doppelkopf während die Gitarren heulen, der kleine Ahmed will zum Vergnügen des Quartetts mitspielen, kennt die Regeln aber nicht. &bdquo;Hier ist es echt und authentisch, hier ist Leben“ In Hörweite der Gitarren üben sich einige Passanten im Seilchen springen, Aktivisten der evangelistischen Gruppe &bdquo;City Outreach“ sind dort mit Hüpfseilen und Musikinstrumenten im missionarischen Einsatz. &bdquo;Wir sind die, die da sind“, reißt Petra Bojahn von &bdquo;City Outreach“ ihre Arbeitsplatzbeschreibung kurz an und sie erklärt, warum sie auf dem Kesselbrink aktiv sind: &bdquo;Hier ist es echt und authentisch, hier ist Leben“.

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