Bielefeld Furchtbare Zustände: 120 Streunerkatzen in Bielefelder Kleingartenanlage

Bielefeld. Streunende, magere Katzen und räudige Straßenköter - wer daran denkt, hat vermutlich direkt Bilder aus Süd- und Osteuropa im Kopf. Gibt es doch in Deutschland nicht, wo Tierliebhaber rund 5,5 Milliarden Euro allein für Futter ausgeben. Florence Köster kann bei so einem Satz nur müde lächeln. Zwar gibt es bei uns keine Straßenhunde, aber streunende Katzen zu Genüge. Allein in einer Kleingartenanlage im Bielefelder Süden versorgt sie rund 120 wild lebende Katzen und hat dabei ein großes Ziel - auch wenn das für die Katzen bedeutet, ein Stückchen vom Ohr zu verlieren. Die Schrebergartenkolonie ist eine Oase, gerade im Mai, wenn alles Grün in vollem Saft steht, in den Beeten Kräuter, Kartoffeln und Gemüse wachsen, Grillgeruch über die Hecken wabert, die hier nicht mit dem Lineal geschnitten sind. Doch die Idylle in den 50 kleinen Gärten bekommt manchmal tierische Macken, die teils schwer auszuhalten sind. Florence Köster, die im Tierschutzverein Bielefeld aktiv ist, fällt eine Episode aus dem Vorjahr ein: Eine der streunenden Katzen war offenbar mit einer Pfote in einem Zaun hängen geblieben und hatte sich das Nervengeflecht im Lauf schwer verletzt. Um sich zu befreien, habe sich das Tier einen Teil des Beins fast abgekaut, es hing aber weiterhin am Körper. "Es hat Wochen gedauert, sie zu fangen", schildert die 32-Jährige. Das Gewebe sei derweil abgestorben und der Veterinär im Tierheim habe amputieren müssen. "Ein Wunder, dass sie überhaupt überlebt hat." Ein anderes Mal sei ein Kater in seinem eigenen Blut liegend in einem Garten gefunden worden. Er hatte innere Verletzungen. Regelmäßig, auch im Winter würden Würfe neugeborener Kitten entdeckt, die von der Mutter offenkundig nicht versorgt werden. "Vielleicht", sagt Florence Köster, "ist sie zu unerfahren, an Krankheiten gestorben oder im Verkehr überfahren worden." In solchen Fällen rufen die Pächter im Bielefelder Tierheim oder bei Florence Köster direkt an. Mittlerweile werfen die Katzen nicht mehr nur im Frühjahr oder Herbst, sondern fast das runde Jahr. Tierschutz fordert Verlängerung der Kastrationspflicht Vor fünf Jahren etwa, schildert die Tierschützerin, seien die ersten Anrufe gekommen, dass es in der Kleingarten-Anlage im Bielefelder Süden eine große Katzenpopulation gibt. Von da an habe der Kampf gegen die Vermehrung begonnen. Fangen, kastrieren, Ohr sichtbar markieren (in dem ein Stück gekappt wird) - das ist der Basis-Dreiklang. Nach Kastration und gegebenenfalls weiteren nötigen Behandlungen werden die Katzen wieder in der Schrebergartenanlage ausgesetzt. Denn die scheuen Tiere lassen sich selten als Hauskatze (re-)sozialisieren. Allenfalls bei Jungtieren gelinge das. "Ich habe in den vergangenen beiden Jahren, die ich hier aktiv bin, allein 85 Katzen gefangen", schildert die 32-jährige, die Lehrerin von Beruf ist. Dass es im Laufe der Zeit so viele geworden sind, habe mit der Unvernunft der Menschen zu tun. "Unkastrierte Freigänger-Katzen können in fünf Jahren bis zu 1.000 Nachkommen zeugen", erzählt Köster. Leider käme es auch immer wieder vor, dass unkastrierte Katzen gezielt in den Schrebergärten der Stadt ausgesetzt würden, vielleicht um der in Bielefeld bestehenden Kastrationspflicht und den Kosten von rund 100 bis 120 Euro zu entgehen. Dabei biete das Tierheim jedes Jahr Unterstützung an. Darum sei es so wichtig, betont Helmut Tiekötter, Vorsitzender des Tierschutzvereins Bielefeld, dass die im kommenden Jahr auslaufende Katzenverordnung verlängert werde, die die Kastration und Kennzeichnung von Freigängern seit 2018 zur Pflicht macht. 100 Kilo Futter pro Woche Florence Köster verärgert es sehr, wenn Halter da nachlässig sind. Denn je größer die Population von wilden Katzen sei, umso größer werde auch das Elend der Tiere. Diese müssten stärker um ihre Reviere kämpfen und fänden weniger Nahrung. Letzteres stelle besonders bei Weibchen ein Problem dar, da diese dadurch oft zu schwach seien, um ihre Jungen zu versorgen. Daher wird die große Katzenschar im Bielefelder Süden auch regelmäßig gefüttert. Täglich werden dafür rund 100 Kilo Futter an den fünf Futterstellen in der Kleingartenanlage gebraucht. Einige tierliebe Mieter stellen ihre Gärten als Futterplatz zur Verfügung, versorgen die Tiere, zahlen dabei auch viel aus ihrer eigenen Tasche. Florence Köster unternimmt zweimal wöchentlich Nachschubfahrten und versorgt die Tiere ebenfalls, da die Mieter ja nicht täglich vor Ort sind. Grob geschätzt benötige der Tierschutzverein allein 500 Euro monatlich für diese Streuner. Das gehe nur dank der zahlreichen Spenden, betont Köster. "Wir haben keine Probleme mit Ratten" Zu jenen, die sich um die Katzen kümmern, gehören Eduard Skibowski und seine Frau Maria. Auch an diesem Morgen haben sich rund 25 Vierbeiner an seiner Laube versammelt, um Futter zu fassen. Doch als Florence Köster auftaucht, sind sie wie von Geisterhand verschwunden. Die 32-Jährige ist halt auch die mit der Falle. Drei-, viermal ist sie an diesem Morgen zugeschnappt, doch alle gefangenen Fellnasen, erzählt Skibowski, seien schon kastriert. Er habe sie daher schnell wieder in seinen naturbelassenen 750 Quadratmeter großen Garten entlassen. Sonst landen die Tiere in Kösters Transportbox und im Tierheim bei Tierarzt Mirko Quest. "Die Hälfte von ihnen hat auch Namen", sagt der gebürtige Ostpreuße. Sie heißen Diego, Maradonna oder Paulinka. Streicheln lassen sich die Streuner nicht, aber sie hielten sich vertrauensvoll in ihrer Nähe auf, erzählt Skibowski. "Unser Leben dreht sich hier um die Katzen." Die Anwesenheit der Tiere hat für ihn und die anderen Kleingärtner einen großen Vorteil: "Wir haben keine Probleme mit Ratten und Mäusen", sagt der 74-Jährige und lacht. Zwei Millionen Streunerkatzen in Deutschland Eduard Skibowski hat ein großes Herz. Rund um seinen Pumpenschwengel stapeln sich die Näpfe, die er jeden Tag nach der Fütterung gründlich sauber macht. Obwohl der Maler nur eine kleine Rente hat, gibt er, wie er sagt, selbst etwa 300 Euro monatlich für die Tiere aus. Er wird kürzen müssen, denn die Preise für Katzenfutter hätten sich zuletzt nahezu verdoppelt. Ein Lotto-Gewinn würde dem regelmäßigen Spieler daher gut tun. Aber dann würde er nach eigenen Worten nicht nur Geld für heimatlose Katzen - von denen es laut Schätzungen rund zwei Millionen in Deutschland gibt - ausgeben. "Wenn ich eine Million gewinnen würde, würde ich ein Haus für Obdachlose kaufen, damit sie nicht mehr auf der Straßen leben müssten."

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